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Innovativ durch den Fleischwolf
Stille Größe kann sehr laut sein: Die Freunde der italienischen Oper sind zurück mit »Kassandras Komplex«
Die Geschichte der Band Freunde der italienischen Oper zu erzählen, ist kein leichtes Unterfangen. Begibt man sich auf Spurensuche in den Weiten des virtuellen Netzes, landet man nach kurzer Recherche in einem Dickicht aus Erzählungen, Mythen, Geschichten, Überlieferungen – und einer Handvoll Fakten.
Fest steht: Gegründet wurde die Band 1988 im Umfeld des Dresdner Staatsschauspiels – das damals landesweit als besonders progressiv und subversiv galt. Nach dem Mauerfall waren FdiO, so die gängige Abkürzung, für viele die innovativste Avantgarde-Band der sogenannten neuen Länder – auch und vor allem im Westen der Republik. Die charakteristische Mischung aus schunkeligen Shanty-Vibes, abgründigen Post-Punk-Riffs, homoerotischem Erscheinungsbild, ausgefeilten Bläser-Arrangements und dem mitunter psychotisch anmutenden Höllengeschrei von Sänger Ray van Zeschau hatte man in dieser Art und Intensität noch nicht gehört.
»Unser künstlerischer Ansatz damals war, alles durch den Fleischwolf zu drehen, was nicht bei drei auf dem Baum war«, erzählt van Zeschau im Rückblick. Das unterschied sie vom Gros der anderen Bands der damaligen Independent-Szene, die nicht selten zu latenter Humorlosigkeit neigten, wie etwa die sich damals herausbildende Hamburger Schule, deren künstlerische Ergüsse van Zeschau im Rückblick als »säuseliges Befindlichkeitszeug« charakterisiert.
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Umso verwunderter war er damals, als Alfred Hilsberg Anfang der 90er Jahre Kontakt zur Band aufnahm. Der Gründer der beiden legendären Indie-Labels ZickZack und Whats So Funny About war über das 1991 veröffentlichte Debütalbum »Um Thron und Liebe« auf die Band gestoßen. Nun wollte er sich die Band genauer anschauen – und buchte sie für ein Konzert in der Hamburger Markthalle. Ray van Zeschau erinnert sich noch gut an den Auftritt: »Wir hatten die ganze Technik mit nach Hamburg gebracht, aber als wir sie aufgebaut hatten, funktionierte sie nicht mehr. Wir standen vor dem Abbruch. Kurz bevor wir den Kipppunkt erreichten, klappte es schließlich doch. Und so haben wir unsere ganze aufgestaute Aggression während des Konzerts eins zu eins von der Bühne runtergeknallt.«
Hilsberg war wie das Publikum restlos begeistert und wollte die Band umgehend unter Vertrag nehmen – doch dazu kam es dann gar nicht mehr. Ende 1992 löste sich die Band nach einem letzten Auftritt in Norditalien aufgrund zunehmender interner Spannungen auf. Van Zeschau verließ das urbane Kulturleben Dresdens und lebte für einige Jahre zurückgezogen als Cowboy auf dem Land.
Erst 2009 kehrte die Band dann auf die Bühne zurück, im Rahmen des Leipziger Festivals »IHR HABT ES NICHT anders GEWOLLT«, einer Versammlung der einstigen Untergrund-Avantgarde der Spät-DDR. Und so nahm das Projekt nach knapp 20 Jahren wieder Fahrt auf – allerdings mit vollkommen neuer Besetzung. Roger Baptist, der Keyboarder der frühen Jahre, hatte keine Zeit mehr, da er unter dem Künstlernamen Rummelsnuff eine Solokarriere als shantyhafter Bodybuilder-Barde begonnen hatte. Zu anderen Urmitgliedern war der Kontakt längst abgebrochen. Und so ist van Zeschau seitdem das einzige verbliebene Urmitglied der Freunde der italienischen Oper.
Nach dem 2018 veröffentlichten Werk »Via Dolorosa« folgte nun kürzlich mit »Kassandras Komplex« das insgesamt erst vierte Album der Bandgeschichte. Viele Kernelemente der frühen Bandphase sind nach wie vor deutlich zu erkennen: der theatralische Gesang van Zeschaus etwa, der mitunter sein verkanntes Potenzial als Opernsänger offenbart. Auch der satirische Humor, mit dem die Entwicklungen der Gegenwart betrachtet und seziert werden, ist geblieben.
Doch manches klingt heute auch ganz anders als damals: So ist die Band mittlerweile weniger verspielt als in den Anfangstagen, dafür deutlich geradliniger und musikalisch nochmals ein ganzes Stück härter und brachialer unterwegs. Der Song »1989« etwa fräst einem mit seinem schnellen Metal-Riffing förmlich die Schädeldecke vom Kopf. Dabei ist das Stück gar nicht neu, sondern wurde bereits in den frühen 90ern geschrieben und war erstmals auf dem 1996 posthum bei Hilsberg veröffentlichten Album »Edle Einfalt Stille Größe« zu finden. Das Original wirkt heute im Vergleich geradezu niedlich, beinahe närrisch.
Die deutlichste Veränderung aber hat sich auf lyrischer Ebene vollzogen: Denn anders als in den frühen 90er Jahren sind die Songtexte heute überwiegend auf Deutsch gehalten. Früher wäre ihm das seltsam vorgekommen, meint van Zeschau. Deshalb habe er sich damals die Texte meist ins Englische übersetzen lassen.
Und doch finden sich auf »Kassandras Komplex« neben »1989« weitere englische Titel, die allesamt aus der Frühphase der Band stammen: etwa »She Kill The Laugh«, das die Band ursprünglich für eine »Faust II«-Inszenierung am Dresdner Staatsschauspiel, an der sie beteiligt war, komponiert hatte. Damals drehte Defa-Regisseur Michael Knof einen Kurzfilm mit FdiO, der erst kürzlich aus den Archiven befreit und als Musikvideo der Neueinspielung von »She Kill The Laugh« veröffentlicht wurde. Darin inszeniert die Band den Aufstieg und Untergang der griechischen Sagenfigur Euphorion. In gewisser Weise symbolisiert das Video damit auch den Untergang und Wiederaufstieg der Freunde der italienischen Oper. Und ähnlich wie der Ephorion in Goethes »Faust II«-Erzählung steht auch die Band irgendwo zwischen einer längst vergangenen Epoche und der unmittelbaren Gegenwart.
Freunde der italienischen Oper: »Kassandras Komplex« (Major Label/Broken Silence)
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