Auf Routen in Afrika verschwunden

UN-Organisation zählt auf dem Weg nach Europa vermisste oder gestorbene Migranten

  • Matthias Monroy, Andrea Staeritz
  • Lesedauer: 4 Min.
Migrant*innen im Nordwesten des Niger an der Grenze zu Algerien. Für Viele endet die Durchquerung der Wüste mit dem Tod.
Migrant*innen im Nordwesten des Niger an der Grenze zu Algerien. Für Viele endet die Durchquerung der Wüste mit dem Tod.

»Wir packen den Stier bei den Hörnern«, sagt Moctar Dan Yayé vom Alarme Phone Sahara, einem Ableger des gleichnamigen Mittelmeer-Notrufs, den hunderte Aktivist*innen aus Afrika und Europa seit zehn Jahren betreiben. Die Organisation hat den Staat Niger vor dem Menschenrechtsgerichtshof der Westafrikanischen Wirtschaftsunion Ecowas verklagt, weil ein Gesetz dort die Hilfe für Migrant*innen und Flüchtende unter Strafe gestellt hatte. Die Folgen waren fatal: Transportunternehmen, die Menschen an die Grenze brachten, mussten gefährlichere Routen durch die Sahara nehmen, um Kontrollen zu entgehen. Ihre Wagen strandeten häufig in der Wüste, Menschen verschwanden, weil sie die Orientierung verloren, verdursteten, verhungerten oder durch Unfälle und Gewalt ums Leben kamen.

Auch wenn die Putsch-Regierung im Niger das Gesetz letztes Jahr annulliert hat, endet die Durchquerung der Sahara für viele Menschen weiterhin tödlich. Ein Problem sind Deportationen aus Algerien oder Tunesien in die Wüstenregionen des Niger oder Libyens. Betroffen sind Migrant*innen und Schutzsuchende, die in Städten nach Razzien von der Polizei auf Lkw geladen und kurz vor der Grenze ausgesetzt werden.

Besonders vom Tod in der Wüste gefährdet sind Personen, die alt, schwach, schwanger oder verletzt sind und deshalb nicht weit laufen können. Das Alarme Phone leistet ihnen in Niger Hilfe und erfasst systematisch Daten zu den Pushbacks. Für das gesamte Jahr 2024 zählte die Organisation 30 000 Menschen, die von algerischen Behörden im nigrischen Teil der Sahara ausgesetzt wurden. Anfang dieses Jahres wurden demnach über 600 Menschen aus Libyen nach Niger deportiert.

In Assamaka im Nordwesten von Niger arbeitet auch die zu den Vereinten Nationen gehörende International Organisation of Migration (IOM). Sie unterhält eine Station an der Grenze und organisiert von dort die sogenannte Freiwillige Rückkehr für Migrantinnen und Geflüchtete, wenn sich diese dazu bereit erklären. Im Rahmen des Missing Migrants-Projekt dokumentiert die IOM außerdem die wegen Grenzen gestorbenen Migrant*innen. Seit dem Start der Zählung im Jahr 2014 hat die Organisation den Tod von mehr als 71 480 Menschen weltweit erfasst, fast die Hälfte davon im Mittelmeer.

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Das IOM-Projekt stellt die einzige weltweite Datenbank dieser Art dar – in vielen Ländern erheben oder veröffentlichen offizielle Stellen gar keine Daten dazu. Die von Missing Migrants gewonnenen Informationen sollen helfen, besonders gefährliche Migrationsrouten und -regionen zu identifizieren. Sie dienen als Grundlage für politische Entscheidungen und Maßnahmen zur Verhinderung weiterer Todesfälle von Migrant*innen.

Besonders dramatisch ist die Lage demnach auf der atlantischen Route von Mauretanien oder dem Senegal zu den Kanarischen Inseln. Die bis zu 800 Kilometer lange Überfahrt fordert zahlreiche Todesopfer durch Verhungern und Verdursten. Ähnlich gefährlich verläuft die Route vom Horn von Afrika nach Jemen über den Golf von Aden oder das Rote Meer. Hier drohen Schiffbruch und gewaltsame Zurückweisungen. Die südliche Fluchtroute von Ostafrika nach Südafrika führt zu Todesfällen durch Verkehrsunfälle, Ersticken in überfüllten Lastwagen und Gewalt. Als besonders riskant gilt die Überquerung des Limpopo-Flusses an der Grenze von Botswana und Simbabwe mit Südafrika. Auch die Route von den Komoren nach Mayotte kostet viele Menschen das Leben, die die 200 Kilometer lange Überfahrt in kleinen Fischerbooten wagen.

Migrationssolidarische Gruppen wie das Netzwerk Afrique-Europe-Interact oder das Alarm Phone gedenken der Menschen, die bei der Flucht nach Europa ums Leben gekommen sind oder vermisst werden, mit dem Begriff »CommémorAction«. Er setzt sich aus den französischen Wörtern »commémoration« (Gedenken) und »action« (Handlung) zusammen. Ein zentraler Gedenktag ist der 6. Februar geworden: An diesem Tag im Jahr 2014 starben mindestens 15 Menschen beim Versuch, schwimmend von Marokko in die spanische Exklave Ceuta zu gelangen, während die spanische Guardia Civil Gummigeschosse auf sie abfeuerte. Jedes Jahr erinnert deshalb eine »CommémorAction« als Symbol für die tödlichen Folgen der EU-Grenzpolitik an das Massaker.

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