Tamtam um Sozialabgaben

Grüner Wahlkampf: Aktionäre sollen Sozial­versicherung entlasten

Hat seinen Vorschlag nicht ganz durchdacht: Robert Habeck, Kanzlerkandidat Die Grünen.
Hat seinen Vorschlag nicht ganz durchdacht: Robert Habeck, Kanzlerkandidat Die Grünen.

Gut verdienende und reiche Aktionäre sollen wortwörtlich mehr zur Kasse gebeten werden und allgemeine Sozialbeiträge dadurch sinken – der Frust über den jüngsten Anstieg der Kranken- und Pflegebeiträge dabei abgemildert werden. So hatte sich Kanzlerkandidat Robert Habeck (Grüne) seinen neuen Vorstoß vermutlich vorgestellt. Es gehe »um diejenigen, die Millionen auf dem Konto liegen haben und selber nicht mehr arbeiten gehen müssen, weil das Geld für sie arbeitet«, konkretisierte Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge den Vorschlag, nachdem ihre Partei für die Unschärfe desselben Kritik geerntet hatte.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund und die Krankenkassen begrüßten die Idee in ersten Reaktionen. Empört zeigen sich dagegen CDU und FDP – das Konzept würde wahlweise Konzerne oder die Mittelschicht unverhältnismäßig belasten. So weit, so klassisch.

Inwiefern Reiche und Konzerne allerdings tatsächlich von Habecks Vorschlag betroffen wären, ist unklar. Denn erstens sind Millionäre in der Regel nicht gesetzlich versichert, sondern privat. Sie zahlen also grundsätzlich keine Beiträge in die staatlichen Kassen ein. Und Gutverdienende, die über den sogenannten Beitragsbemessungsgrenzen der Sozialversicherungen liegen, müssen im Falle weiterer Einkunftsarten nicht mehr zahlen.

Die Beitragsbemessungsgrenze ist der Höchstbetrag des Arbeitsentgelts und -einkommens, die bei der Berechnung des Versicherungsbeitrags berücksichtigt werden. Es gibt jeweils unterschiedliche Beitragsbemessungsgrenzen für die Kranken- und Pflegeversicherung sowie für die Renten- und Arbeitslosenversicherung. Für die gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen liegt sie seit dem Jahreswechsel bei einem monatlichen Bruttoverdienst von 5512,50 Euro, in der Renten- und Arbeitslosenversicherung bei 8050 Euro. Wer mehr verdient, zahlt darauf zwar Steuern, aber keine Sozialbeiträge.

Unter anderem der Sozialwissenschaftler Stefan Sell kritisiert deswegen, Habecks Vorhaben könne vor allem Kleinsparer*innen treffen. Mehr Sinn würde es dagegen machen, Kapitalerträge höher zu besteuern. Gibt es zu Habecks Vorschlag keine weiteren Eingriffe ins Sozialsystem, könnten sie tatsächlich diejenigen sein, die das Konzept am ehesten treffen würde: Personen, deren Renten unter der Beitragsbemessungsgrenze liegen, die aber zudem aus Aktiendepots und Lebensversicherung kassieren. Dröge betonte in Reaktion auf die Kritik, dass es nicht um Menschen mit wenig Geld auf dem Konto gehe, sei »sonnenklar«. Es gehe um ein durchdachtes Konzept mit hohen Freibeträgen. Zahlen konnte auch Dröge nicht nennen.

Ganzheitliches Konzept statt Wahlkampfgag

Kathrin Vogler, gesundheitspolitische Sprecherin der Linke-Gruppe im Bundestag, bezeichnete Habecks Vorschlag als »Wahlkampfgag«, der im realen Leben nicht viel ändern würde. Über die Beitragspflicht von Kapitaleinkünften sowie eine Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenzen hinweg müsste der grüne Kanzlerkandidat die private Krankenversicherung abschaffen, um sein Ziel zu erreichen. Anderenfalls würden Millionäre weiterhin nicht in gesetzliche Kassen einzahlen, zeigte sie sich überzeugt. Darüber hinaus müssten Einkünfte aus Vermietungen ebenfalls in den Beitragskonzepten mitgedacht werden. So sei es jedenfalls in der Solidarischen Gesundheits- und Pflegeversicherung der Linken angedacht. Durch dieses Konzept sollen Kleinsparer*innen aus der Beitragspflicht ausgenommen werden. Mit Agenturen

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