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Nicht immer Hilfe zu erwarten
Viele Kinder und Jugendliche haben psychische Probleme – und bleiben mit ihrer Not zu oft allein
Inzwischen wissen wir, die Corona-Pandemie war für viele Schüler herausfordernd. Viele haben unter den Schulschließungen und der Separierung gelitten. Aus heutiger Sicht hätte man anders reagiert, heißt es oft.
Aber jetzt, drei Jahre später, sind die betroffenen Kinder und Jugendlichen nicht aus der Welt, und um ihr Wohlbefinden ist es noch immer nicht gut bestellt: Jedes fünfte Kind klagt über psychische Belastungen, viele empfinden ihre Lebensqualität als schlecht. Ein erheblicher Teil von ihnen benötigt Hilfe, und nicht alle bekommen sie. Das hat eine Befragung der Robert-Bosch-Stiftung unter Schülern im Rahmen des »Deutschen Schulbarometers« im vergangenen Jahr ergeben.
Eine weitere Studie beleuchtet die Versorgungslage von Schülern, die psychische Probleme haben und Hilfe benötigen. Der »Monitor Bildung und psychische Gesundheit« (Bipsy-Monitor) blickt auf die Angebote für Kinder und Jugendliche an Schulen sowie auf die Hilfsangebote in der ambulanten Psychotherapie. Erste Ergebnisse aus Befragungen von niedergelassenen Psychotherapeuten sowie Schulleitungen liegen bereits vor und wurden am Mittwoch vorgestellt, die Aussagen von Schülern werden Ende des Jahres ausgewertet.
Die Belastungen der jungen Patienten sind oft komplex: Neben familiären und sozialen Problemen würden von den Psychotherapeuten auch schulische Faktoren wie Leistungsdruck oder fehlende soziale Beziehungen als Auslöser für psychische Störungen genannt, erklärt Julian Schmitz, Professor für Klinische Kinder- und Jugendpsychologie an der Universität Leipzig, gegenüber dem Fachmagazin »Deutsches Schulportal«. »Das zeigt, wie wichtig der Lebensraum Schule für ein psychisch gesundes Aufwachsen ist.« Die Studie ist ein gemeinsames Projekt der Universität Leipzig und der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover.
Kristin Rodney-Wolf vom Leipziger Projektteam erklärte, wie wichtig eine zeitnahe Behandlung von jungen Menschen ist. Sonst würden oft weitere Erkrankungen entstehen, und die Betroffenen könnten ihr Potenzial nicht ausleben, weil möglicherweise ein Schulabschluss fehle oder eine Ausbildung. Die gesellschaftlichen Folgekosten seien dann beträchtlich.
Für die Betroffenen ist es nicht leicht, Hilfe zu bekommen. Das geht auch aus den Befragungen des Bipsy-Monitors hervor. Nur etwas mehr als jede dritte allgemeinbildende Schule (38 Prozent) verfügt über Beratungslehrer, die sich mehr Zeit für Gespräche mit Schülern nehmen können. Der Gesprächs- und Beratungsbedarf ist nach Aussage der Schulleitungen jedoch groß und im vergangenen Schuljahr noch einmal gestiegen.
Bei der Schulsozialarbeit zeigt sich ein ähnlicher Befund: Sie ist zwar besser ausgebaut (95 Prozent der Haupt-, Real- und Gesamtschulleitungen gaben an, Schulsozialarbeit an ihrer Schule anzubieten, dagegen nur 62 Prozent der Gymnasialschulleitungen und 65 Prozent der Förderschulleitungen), aber mehr als zwei Drittel der befragten Schulleitungen wünschten sich eine Ausweitung der Sozialarbeit, weil der Bedarf gestiegen sei.
Die Ergebnisse dieser Studie deckt sich mit den Aussagen von Eltern, die für das »Deutsche Schulbarometer« erhoben wurden. Demnach gaben ein Viertel der Erziehungsberechtigten an, dass ihr Kind wegen psychischer Probleme in den zurückliegenden zwölf Monaten Hilfe benötigt hätte. Wer daraufhin Unterstützung gesucht hat, wendete sich am häufigsten an die Klassenlehrer (70 Prozent) oder an die Schulsozialarbeit (38 Prozent), wenn vorhanden, auch an Schulpsychologen (31 Prozent). Das Ergebnis war allerdings oft ernüchternd: 23 Prozent der Eltern gaben an, keine passende Hilfe bekommen zu haben. Suchten Eltern außerschulisch nach Hilfe, so wendeten sie sich häufig an Psychotherapeuten oder Allgemeinmediziner.
Doch auch die psychotherapeutische Versorgung ist unzureichend. Viele Praxen bekommen fünf bis sechs Anfragen die Woche, sagte Rodney-Wolf. Oft vergingen elf Wochen bis zum ersten Gespräch in der Praxis, wenn darauf eine Therapie erfolgt, im Schnitt noch einmal 17 Wochen. Eine Wartezeit von einem halben Jahr sei aber zu lang, bemängelte die Wissenschaftlerin. Dabei habe sich die gescheiterte Ampel-Koalition vorgenommen, die »psychotherapeutische Bedarfsplanung zu reformieren«. Passiert sei aber nicht viel, resümierte sie.
Einen Mangel bei der Versorgung sieht auch Klaus Seifried, der viele Jahre als Psychologe an Schulen gearbeitet hat. Allzu pessimistisch will er die Situation aber nicht bewerten. Die Schule könne nach wie vor als Frühwarnsystem bei psychischen Problemen von Kindern dienen, sagte er bei der Vorstellung der Ergebnisse des Bipsy-Monitors. Voraussetzung dafür seien aber stabile Beziehungen zwischen Lehrkräften und Schülern, auch die Eltern müssten mit ins Boot geholt werden. Dann könne die Schule noch immer ein Ort sein, »der Resilienz stärkend ist und jungen Menschen Wohlwollen, Struktur und Halt entgegenbringt«.
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