Dry und Cry January

Wenn alles viel langsamer geht, dann hat das Jahr gerade erst angefangen

So viel Alkohol – stellen Sie sich stattdessen 108 Sonnengrüße vor (und machen Sie die auch!)
So viel Alkohol – stellen Sie sich stattdessen 108 Sonnengrüße vor (und machen Sie die auch!)

Howdy aus Texas, liebe Lesende, es kommt mir vor, als hätten wir monatelang nicht miteinander korrespondiert, dabei war das letzte Mal wie immer zwei Wochen her, also auch im Januar, diesem sich ewig hinziehenden ersten Monat des Jahres. Ich habe diesen Januar auch schon genug durchgemacht, um ganz 2025 auszufüllen. Gleich am 1. Januar habe ich verkatert und flüsternd-fluchend in meinem (lange aber nicht oft besuchten) Yogastudio 108 Sonnengrüße gemacht und, weil in den Medien nur noch davon die Rede ist, wie ungesund er sei, begonnen, auf Alkohol zu verzichten (läuft noch). Die nächste Yogastunde mit deutlich wenigeren Sonnengrüßen habe ich dann verschlafen, konnte mich aber davon abhalten, zu shoppen (läuft nicht mehr lange), habe die Golden Globes geschaut und festgestellt, dass ich kaum eine der ausgezeichneten Serien oder Filme kenne und mir daraufhin eine »Must see«-Liste erstellt, die ich mit großer Wahrscheinlichkeit nie abhaken werde.

Dann habe ich auch noch unseren jährlichen texanischen »Schneesturm« überstanden (mit minus vier Grad, zwei Zentimeter Schnee und, ganz wichtig, zwei Tagen schulfrei, denn bei dem geringsten Anzeichen von Eis macht hier alles dicht) und eine Kindergeburtstagsparty besucht, auf der ich als Gastgeschenk mit der Grippe infiziert wurde.

Talke talks

News aus Fernwest: Jana Talke lebt in Texas und schreibt über amerikanische und amerikanisierte Lebensart.

Und der Monat ist ja nicht einmal rum! Es stehen diesen Januar noch an: Der Martin-Luther-King-Day, eine Chinesische Neujahrsfeier, eventuell Yoga, sicher Shopping. Ach ja, und die Inauguration natürlich. Auf der werden nicht nur die beliebte Countrysängerin Carrie Underwood, sondern, Trommelwirbel, auch die Village People (ja, die mit dem YMCA-Song) auftreten! Hatte die Discoband einst Donald Trump für das Spielen ihres Songs auf seinen Kampagnentouren mit einem Gerichtsverfahren gedroht, wurde jetzt, angeblich nicht des Geldes wegen, nachgegeben. Ich bin schon gespannt auf die Kostüme.

Das Phänomen, welches den tristen ersten Monat des Jahres länger als alle anderen Monate zusammen erscheinen lässt, der »Januarblues« wird tatsächlich von Wissenschaftlern untersucht. Sie sagen, der Januar sei geprägt vom Dopaminmangel, bedingt durch unsere Rückkehr zur Arbeit und in den Alltag. Alles Gute liegt hinter uns: Geschenke, Partys, Dekorationen. Es bleiben: Schlechtes Wetter, schlechte Laune, unerreichbare Ziele. Depressive Stimmungen, Ängste und Langeweile lösten, so Experten, bei Menschen das Gefühl aus, dass die Zeit sich langsamer drehe als sonst. Und wie unfair ist das bitte? Nun wird gefastet statt gefeastet, geackert und gefitnesst statt gebechert und geschnarcht und dann dauert alles auch noch doppelt so lang.

Die Nachrichten diesen Monat sind ebenfalls unerfreulich, vor allem die verheerenden Waldbrände in Los Angeles, aber auch einige An- und Aussagen von bestimmten Oligarchen, die Wahl des neuen US-Regierungskabinetts, die Annexionsträume des zukünftigen Präsidenten und das angekündigte Tiktok-Verbot, das sich noch viel länger hinzuziehen scheint, als der Januar selbst. Seit Jahren wird gedroht und befürchtet und irgendwie hält sich das Ding immer noch hartnäckig auf unseren Handys und raubt den Amerikanern (ein Drittel der Bevölkerung sind Nutzer!) ihre wertvolle Lebenszeit. In ein paar Tagen soll eine Entscheidung gefällt werden, oder aber, sie wird aufgeschoben, wie die meisten Silvestervorsätze im Februar aufschoben werden.

Ich hoffe tatsächlich, dass die App verboten wird, ich bin nämlich so richtig süchtig nach ihr. Die Comedians aus aller Welt, die Schönheitschirurgen, die aufdecken, wie viel Brad Pitt an seinem Gesicht hat machen lassen, die Shoppingtipps von aktuellen und Minimalismustipps von ehemaligen Shoppingsüchtigen, die Rezepte von Spitzenköchen oder einfach die Irren, die vor ihren dreckigen Badezimmerspiegeln rumtanzen ̶ man kann das Handy nicht mehr aus der Hand legen. Und die mentale Resilienz, auf Alkohol, Shopping und Tiktok gleichzeitig zu verzichten, bringe ich nicht auf. Vielleicht habe ich durch das Verbot dann endlich Zeit, all die Filme und Serien von meiner Liste zu schauen. Bis zum nächsten Mal im Februar, liebe Leser*innen, ich kann es kaum erwarten!

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