»Yunan«: Die Insel in uns

Wettbewerb: »Yunan« von Ameer Fakher Eldin

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 5 Min.
Was ist Heimat? Wo man zusammenfindet. Georges Khabbaz und Hanna Schygulla in den Hauptrollen
Was ist Heimat? Wo man zusammenfindet. Georges Khabbaz und Hanna Schygulla in den Hauptrollen

Asthmatiker wissen, wie es ist, plötzlich keine Luft mehr zu bekommen. Die Angst, ersticken zu müssen, bleibt immer gegenwärtig. Aber Munir, ein in Hamburg im Exil lebender syrischer Autor, hat kein Asthma, seine Bronchien und auch die Lunge, so zeigt die Untersuchung, sind völlig gesund.

Warum bekommt er dann immer diese Erstickungsanfälle? Offenbar ist da eine »grundlose Traurigkeit« in ihm, die ihn plötzlich überwältigt. Er ist Ende 40 und kein Anfänger mehr, weder im Leben noch beim Schreiben. Dennoch steckt er gerade völlig fest. Vielleicht hat er schlimme Dinge erleben müssen, die ihn quälen? Gewiss, aber nicht mehr als andere Exilanten.

Dem syrischen Regisseur Ameer Fakher Eldin, der auch das Drehbuch schrieb, geht es um existenzielle Fragen. Was ist Heimat in der globalisierten Welt? Dieser elegische Film, in dem von Politik nie die Rede ist, hat einen ähnlichen sich selbst vergewissernden Gestus, wie er sich bei dem im vergangenen Jahr verstorbenen Dokumentarfilmer Thomas Heise fand, der seine filmische Familienchronik unter eine Überschrift seines Vaters Wolfgang Heise, des DDR-Philosophen, stellte: »Heimat ist ein Raum aus Zeit.«

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Diesen Raum-Zeit-Zusammenhang erkenne ich nun auch in Ameer Fakher Eldins »Yunan«, dem zweiten Teil seiner »Homeland-Trilogie«. Der erste Teil »Al Garib« (»Der Fremde«) von 2021 sorgte bereits für Aufsehen, am dritten arbeitet er bereits. Tatsächlich ist die Konsequenz erstaunlich, mit der dieser Regisseur die Geschichte Munirs in einer tiefen Lebenskrise erzählt – schweigsam wie ein Film von Andrej Tarkowski, ohne Furcht vor ästhetischen Stilisierungen mitsamt einem geradezu philosophischen Sprachgestus und den langen Schwenks von Kameramann Ronald Plante über Landschaft, Meer und Himmel. Damit steht dieser Film quer zum hastigen Zeitgeist, schreitet langsam voran und verzichtet auf alle kurzgriffigen Migrationsdebatten. Erstaunlich auch die internationale Produktionsgemeinschaft, die diesen Film ermöglichte, bestehend aus Deutschland, Kanada, Italien, Palästina, Katar, Jordanien und Saudi-Arabien. Ist das die neue Internationale der Cineasten?

Es ist gut, dass das Schicksal von Munir hier nicht mit innerdeutschen Debatten verknüpft wird. Das wäre in jedem Falle ein anderer Film geworden. Munir wird vom libanesischen Schauspieler Georges Khabbaz gespielt, der in seiner verstörend distanzierten Wortkargheit – unterbrochen nur von einem einzigen Tanz – den Film von der ersten bis zur letzten Minute trägt. Wie wenig wissen wir über Schauspieler im Libanon, dabei hat Khabbaz schon internationale Filmpreise erhalten. Er ist – auch jenseits der Leinwand – eine eindrucksvolle Persönlichkeit, arbeitet als Schriftsteller, Musiker, Komiker und Professor für Theaterkunst. Bereits mit vier Jahren stand er im Libanon zum ersten Mal auf einer Bühne, in dem Stück »Das Leben des Heiligen Maron«.

Munir ist offensichtlich an einem Tiefpunkt angelangt. Hier in Hamburg bewege sich nichts als die Wolken, sagt er seiner Schwester in Syrien am Telefon. Sie pflegt die alte Mutter. Als er mit ihr spricht und sie daran erinnert, dass er ihr Sohn sei, erwidert sie, das könne nicht sein, sie sei doch noch ein junges Mädchen, das alles vor sich habe. Die Mutter lebt, aber hat ihn vergessen!

Das stürzt Munir in einen Bilderstrudel, der ihn mit sich zu reißen droht. Sind es Figuren aus seinem Roman, an dem er bis eben schrieb, der stumme Hirte und seine schöne Frau? Oder tauchen da Erinnerungen aus seiner Kindheit auf, die sich mit seinen Träumen vermischen? Mehrfach hören wir den Satz: »Er kehrte an den Ort zurück, den er nie verlassen hatte.« Er erinnert sich. Aber die Angst ist da, selbst alles zu vergessen und schließlich von allen anderen vergessen zu werden. Wird er nun verrückt?

Erstaunlich die internationale Produktionsgemeinschaft, die diesen Film ermöglichte. Ist das die neue Internationale der Cineasten?

Der Arzt hatte ihm geraten, eine Auszeit zu nehmen, irgendwohin zu fahren. Das tut er nun auch, nachdem er sich davon überzeugt hat, dass ihm alle Worte abhandengekommen sind und er nichts mehr zu schreiben vermag. Erst stirbt der Autor, dann der Mann? Nein, erst stirbt das Kind seiner Mutter, das er immer noch ist.

Es wirkt wie eine filmische Meditation über die Vanitas-Texte des Barock-Dichters Andreas Gryphius, der die Verwüstungen des Dreißigjährigen Krieges in sich trug: »Dem hie die Welt zu enge,/ Dem wird ein enges Grab zu weit.« Munir glaubt, nicht mehr weiterleben zu können; er hat eine Pistole in der Tasche, was immer schlecht ist, besonders aber, wenn man ein arabischer Exilant ist – und er fährt mit dem Schiff auf die Halligen in der Nordsee.

Im einzigen Gasthof vor Ort erwartet ihn die Wirtin Valeska, oder genauer, sie erwartet ihn nicht, denn er hat nicht reserviert. Es ist ein Wiedersehen mit der großartigen Fassbinder-Schauspielerin Hanna Schygulla als Wirtin, die vielleicht genauso alt wie Munirs Mutter in Syrien ist. Und scheint ebenso streng wie zugewandt. Er solle doch einfach nicht so tief atmen, wenn er Erstickungsanfälle bekomme: »So viel Luft braucht man gar nicht.« Das hilft ihm tatsächlich. Dann kommt ein Hochwasser, das höchste seit Langem. Man rückt zusammen in dieser rauen Nacht, die Kamera taucht uns ins stürmische Schwarz aus lauter Wasser. Und Munir spürt plötzlich wieder etwas in sich: das Leben?

Er träumt von seiner Mutter, die ihm sagt, er brauche keine Angst zu haben, nicht vor dem Leben und nicht vor dem Tod – und auch davor nicht, dass sich bei ihm Fantasie und Realität ständig vermischen. Er sei nicht verrückt, er sei Schriftsteller, da wäre er arm dran ohne mächtige Träume.

Wird ihm die Insel zur Falle oder zur Zuflucht? Beides ist möglich. Das Hochwasser aber fließt am nächsten Morgen ab, und das Leben, mitsamt Kühen, feuchten Wiesen und Munir, der seine Tasche packt, scheint wieder seinen Weg zu gehen.

»Yunan«, Deutschland/Kanada/Italien/Palästina/Katar/Jordanien/Saudi-Arabien 2025. Regie und Buch: Ameer Fakher Eldin. Mit: Georges Khabbaz, Hanna Schygulla, Ali Suliman, Sibel Kekilli, 124 Min.
21.2., 18 Uhr, Haus der Berliner Festspiele; 23.2., 12.30 Uhr Zoo-Palast 1

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