Doku über William Shakespeare: Kein Kitsch-Alarm

Eine BBC-Doku-Serie von Julian Jones über Shakespeare zeigt den größten Dichter der Welt als Realisten und Rebell

  • Marlon Grohn
  • Lesedauer: 4 Min.
Echte Aufsteigergeschichte: Vom Handwerkersohn zum wichtigsten Dichter der Welt (Shakespeare, Daniel Boyarsky, Mitte)
Echte Aufsteigergeschichte: Vom Handwerkersohn zum wichtigsten Dichter der Welt (Shakespeare, Daniel Boyarsky, Mitte)

Es war zu erwarten, dass in Shakespeares Heimat etwas angemessener über den großen Dramatiker geurteilt wird als in der von der Guido-Knoppisierung des Kulturfernsehens heimgesuchten Bundesrepublik. Dass sich die dreiteilige Doku von Julian Jones (»William Shakespeare: Ein Genie und seine Zeit«, im Original »Shakespeare: Rise of a genius«) über weite Strecken als vortrefflich erweist, überrascht dann doch. Die Rache, die der öffentlich-rechtliche deutsche Rundfunk am englischen Genie noch übt, besteht lediglich darin, dass er die Doku-Serie auf dem Spartensender Arte irgendwo im Vorweihnachtsprogramm hat versanden lassen.

Jones erzählt das Leben Shakespeares chronologisch, aufgeteilt in drei Kapitel zu je einer Stunde. Jede Folge beleuchtet eine Schaffensphase, dabei wird angenehm wenig Wert auf den üblichen Privatleben-Doku-Kitsch gelegt. Der Fokus liegt auf Shakespeares Arbeit am Theater, dem Inhalt seiner Dramen. Seine familiären Verhältnisse (er lebte mit Frau und drei Kindern) werden angerissen und nur dort expliziert, wo sie für sein Werk von Bedeutung sind – was durchaus oft der Fall war: Der berühmteste Dichter der Welt kam als Handwerkersohn zur Welt, zu arm für Schulabschluss und Studium, schaffte er es mit seinen Stücken über politische Kämpfe zum Theatergenie, das vom Königshaus protegiert wurde.

Folge 1, »Der Bühnenarbeiter«, zeigt Schwierigkeiten wie erste Erfolge des vom Lande nach London gekommenen Shakespeare und dessen Fuß fassen in der Theaterwelt der Metropole. Folge 2 heißt »Ruhm und Rebellion«: Sie beleuchtet die Phasen nach den ersten größeren Erfolgen: Shakespeares Dramen werden – auch dank vulgärer Sprache und brachialer Gewaltdarstellung – zum Publikumsmagneten und bringen ihm die Verehrung und Förderung durch Königin Elisabeth ein. Folge 3, »Des Königs Diener«, behandelt Abhängigkeiten und Spannungen zwischen Theatertruppe und Thron: der fromme Protestant König Jakob I. wird Nachfolger Elisabeths I., Shakespeare wird Autor der königlichen Schauspiel-Kompanie, findet dabei aber immer die Balance zwischen Theater-Realismus und Rebellion.

Löblich ist der Umstand, dass den von Schauspielern wortlos nachgestellten Szenen aus dem Leben des Dramatikers (als Shakespeare der sehr abgeplagt wirkende Daniel Boyarsky) nicht nur durchgehend ein fundierter Kommentar, sondern auch unterschiedliche Experten beigesellt werden. Britische Schauspiel-Stars wie Jessie Buckley, Judie Dench oder Martin Freeman berichten begeistert über ihre Erfahrungen mit Shakespeare-Rollen. Auch Ex-Premierminister Gordon Brown kommt zu Wort und attestiert Shakespeare ein realistisches Gespür für Politik. Dass das Reden dem Voice-Over und den Interviewten überlassen wird, dient der Sachlichkeit und kommt der Doku sehr zugute.

Gerade die Shakespeare-Unkundigen finden hier eine anschauliche Zusammenfassung seiner entscheidenden Lebensstationen und eine solide Grundlage für die Lektüre oder den Theaterbesuch. Denn so unterhaltsam die Dramen des Dichters auch sind, je mehr Vorkenntnisse über Shakespeares Zeit und Absichten, desto reicher die Shakespeare-Erfahrung. Schließlich waren seine Stücke auf ein Publikum gerichtet, das ganz genau wusste, auf welche politischen Tatsachen angespielt wurde.

Es wird begreifbar, dass Linke im Recht sind, wenn sie Shakespeare als ihren »Genossen« (Erik Zielke) auffassen und dass sein Leben aus vielen, heute kaum mehr denkbaren, mutigen und riskanten Schritten bestand. Man kann nun meinen, es wäre ein Riesenzufall, dass aus William jener große Shakespeare geworden ist, als den wir ihn heute kennen. Der Mann hatte immer wieder viel Glück in seinem Leben. Das mag eine notwendige, aber nicht die hinreichende Bedingung für sein legendäres Werk gewesen sein: Shakespeare schien genau gewusst zu haben, worauf er sich einließ und wog seine Risiken gut ab.

Intrigen, Ränkespiele, Unterdrückung und Rebellion – seine Erfahrungen und sein Wissen spiegelte Shakespeare in den Dramen. Es ist leider keine Selbstverständlichkeit und das Verdienst dieses Biopics, dies großteils ohne Komplexitäts-Verluste darzustellen.

Der Wert der drei Filme liegt vor allem in der Plastizität der Engführung von künstlerischem Anspruch und gesellschaftlichen Verhältnissen. Sie zeigen den Lebenslauf Shakespeares als einen exemplarischen: den des Künstlers in der Gesellschaft. Sie zeigen, dass die Genie-Frage nicht umgangen werden kann, schon weil das Genie immer die Systemfrage aufwirft: wie nämlich eine Gesellschaft einzurichten sei, die dem begabten Individuum zur Emanzipation verhilft. Der BBC-Dreiteiler wirft die Fragen auf; wir sind es, die sie beantworten müssen.

Verfügbar in der der Arte- und ZDF-Mediathek

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.