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Robert Habecks neues Buch: Etwas wolkig und gut gemeint
»Den Bach rauf« – zum neuen Buch von Robert Habeck und der Kampagne gegen den Grünen-Politiker
Die billige Kampagne gegen Robert Habeck hat wieder Fahrt aufgenommen. Besitzstandswahrer und ihre publizistischen Trompetenverbände bei Springer, Focus, Cicero und Konsorten laufen auf vollen Touren. Wer Halbsätze vergisst, wird bitterlich bestraft in einer reaktionären Zeitströmung.
Da kann Habeck Dienstagabend bei RTL klarstellen: »Der Kleinsparer muss sich keine Sorgen machen«, es gehe nicht um »normale Sparer«, seine Vorschläge richteten sich vielmehr gegen jene »Leute, die, statt zu arbeiten, ihr Geld für sich arbeiten lassen (…) und sich nicht beteiligen an der Finanzierung der Sozialsysteme«. Egal. Am Mittwoch vergangene Woche macht die Bild-Zeitung auf der Titelseite ihre »Abgabenrechnung« auf und titelt: »So will Habeck Ihr Erspartes schrumpfen«. Irreführung, Angstmache, Propaganda. Und es sind ausgerechnet jene, die heute heimlich, still und leise Sozialkürzungen im großen Stil vorbereiten, nämlich CDU und AfD, Seite an Seite in helles Blau auf den Wahlplakaten getunkt, sowie die Boykottpartei der Freien Demokraten, die diesen Chor der Empörten anfeuern.
Spricht jemand über Übergewinnsteuer? Reichensteuer? Über Beamte, die keine Sozialabgaben zahlen? Politiker, die nicht in das Rentensystem einzahlen? Nein, alles Tabus in der gegenwärtigen Debatte. Dabei ist es gerade der ausufernde Reichtum und die wachsende Ungleichheit, die die Demokratie aushöhlen und Benachteiligte nach schwächeren Schuldigen Ausschau halten lassen. Und obendrein dann noch der neunstündige Verhörmarathon am vergangenen Freitag, den Habeck vor einem von Union und FDP einberufenen parlamentarischen Untersuchungsausschuss im Bundestag über sich ergehen lassen musste, weil er mit dem Kanzler am Atomausstieg letztlich festhalten wollte. Auch dieser Ausschuss: ein Manöver!
Und doch wird Habeck andererseits auf vielen Veranstaltungen von einer Welle der Zustimmung und Begeisterung getragen. Trotz der Fehler und Versäumnisse in seiner Regierungszeit gilt er vielen weiterhin als Hoffnungsträger, der anders denkt und spricht als Friedrich Merz oder Christian Lindner, anders auch als ein Olaf Scholz. Beispielsweise flogen dem scheidenden Wirtschaftsminister auch am vergangenen Mittwochabend die Sympathien von Jung und Alt in Berlin-Charlottenburg zu, als er vor ausverkauftem Haus im Delphi-Kino sein neues Buch vorstellte.
Auffällig an diesem mit dem eigenwilligen Titel »Den Bach rauf« sind ein paar eklatante Fehlstellen beziehungsweise unterbelichtete Themen. Es geht weniger um den Klimaschutz, um Krieg und Frieden, um Antisemitismus und Israel, sondern mehr um Lüge und Wahrheit, den grassierenden Populismus, die antidemokratischen Tendenzen bei uns und in der Welt. Das Buch ist in der parlamentarischen Sommerpause im vergangenen Jahr entstanden, zu einer Zeit also, als Habeck noch daran glaubte, die nächsten Bundestagswahlen würden wie vorgesehen im September 2025 stattfinden.
»Aufschreiben, was ich gelernt habe, überprüfen, wer ich bin« – das gab er bei der Buchpremiere zu Protokoll. Die druckfrische Publikation ist also so etwas wie ein Selbsterfahrungsbericht, natürlich auch Rechtfertigung. So findet sich hier wenig zum Gegeneinander in der sogenannten Fortschrittskoalition. »Wir haben auf die großen Fragen keine hinreichend großen Antworten gegeben«, bilanziert Habeck selbstkritisch, doch tiefere Einblicke ins Regierungsgeschäft gibt es nicht, die Ampel-Koalition war ja noch nicht aufgegeben.
»Zuversicht« wolle er mit seinem Buch vermitteln, so wie es jetzt auf der Wahlwerbung unter seinem Porträt plakatiert ist. Zuversicht, Aufbruchstimmung, raus aus dem ewigen Nölen in einem Wohlstandsland, das durch 16-jährigen politischen Stillstand unter der Kanzlerschaft von Angela Merkel heruntergekommen sei und erst wieder aufgebaut werden müsse: digital, infrastrukturell, und, leider auch in Zeiten weltweiter Aufrüstung, wehrhaft. Das Thema Ukraine-Krieg streift Habeck natürlich auch. »Die Zeit, in der wir unseren militärischen Schutz an die Amerikaner delegieren konnten, ist vorbei«, schreibt er. Und: »Putin will – da sollten wir uns nichts vormachen – die Einigung und Einheit Europas zerstören.« Das Thema Frieden taucht als vage Möglichkeit in der Ferne auf, nicht als konkrete Handlungsanweisung für die Realpolitik.
Es geht in diesem schmalen Band vor allem um seine Sorge um die Demokratie in Deutschland, es geht um »Menschen, die das Gelingen wollen, nicht das Misslingen«, um ein Miteinander, ein Füreinander, das Mitwirken von Bürgerräten, eine soziale Zukunft, ein geeintes, starkes Europa. Habeck spricht sich für eine Politik aus, die zusammenführt und nicht spaltet – obwohl es eine Frage ist, ob es überhaupt eine Politik (und auch einen Journalismus) gibt oder geben kann, die nicht spaltet, weil es so leicht ist, gegen andere zu polemisieren und so schwer, zu gemeinsamer Sprache und gemeinsamen Lösungen zu kommen.
Beim Thema Migration spricht sich der Grünen-Politiker für »Einheit in Vielfalt statt Einfalt in Zwietracht« aus; zugleich gehöre zum Asylsystem das Thema Abschiebung, denn: »Der Islam gehört zu Deutschland, der Islamismus nicht.«
Auch Habeck lebt mit seinen Widersprüchen. In diesem Buch vermeidet er den Genderstern – »weil ich so nicht schreibe oder spreche«. Im Buch zuvor hatte er noch gegendert, weil es modern sei, wie er damals meinte. Mit dem neuen Buch möchte er eine Richtung weisen, eine Skizze seines Politikverständnisses geben. »Eine Kursbestimmung«, heißt es im Untertitel. Während Merz und Scholz »im Wahlkampf bislang in erster Linie einen Fehlervermeidungswettbewerb zelebrieren«, wie in der »Westdeutschen Zeitung« jüngst zu lesen war, wagt Habeck weiterhin Denkimpulse, abseits ausgetretener Pfade. Das macht ihn für die politische Klasse offenbar so unbequem und verdächtig stark, dass reflexhaft in den Kampagnenmodus geschaltet, polemisiert und agitiert wird, anstatt konkrete Lösungen auf den Weg zu bringen.
Das Buch liefert keine Zahlen, Daten, Fakten. Es ist in einem Sprachmodus gehalten, wie aus vielen Interviews bekannt, hier in komprimierter Fassung nachzulesen. Es wendet sich an seine Anhänger und jene Unentschlossenen, die noch auf der Suche sind, weil die Alternativen wenig vielversprechend sind. Etwas wolkig und blumig, aber durchaus gut gemeint. Eine Republik der Oligarchen scheint mit Robert Habeck nicht zu drohen.
Robert Habeck: Den Bach rauf. Eine Kursbestimmung. Kiepenheuer & Witsch, 144 S., geb., 18 €.
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