Seelenverkäufer auf den sieben Meeren

Hunderte marode Öltanker gefährden trotz schärferer Sicherheitsvorgaben Küsten und Besatzungen

Aufräumarbeiten nach der Havarie der beiden »Volgoneft«-Tanker in der Straße von Kertsch
Aufräumarbeiten nach der Havarie der beiden »Volgoneft«-Tanker in der Straße von Kertsch

Auf dem Weg nach Texas stieß die »Atlantic Empress« in einem Sturm vor Tobago mit einem anderen Tanker zusammen und fing Feuer. Dabei verlor das 350 Meter lange Schiff mehr als 250 000 Tonnen Öl und sank nach zwei Wochen. Der Untergang des in Liberia registrierten Öltankers griechischer Eigner im Jahr 1979 gilt als die folgenschwerste Havarie in der Tankergeschichte. Seither ist die Schifffahrt über die sieben Weltmeere technisch und nautisch sicherer geworden. Gebannt ist die Gefahr von Havarien aber nicht. So sanken erst Mitte Dezember in einem Sturm in der Straße von Kertsch, die das Asowsche mit dem Schwarzen Meer verbindet, die russischen Tanker »Volgoneft 212« und »Volgoneft 239« mit Tausenden Tonnen schwerem Heizöl.

Das Schwarze Meer gehört seit langem zu den Hotspots des Havarie-Geschehens. Noch mehr Unfälle gibt es im östlichen Mittelmeer und in Südostasien. Allein von dort wurden in den vergangenen zehn Jahren 729 sogenannte Gesamtausfälle gemeldet. Dabei führen nur die wenigsten Unglücke zu einem solchen Totalschaden.

Die Zahl der weltweit gemeldeten Schiffsunfälle im Jahr 2023 betrug 2951, wie aus einem aktuellen Report des Unternehmensversicherers Allianz Commercial aus München hervorgeht. Vor allem Brände auf größeren Schiffen stellen für Sicherheitskräfte ein häufig unlösbares Problem dar und führen dann zu Totalverlusten, schweren Verletzungen und Todesfällen unter der Besatzung sowie zu erheblichen Umweltschäden.

Internationaler Handel führt zu 90 Prozent über die Ozeane. Die maritime Sicherheit gilt daher als wirtschaftlich, politisch und ökologisch »kritisch«. Das gilt besonders für die Tankschifffahrt, da auslaufendes Öl, Heizöl oder Benzin insbesondere in Küstennähe gewaltige Schäden verursachen können. Zugleich beziehen die meisten Staaten diese Energierohstoffe über die hohe See.

Jahrzehntelang besaßen die meisten Tanker nur eine einzige Hülle – dann trennt lediglich die Boden- und Seitenwand das Öl vom Meerwasser. Wird diese dünne Stahlhülle bei einem Zusammenstoß oder beim Auflaufen eines Schiffes auf Grund beschädigt, kann der Inhalt des Ladetanks ins Meer laufen. Solche Lecks können vermieden werden, wenn die Ladetanks in ausreichendem Abstand zur Außenhülle mit einer zweiten inneren Hülle umschlossen werden. Eine solche Doppelhüllenbauart schützt die Ladetanks bei Unfällen und reduziert so das Umweltrisiko.

Infolge der Havarie der »Exxon Valdez« im Jahr 1989 vor Alaska verabschiedeten die Vereinigten Staaten den »Oil Pollution Act«. Seither müssen alte wie neue Schiffe, die US-Gewässer anlaufen, Doppelhüllen besitzen. Daraufhin verschärften die Internationale Seeschifffahrtsorganisation in London und später die EU ebenfalls ihre Regeln. Seit 1996 müssen Öltanker mit einer Tragfähigkeit ab 600 Tonnen über eine Doppelhülle oder eine gleichwertige Konstruktion verfügen. Einhüllenschiffe werden seither nicht mehr gebaut und seit 2015 dürfen sie eigentlich nicht mehr zum Transport von Erdöl eingesetzt werden.

Dass sich daran alle Reeder und Schifffahrtsnationen halten, glauben Fachleute nicht. So stelle die russische »Schattenflotte« eine ernstzunehmende Bedrohung dar, sagt auf Anfrage ein Sprecher des Verbandes Deutscher Reeder in Hamburg. »Sie hält sich nicht an internationale Vorschriften und gefährdet so die maritime Sicherheit.« Viele Schiffe dieser Flotte, die russische Waren transportieren und unter anderer Flagge fahren, operierten ohne ordnungsgemäße Registrierung, seien nicht ausreichend versichert und verschleierten ihre Standortdaten. »Dies erhöht das Risiko von Sicherheitsvorfällen wie Kollisionen erheblich und gefährdet alle Schiffe, Besatzungen und die Meeresumwelt.«

Laut der Umweltorganisation Greenpeace geht es um 192 marode Tanker, die weltweit russisches Öl transportieren. 171 davon sind in den vergangenen zwei Jahren einmal oder öfter durch die deutsche Ostsee und das Seegebiet der Kadetrinne in der Mecklenburger Bucht gefahren. Doch das Problem der Seelenverkäufer ist weit größer: Der britische maritime Informationsdienst lloydslist.com kommt auf bis zu 460 Tanker, die unter dem Radar fahren, der Versicherer Allianz rechnet sogar mit bis zu 1400.

Dabei werde die globale Schattenflotte »immer größer«, befürchtet der Versicherer. Eine Folge von Krisen, Kriegen und Sanktionen – so transportiert der Iran Erdöl nach China, und die Bürgerkriegsparteien in Libyen finanzieren sich über Ölexporte wohl auch nach Europa. Zudem befördern Armut und Kriminalität im globalen Süden die illegale Tankschifffahrt.

Dabei spielt zunächst das Alter der Schiffe eine Rolle. So fuhren die gesunkenen Volgoneft-Tanker bereits ein halbes Jahrhundert lang. In der Ostsee ermittelte Greenpeace allerdings ein Durchschnittsalter der russischen Schattenflotte von lediglich 16,6 Jahren, was im Rahmen der normalen Betriebsdauer von drei Jahrzehnten läge.

Problematischer dürften fehlende Sicherheitsausstattung und mangelhafte Wartung sein. Der VDR verweist auf die »Schwarze Liste« des Pariser Übereinkommens zur Hafenstaatkontrolle, auf der sich ein Dutzend Flaggenstaaten wie die Ukraine, Vietnam und der Ölriese Aserbaidschan befinden, deren Schiffe überdurchschnittlich oft schwerwiegende Mängel aufweisen. Auch die 15 Flaggenstaaten in der »Grauen Liste«, darunter große Schifffahrtsnationen wie Südkorea, Indien und die Philippinen, bieten keine bestmögliche Sicherheit. Russland wird von den Sicherheitsexperten übrigens in der »Weißen Liste« notiert. Schiffe unter russischer Flagge weisen bei Inspektionen kaum oder nur sehr geringe Mängel auf.

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