• Kultur
  • Literatur und Gesellschaft

Franz Hohler: Immer nah dran

Der Schweizer Kabarettist und Schriftsteller Franz Hohler sichtet seine Freunde und Bekanntschaften

  • Alfons Huckebrink
  • Lesedauer: 3 Min.

Sage mir, mit wem du Umgang hast, pflegte meine Mutter ihr Verdikt über bestimmte meiner Freunde einzuleiten, um dann unwiderruflich und zumeist in despektierlichem Tonfall zu schlussfolgern: … und ich sage dir, wer du bist. Der Schweizer Kabarettist und Schriftsteller Franz Hohler scheint derartige Rückschlüsse nicht zu fürchten. In vorgerücktem Alter, er ist Jahrgang 1943, hat er tief in sein offenbar gut sortiertes Archiv gegriffen und eine stattliche Reihe von Beiträgen ausgewählt, die er unter dem Titel »Hohler & friends« zum Buch gemacht hat: Nachrufe, Preis- und Festreden, Vorworte, zufällige Begegnungen im ÖPNV.

Versammelt sind Reflexionen über einen Zeitraum von 50 Jahren. Ist das also alles Zweitverwertung? Nicht ausschließlich, umfasst das Buch doch die exquisite Sammlung 63 namentlich benannter Freunde (darunter 19 Freundinnen) mit ihren mehr oder weniger umfangreichen Porträts, die es ohne diese Klammer »Lebensrückschau« kaum geben würde. Neben Bekenntnissen zu erlauchten Namen wie Frisch, Bichsel, Wagenbach, Hüsch, Biermann (dem er noch in der Ostberliner Chausseestraße 131 seine Aufwartung machte) werden Leser auch bemerkenswerte Zeitgenossen schätzen lernen, die einen weniger großen Bekanntheitsgrad erreicht haben oder sich dessen nur in der Schweiz rühmen können. Den »Liederer« Linard Bardill etwa, Jahrgang 1956, mit seinen Lobliedern auf Mehrzweckhallen und der Kürzestdefinition unserer sogenannten Zweidrittelgesellschaft.

Veritable Entdeckungen also, ermöglicht durch Hohlers tief empfundene Würdigungen. Ja, Bestimmungen, Besonderheiten, Bewahrenswertes im Leben eines Menschen hervorkehren: Hohler kann es. Und sehr oft auch dessen Tragik herausstellen. Mal in Prosa, mal poetisch. Besonders anrührend gelingt dies anlässlich des Suizids von Niklaus Meienberg (1940–1993), dem unbequemen investigativen Schriftsteller, dem er bestürzende Verse nachruft: »Verwundet gingst du/ durch Oerlikon-City/ mit dem Traum von Paris im Kopf/ dem enttäuschten/ denn auch Paris/ wird immer mehr/ Züri-Nord«.

Ergreifend auch die Erinnerung an den charismatischen Liedermacher Mani Matter (1936–1972), der auf der A3 bei Kilchberg stirbt und kurz vor seinem Tod ein Libretto verfasst, in dem es heißt: »ich bin überfahren worden, weil ich unachtsam war. unachtsam war ich, weil ich an etwas anderes dachte. ich dachte daran, es sei schade, dass ich kein musiker bin.« Jahrzehntelang ist Jürg Wyttenbach (1935–2021), der befreundete Musiker, nicht in der Lage, die Komposition zu vollenden.

Hohler wäre nicht er selbst, würde er sich zum Ende nicht noch eine hübsche Irritation der Leser gestatten. Wer immer schon vermutet hat, Nachrufe und Laudationes lägen abrufbereit in der Schublade eines Autors, mag sich darin gestärkt fühlen. Rafik Schami, Jahrgang 1956, ist eine unveröffentlichte Rede für den nächsten ihm zukommenden Preis gewidmet, in der sich Hohler in die Situation des Freundes einfühlt, »dem die Erfindung seines zweiten Lebens gelungen ist, der sich in der fremden Sprache eingenistet hat wie ein Zugvogel, der sich entschlossen hat, nicht mehr dorthin zurückzufliegen, wo er herkommt«.

Stets ist er nah dran, am Menschlichen. Derart spiegelt sich Hohlers kreatives Leben in den Porträts seiner Freunde. Denn im Umkehrschluss gelten jene Worte, die er zur Abdankungsfeier des Satirikers César Keisers (1925–2007) gefunden hat, wohl auch für ihn. »Und so blieb er für mich ein Leben lang ein freundlicher Mensch und ein menschlicher Freund.« Ich würde sagen: Hohler ist ein begabter Freund menschlichen Bemühens.

Franz Hohler: Franz Hohler & friends. Begegnungen mit Elias Canetti, Friedrich Dürrenmatt, Klaus Wagenbach u. a. Luchterhand, 304 S., geb., 24 €.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -