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Eine Klasse für sich
Die Zahl der Privatschulen in Deutschland nimmt weiter zu
Nena, fünffache Mutter, mehrfache Großmutter und populär geworden als Musikerin (»99 Luftballons«) und zuletzt auch als Corona-Verharmloserin, haderte mit dem staatlichen Schulwesen. Im Jahr 2007 gründete sie deswegen die private Neue Schule Hamburg. »Wir haben nie behauptet, die beste Schule der Welt zu sein«, so Nena, »aber wir sind ein lebendiges Beispiel dafür, dass es auch anders geht.«
Eine »andere« Schule wünschen sich viele Eltern. Selbst in Hamburg, das im Verhältnis zu anderen Bundesländern und Metropolen im Bereich Bildung oft vergleichsweise gut abschneidet. Für ein Industrieland, dessen wichtigster Rohstoff Bildung ist, ist Deutschlands Stand in internationalen Vergleichen enttäuschend.
Laut OECD sind die Ausgaben für Bildung zudem unterdurchschnittlich. Trotz insgesamt verbesserter Ausgangslage in der Bildungsbeteiligung ist der »Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft, Schulart und Kompetenzerwerb weiterhin stark ausgeprägt«, kritisiert das Leibniz-Institut für Bildungsforschung in Frankfurt.
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In Hamburg hat mehr als die Hälfte der Kinder in der Grundschule laut Schulbehörde einen Migrationshintergrund, bei mehr als einem Drittel der Familien wird zu Hause überwiegend nicht Deutsch gesprochen. Der wohlhabende Stadtstaat reagiert mit Sprachtests für alle Kinder anderthalb Jahre vor der Einschulung, relativ kleinen Klassen, Förderung von Brennpunktschulen nach einem Sozialindex und üppigen Investitionen in den Schulbau.
Dennoch picken sich vor allem »bildungsnahe« Eltern mit und ohne Migrationshintergrund gerne Rosinen – mit geringer Migrationsquote, hoher Sprachkompetenz und bürgerlicher Elternschaft – aus dem staatlichen Schulkuchen heraus. Rosinen, die meist in teuren Stadtteilen wie Blankenese, Eppendorf oder der Villengegend Harburgs zu finden sind.
Oder aber, sie schicken ihre Kinder gleich in eine Privatschule. Diese haben häufig einen guten Ruf und sind üblicherweise kleiner, manchmal geradezu kuschelig – an Nenas Neuer Schule werden weniger als 100 Kinder unterrichtet. Öffentliche Schulen sind vielerorts geschlossen und die verbliebenen vergrößert worden. Politiker und Stadtkämmerer führten dafür gerne ökonomische Zwänge an und verwiesen auf klamme kommunale Kassen.
Privatschulen boomen nicht allein in Hamburg. Ihre Zahl nimmt in ganz Deutschland zu: Im Schuljahr 2023/24 waren 3798 allgemeinbildende Schulen hierzulande in privater Trägerschaft, teilte das Statistische Bundesamt anlässlich des »Internationalen Tages der Bildung« mit. Zwölf Prozent der Schulen, also jede achte Einrichtung, sind demnach Privatschulen. Ihre Zahl ist in den vergangenen zehn Jahren deutlich gestiegen: Im Schuljahr 2013/2014 gab es erst 3527. Auch die Zahl der Privatschüler hat deutlich zugelegt: von rund 730 000 auf über 800 000. Seit den Neunzigerjahren ist ihre Zahl nahezu kontinuierlich gewachsen und hat sich in diesem Zeitraum verdoppelt.
Kommerzielle Interessen der Eigentümer spielen dabei meist eine untergeordnete Rolle. Eher sind es ideologische: So sind selbst im protestantisch geprägten Hamburg etwa ein Drittel der Schulen in freier Trägerschaft katholisch. Finanziert werden auch diese hauptsächlich aus öffentlichen Geldern. Doch die tatsächlichen Kosten werden durch die staatliche Finanzhilfe bei Weitem nicht gedeckt.
Deswegen investiert beispielsweise das Erzbistum Hamburg Jahr für Jahr mehr als 20 Millionen Euro in seine Schulen. Das sei der Grund, weswegen sich Eltern an der Finanzierung beteiligen würden, erklärt das Erzbistum. Aufgrund dieses Drei-Säulen-Modells haben Privatschulen gegenüber der öffentlichen Konkurrenz häufig einen wirtschaftlichen Wettbewerbsvorteil.
Am höchsten war das beim Finanzamt geltend gemachte Schulgeld in Hessen mit 3230 Euro pro Jahr, am niedrigsten in Sachsen mit 1239 Euro.
Zugleich können Privatschulen in vielen Fällen ein kostspieliges Vergnügen für die Eltern sein. Für einen Platz muss meistens Schulgeld gezahlt werden. Im Schuljahr 2023/24 wurde für rund 600 000 Kinder in der Lohn- und Einkommensteuer Schulgeld geltend gemacht. 2032 Euro im Jahr zahlten deren Eltern im Durchschnitt. Deutliche Unterschiede zeigen sich dabei regional: Am höchsten war das durchschnittlich beim Finanzamt geltend gemachte Schulgeld in Hessen mit 3230 Euro je Kind pro Jahr, am niedrigsten in Sachsen mit 1239 Euro.
Für den Besuch von Nenas Neuer Schule in Hamburg wird ein monatliches Schulgeld in Höhe von 170 Euro erhoben. Hinzu kommen Material- und Essensgeld. Es besteht die Möglichkeit, das Schulgeld mittels eines Stipendiums zu reduzieren.
Dass Elternbeiträge nicht noch höher ausfallen, liegt auch am Grundgesetz. Denn eine »Sonderung« der Schülerinnen und Schüler durch Privatschulen »nach den Besitzverhältnissen der Eltern« ist demnach verboten. Schulen sind deswegen verpflichtet, das Schulgeld nach dem Einkommen der Eltern zu staffeln. Ob das Sonderungsverbot tatsächlich eingehalten wird, ist zumindest umstritten.
In Hamburg schnitten die Privatschüler im Bildungsvergleich jedenfalls insgesamt besser ab als an staatlichen Schulen. Was zeigt, dass Privatschulen trotz Grundgesetz doch eher einen exklusiven Club darstellen.
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