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Deutschland: Vorreiter der Repression

Der Soziologe Alexander Glasner-Hummel über die hiesige Verfolgung von Kurden und die Auswirkungen auf die Demokratie

  • Interview: Alieren Renkliöz
  • Lesedauer: 6 Min.
Auch Symbole der syrisch-kurdischen Miliz YPG wurden immer wieder in Deutschland kriminalisiert.
Auch Symbole der syrisch-kurdischen Miliz YPG wurden immer wieder in Deutschland kriminalisiert.

Sie vertreten die These, dass sich in der Repression gegen Kurd*innen in Deutschland ein Demokratiedefizit des Staates zeigt. Warum ist das so?

Demokratie basiert nicht nur auf Wahlen. Auch in Deutschland bedeutet die freie Wahl nicht automatisch eine perfekte Demokratie. Denn Demokratie braucht immer auch die Freiheit der Diskussion und der Selbstorganisation. Genau das wird der kurdischen Freiheitsbewegung jedoch systematisch hierzulande verwehrt. Razzien gegen kurdische Vereine schüchtern etwa viele Kurd*innen ein. Beeindruckend ist aber, dass trotz der Repression ein vielfältiges Engagement fortbesteht.

Eine Demonstration von Kurd*innen gilt in Deutschland als etwas Gefährliches. Woher kommt dieser Ruf?

Die Bewegung ist seit den 90er Jahren mit dem Terrorismus-Stigma behaftet. Damals wurde sogar diffamierend von »Terror-Kurden« in der Öffentlichkeit gesprochen. Dieses Stigma hindert Journalist*innen daran, Vertreter*innen der Bewegung zu interviewen. Sie werden nicht selten als Kriminelle oder Terrorist*innen eingestuft und sind daher keine legitimen Gesprächspartner*innen mehr. Dadurch wird die Bewegung daran gehindert, gleichwertig an der öffentlichen Debatte teilzunehmen. Aktivist*innen und Politiker*innen der Bewegung werden zudem als vermeintliche PKK-Terrorist*innen angeklagt. Sie werden inhaftiert und erhalten nach der Entlassung im Rahmen der sogenannten Führungsaufsicht ein politisches Betätigungsverbot. Diese Repressionsmaßnahmen behindern die Bewegung klar bei ihrer Arbeit.

Interview

Alexander Glasner-Hummel ist Soziologe und Teil des Sprecherkreises des Zentralen Menschenrechtsrats der Kurd*innen in Deutschland. Derzeit promoviert er in den Kommunikationswissenschaften an der
Ludwig-Maximilians-Universität München zum Thema »Die Wirkungen von Repres­sion auf Öffentlichkeit«. Gemeinsam mit Monika Morres und Kerem Schamberger veröffentlichte er 2023 das Buch »Geflohen. Verboten. Ausgeschlossen – Wie die kurdische Diaspora in Deutschland mund­tot gemacht wird«.

Der kurdische Verleger Ali Kaya kritisiert, dass Kurd*innen außerhalb des Grundgesetzes stehen würden. Kaya war Direktor des 2019 vom Bundesinnenministerium verbotenen Mezopotamien-Verlags. Wie bewerten Sie das?

Die Versammlungs-, Vereinigungs- und damit letztlich auch Meinungsfreiheit sind für Kurd*innen, die im Sinne der kurdischen Freiheitsbewegung aktiv sind, stark eingeschränkt. Kurdische Versammlungen werden oft von der Polizei behindert oder ganz verboten. Zudem sind mehr als 30 Symbole der Bewegung kriminalisiert. Auch zentrale Slogans wie »Bijî Serok Apo« (Es lebe der Anführer Apo, gemeint ist PKK-Gründer Abdullah Öcalan) werden regelmäßig kriminalisiert. Auch die Publikationsfreiheit ist betroffen: Der Mezopotamien-Verlag, dessen Publikationen zu Völkerverständigung beitrugen, wurde 2019 mit dem Vorwurf geschlossen, seine Einnahmen würden der PKK zugutekommen. Ein absurder Vorwurf, weil der Verlag defizitär war.

Wo liegen die Ursachen für die Repression von Kurd*innen in Deutschland?

Die deutsch-türkischen Beziehungen sind der wichtigste Grund für die Repression. Die Türkei geht weltweit gegen die freie politische Betätigung der Kurd*innen vor. Das wird von Deutschland umfassend unterstützt. Als das türkische Militär 1980 putschte, war Deutschland das erste Land, das wieder diplomatische Beziehungen mit der Türkei aufnahm. Nach dem Zusammenschluss der DDR und der BRD lieferte Deutschland alte NVA-Bestände in die Türkei. Diese setzte das türkische Militär im Krieg gegen die kurdische Zivilbevölkerung ein. Heute sind über 8000 deutsche Unternehmen in der Türkei tätig und das Außenhandelsvolumen wächst stetig. Zudem spielt die Türkei eine zentrale Rolle in der Flüchtlingspolitik. Als geostrategischer Partner im Nahen Osten ist sie unglaublich wichtig für die Nato.

Der deutsche Staat geht bereits seit vielen Jahren gegen Kurd*innen vor. Wann fing das an?

Ab 1986 begann die systematische Repression gegen die kurdische Freiheitsbewegung in Deutschland, noch vor dem PKK-Verbot von 1993. Viele kurdische Aktivist*innen und PKK-Mitglieder wurden verhaftet. Ihnen wurde vorgeworfen, eine terroristische Vereinigung innerhalb der PKK gebildet zu haben. Im Düsseldorfer Prozess wurden jedoch viele Widersprüche in der Argumentation der Staatsanwaltschaft aufgedeckt. Sie konnte nicht nachweisen, was genau die angebliche terroristische Vereinigung innerhalb der PKK war. Schließlich fielen viele Vorwürfe. Von den 19 ursprünglich Angeklagten wurden nur vier verurteilt, und dies unter sehr fragwürdigen rechtsstaatlichen Umständen. Laut Bundesanwalt war die Verurteilung nur aufgrund der Aussagen eines Kronzeugen möglich. Dieser hatte jedoch ein Eigeninteresse daran, seine ehemaligen Mitstreiter*innen zu belasten. Denn ihm wurde Strafnachlass für seine Aussagen gegen die PKK versprochen. Zudem wurde der Prozess zur Blaupause für spätere Verfahren gegen kurdische Aktivist*innen nach den 129er-Paragrafen des Strafgesetzbuchs (StGB).

Was hat es mit dem Paragraf auf sich?

Eigentlich handelt es sich um mehrere Paragrafen. Heute werden gegen die kurdische Freiheitsbewegung insbesondere die Paragrafen 129a – Bildung einer terroristischen Vereinigung – und 129b – Anwendung von 129a auf terroristische Vereinigungen im Ausland – angewandt. Sie sind das schärfste Instrument der Repression des deutschen Staates. Sie richten sich nicht gegen die breite Masse der Aktivist*innen, sondern gegen herausgehobene vermeintliche PKK-Kader. Bei solchen Anklagen werden in der Regel Haftstrafen von drei bis fünf Jahren verhängt. Anschließend dürfen Verurteilte im Rahmen der sogenannten Führungsaufsicht keine politischen Aktivitäten mehr ausüben. Es geht dabei nicht um das individuelle Verhalten der Angeklagten, sondern um ihre Zugehörigkeit zur PKK, die als terroristische Vereinigung gilt. Die Verfahren konzentrieren sich darauf, diese Zugehörigkeit nachzuweisen. Die PKK wird als terroristische Vereinigung betrachtet, weil sie etwa auf der EU-Terrorliste steht, und die Gerichte stellen daher nur noch die Frage, ob der Angeklagte Mitglied dieser Gruppe war.

Im November 1993 erließ das Innenministerium das PKK-Betätigungsverbot. Kurdische Organisations-, Geschäfts- und Wohnräume in über 100 Orten und insgesamt 35 Vereine waren betroffen. Inwiefern hatte das auch Auswirkungen auf die kurdische Kultur?

Immer wieder wird auch kurdische Kultur im Zuge des PKK-Verbots kriminalisiert: So werden etwa auch die Vereinsräumlichkeiten kurdischer Vereine, die vor allem Kulturarbeit leisten, regelmäßig durch die Polizei durchsucht. Immer wieder wird auch ein lediglich kulturelles Engagement in einem kurdischen Verein als Grund herangezogen, um eine Person nicht einzubürgern. In unserem Buch haben wir etwa den Fall einer Frau dokumentiert, die in einer Folkloregruppe eines kurdischen Vereins aktiv war. Ihr wurde die Einbürgerung verweigert, weil dieser Verein auch politische Arbeit macht und für die deutschen Behörden als PKK-nah gilt.

Die Türkei gewinnt als Nato-Partner an Bedeutung. Um beizutreten, hat etwa Schweden die Verfolgung von Kurd*innen verschärft. Wohin entwickelt sich die politische Situation der Kurd*innen europaweit?

Deutschland ist der Vorreiter bei der Repression gegen Kurd*innen in der Diaspora. Länder wie Schweden haben jedoch im Zuge ihres Nato-Beitritts nachgezogen. Auch in Frankreich gibt es Anzeichen verstärkter Repression. Doch die kurdische Freiheitsbewegung erzielt dagegen auch immer wieder juristische Erfolge. So wurden etwa Verbote von YPG- und PYD-Flaggen aufgehoben. Ein großer juristischer Erfolg war das Urteil des höchsten belgischen Gerichts, das entschied, dass die PKK nicht als terroristische Vereinigung einzustufen ist, da sie keine Anschläge auf Zivilisten verübt. Es hat sich immer wieder gezeigt, dass die Bewegung sich nicht unterdrücken lässt, da sie aus der Repression gegen sie lernt. Das gilt in Europa genauso wie in Kurdistan.

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