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Brief von Burkhard Garweg: Sozialromantisch und kämpferisch
Mit seinem Text unternimmt Burkhard Garweg einen Ritt quer durch die Geschichte der radikalen Linken – ganz im Geist der 1980er Jahre
Markus Mohr schreibt im nachfolgenden Text über den Brief von Burkhard Garweg. Der mit riesigem Aufwand polizeilich Gesuchte greift in seinem Schreiben aus der Illegalität viele Themen linker Bewegungen auf. Deshalb haben wir mit Markus Mohr und Hanna Poddig zwei Aktivist*innen gebeten, den Brief aus ihrer Sicht zu würdigen.
Kurz vor Weihnachten 2024 meldete sich Genosse Burkhard Garweg unter der Überschrift »grüße aus der illegalität« mit einem ausführlichen Schreiben öffentlich zu Wort. Von den Sicherheitsbehörden wird er verdächtigt, sich irgendwann einmal in der RAF engagiert zu haben. Als er das erste Mal als Gesuchter in der Presse auftaucht, ist es schon Ende Juli 1998. Das ist drei Monate, nachdem das Kollektiv RAF sein Projekt nach 28 Jahren beendet hatte. Die »Tageszeitung« informierte damals über eine als »intern« bezeichnete Analyse des Bundesamts für Verfassungsschutz unter dem Titel »Die Auflösung der RAF«: Es seien »nur noch drei Personen (…) als mutmaßliche Mitglieder der letzten RAF-Generation« gelistet. Neben den Namen von Daniela Klette und Ernst Volker Staub findet sich auch erstmals der Name von Garweg, »dessen Verschwinden auffiel, weil er sich auf Aufforderung nicht bei der Bundeswehr meldete«. Unter Berufung auf die Klage eines anonymen Insiders wird dann noch ausgeführt, dass »besonders zu Garweg« leider gelte: Hier »weiß keiner irgendwas Genaues.« Das reichte damals den Ermittlern, um ihn der RAF zuzurechnen.
In seinem aktuellen Schreiben adressiert Garweg Freund*innen und Genoss*innen, aber auch alle, »die sich mit meiner und unserer Sicht auseinandersetzen wollen«. Sein Aufruf soll gerne aufgegriffen werden, zumal Garweg sich in diesem Schreiben als Teil der revolutionären Linken bekennt, darin auch weiterhin die Idee und Praxis der linken Fundamentalopposition nach der globalen Revolte von 1968 reklamiert und sein Text mit einer instruktiven Parole des autonomen Flügels der Westberliner Hausbesetzerbewegung aus den frühen 1980er Jahren eröffnet wird: »Legal, illegal, scheißegal«.
Er eröffnet seinen Text mit einer instruktiven Parole der autonomen Westberliner Hausbesetzerbewegung.
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Die Inhaftierung seiner Genossin Daniela Klette Ende Februar 2024 – von der er in einer beeindruckenden Geste der Solidarität von ihrer unmittelbar bevorstehenden Festnahme informiert worden war – kennzeichnet er als im Geiste des Krieges ergriffene Maßnahmen hochgerüsteter Polizeibeamter, um durch die »fortwährende Propagierung unserer Gewalttätigkeit und Gefährlichkeit« die Bevölkerung »zur Fahndung zu mobilisieren«. Mehr noch und hier historisch ausgreifend schreibt Garweg: »Vor allem aber geht es ihnen mit dem erzeugten Bild krimineller Gewalttäter*innen darum, die Geschichte der Fundamental-Opposition zu entpolitisieren und zu denunzieren – jene Geschichte des historischen Versuchs, zur Befreiung von den Gewaltverhältnissen des Kapitalismus beizutragen, der aus dem Widerstand der (19)68er Bewegung hervorgegangen und mit den weltweiten revolutionären und antikolonialen Kämpfen verbunden war.«
Strukturelle Gewalt
Unter mehrfachen Rückgriff auf den von Johann Galtung 1971 vorgeschlagenen Begriff der »strukturellen Gewalt« beschreibt Garweg die Welt wie auch die herrschende Situation in der Bundesrepublik als eine Dystopie. Sie ist ein schlechter Ort, in der aktuell keine Aussicht auf eine gelingende und glückliche Zukunft auszumachen steht. Dabei besteht ein guter Grund, den Begriff der strukturellen Gewalt stark zu machen, wenn man sich ohnmächtig fühlt. Die Liste derjenigen ist lang, die von Garweg als Verprügelte, Niedergewalzte, Erschossene aus den letzten Jahrzehnten benannt werden. Es sind diejenigen, die »von den wahren Gewaltverhältnissen im kapitalistischen System« ein Lied singen können: »Die, die gegen den Genozid in Gaza demonstrieren (…) die, die sich organisiert auf der Straße festklebten, um gegen die Zerstörung allen Lebens auf diesem Planeten durch den Kapitalismus zu demonstrieren (…) die, die aus ihren Dörfern vertrieben werden, weil Energiekonzerne mit den dortigen fossilen Brennstoffen Profite machen wollen. (…) 360 Femizide im Jahr 2023 (…) die Genoss*innen, die sich gegen die Unterdrückung von Kurd*innen organisieren, (…) und die dafür als PKK-Mitglieder von der deutschen Justiz verfolgt und für Jahre im Gefängnis eingesperrt werden.«
Eben das sind Folgen einer brutalen, global organisierten Klassenwirklichkeit, in der auch in der Bundesrepublik durch ihre Protagonisten immer wieder offen mit den Zähnen gefletscht wird. Vorbehaltlos ist Garweg dort zuzustimmen, wo er schreibt: »Politik und Polizei reden gerne von migrantischen Clans, als seien diese das Problem der Gesellschaft. Nie reden sie jedoch von den Clans der Hohenzollern oder Quants, obwohl diese mit ihrem immensen Reichtum und der Verteilung für den Wahnsinn des Kapitalismus stehen und für diesen Wahnsinn mitverantwortlich sind. Weltweit besitzen die reichsten 85 Menschen so viel Vermögen wie die 3,5 Milliarden der Ärmsten zusammen.«
Säulen der bürgerlichen Gesellschaft
Dass eben dies für den Verfasser nicht nur aktuelle Einfälle sind, macht sein expliziter Verweis auf eine Bemerkung von Peter Brückner aus dem Jahr 1976 deutlich: »Gewalt ist das Fundament der bürgerlichen Gesellschaft: im Elend ihres Strafvollzugs, in den Ghettos unterhalb des bürgerlichen Alltags, in der Militarisierung der ›inneren Sicherheit‹, in ihrem Ausbeutungsverhältnis.« Ja, so kann man es auch heute anprangern. Von Michael Sontheimer, der – aus unbekannten Gründen ein Staatsschutzmodul aufgreifend und in NS-Terminologie – Garweg »zum letzten Aufgebot der dritten Generation der RAF« rechnet, wurde in der »Zeit« vom 16. Januar 2025 gemault, dass dieser in seinen Darlegungen »auf einen schlichten Antikapitalismus« zurückfalle. Einmal ganz davon abgesehen, dass auch Sontheimer von der Holtzbrinck-Verlagsgruppe, der Eigentümerin der »Zeit«, keine Lizenz dafür ausgestellt würde, in den konzerneigenen Medien einen – sagen wir – komplexen Antikapitalismus zu propagieren, was soll eigentlich prinzipiell falsch oder gar verwerflich an einem schlichten Antikapitalismus sein? Die ultrareich gewordenen Eliten haben ihren Subalternen Kriege, Mauern, Stacheldraht, Knast und Deportation beziehungsweise am Ende das exklusiv auf sie selbst beschränkte Verpissen auf den Mars anzubieten. In dieser Situation wird auch die Idee und die Praxis eines schlichten Antikapitalismus wieder eine zunehmend stärkere politische Anziehungskraft entfalten.
Auch wenn der Text zuweilen ein bisschen wahllos quer durch die Geschichte der radikalen Linken bis zurück zur Situation unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg ausholt: In Bezug auf die politischen Prämissen der RAF seit dem Jahr 1984, als eine neue Generation an den Start gegangen ist und die Säulen des Kapitalismus bestimmt hat, um sie anzugreifen, lässt das Schreiben historische Tiefe vermissen. Das wird auch an dem Brückner-Verweis deutlich. Brückner wäre in den 1970er Jahren von Genoss*innen der RAF auch im Traum deshalb nicht zitiert worden, weil sie ihm Ende November 1976 durch ihren Rechtsanwalt Claus Croissant öffentlich haben ausrichten lassen, dass er mit seinem Buch im Wagenbach-Verlag über Ulrike Meinhof »eine mit Fälschungen gespickte Apologie der Kapitulation und des Verrates« verfasst habe.
Dem Text fehlt der Sound einer revolutionären Poesie, aber ihn durchzieht ein sozialromantischer Faden, für den es gar nicht so schwer ist, Sympathie zu mobilisieren – eine Sympathie übrigens, auf die die RAF Zeit ihrer Existenz bis zu ihrer Erklärung vom April 1992 keinen Wert gelegt hat. Zugleich reflektiert sich in ihm die enorme Leistung, sich dem Strafanspruch des Staates schon seit drei Jahrzehnten erfolgreich entzogen zu haben. Und diese autonome Haltung findet sich in dem Text wohlbegründet gerade gegenüber den Sicherheitsbehörden, denen auch eine Praxis, die – mit aller gebotenen Zurückhaltung – faschistisch genannt werden muss, gar nicht fremd ist. Man denke hier nur an die Auslieferung der Antifaschistin Maya T. an Ungarn. Sie wurde in der Nacht vom 28. Juni 2024 um zwei Uhr mit der Absicht aus der Gefängniszelle herausgezerrt, eine gegenläufige Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zu unterlaufen. So erinnert die kämpferische Botschaft von Garweg eben auch daran, dass es die frühe RAF war, die sich für die politisch bestimmte Praxis einer illegalen Organisierung als eine Vorbedingung für Fundamentalopposition starkgemacht hat.
Burkard Garweg ist für seinen weiteren Lebensweg als freier Genosse jede nur erdenkliche Unterstützung zu wünschen. Eine Hilfe, die nicht doziert, sondern hilft!
Markus Mohr war seit 1981 immer mal wieder Teil autonomer Gruppen und ist heute Mitglied der Roten Hilfe.
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