Bundestag verabschiedet Antisemitismusresolution für Hochschulen

Wissenschaftler sehen in dem Entschließungsantrag von CDU, SPD, Grüne und FDP die Wissenschaftsfreiheit gefährdet

Bildungspolitik – Bundestag verabschiedet Antisemitismusresolution für Hochschulen

Es ist die Woche der brisanten Bundestagsresolutionen. Im Fokus der Öffentlichkeit stehen vor allem die Migrationsanträge der CDU. Am Mittwoch wurde aber noch ein weiterer umstrittener Entschließungsantrag vom Parlament verabschiedet: Die Bundestagsresolution mit dem sperrigen Titel »Antisemitismus und Israelfeindlichkeit an Schulen und Hochschulen entschlossen entgegentreten sowie den freien Diskursraum sichern« – ein gemeinsames Papier von CDU, SPD, Grünen und FDP.

SPD, Grüne, FDP, CDU und AfD stimmten am Mittwochabend für die Resolution. Das BSW stimmte dagegen, die Gruppe der Linken enthielt sich.

Die Befürworter der Resolution sehen in ihr ein wichtiges Bekenntnis zum Kampf gegen Antisemitismus an Hochschulen. Zahlreiche Wissenschaftler*innen dagegen hatten im Vorfeld versucht, das Vorhaben zu verhindern – denn sie sehen in dem Papier eine Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit.

»Jüdische und israelische Schülerinnen und Schüler, Studierende, Lehrende und Mitarbeitende sehen sich starken persönlichen und zunehmend auch gewaltsamen Anfeindungen und Bedrohungen ausgesetzt«, heißt es in dem Text. Aber auch nicht-jüdische Schülerinnen und Schüler, Studierende, Lehrende und Mitarbeitende, die ihre Solidarität mit dem Staat Israel sowie den Jüdinnen und Juden in Deutschland und weltweit zum Ausdruck bringen, würden vielerorts in Deutschland bedroht.

Die von den beteiligten Parteien genannte Bedrohung führen sie insbesondere auf Organisationen oder Vereine, die mit Islamisten sympathisierten, zurück. Dann heißt es weiter: »An Hochschulen fanden und finden Proteste und Protestcamps statt, in deren Rahmen unter anderem antiisraelische und antisemitische Parolen verbreitet werden.« Der Nährboden dieser Bedrohung sei ein offener und gewalttätiger Antisemitismus »islamistischer, linksextremistischer und rechtsextremistischer Akteure«.

Dann folgen Forderungen konkreter Maßnahmen, mit denen Antisemitismus in Bildungseinrichtungen bekämpft werden soll – hier einige Punkte:

  • Mehr Forschungsförderung der Bundesregierung im Bereich Antisemitismusforschung;
  • Konsequentes Vorgehen gegen »antisemitisches Verhalten« in Bildungseinrichtungen und Zusammenarbeit mit Sicherheitsbehörden;
  • Bildungsangebote für Staatsdienstler »für den Erwerb grundlegender Kenntnisse über Antisemitismus, die jüdische Geschichte und Gegenwart sowie die Geschichte des Staates Israel«;
  • Fördermittelvergabe solle ausschließlich nach wissenschaftlicher Exzellenz erfolgen. Antisemitismus schließe wissenschaftliche Exzellenz aus;
  • Aktivitäten von Gruppierungen, »die israelbezogenen Antisemitismus verbreiten, zu deren Mittel auch Boykottaufrufe, Delegitimierung, Desinformation und Dämonisierung des jüdischen Staates gehören«, sollen unterbunden werden.

Wie in der »Bundestagsresolution zum Schutz jüdischen Lebens«, die im November verabschiedet wurde, soll auch hier die umstrittene IHRA-Arbeitsdefinition für Antisemitismus als Grundlage dienen – der Bundestag hat diese 2019 als Resolution angenommen. Aus Sicht vieler Antisemitismusforscher*innen ist diese Definition zu vage formuliert und lässt damit Raum offen, auch nicht-antisemitische Kritik an Israel als Antisemitismus auszulegen.

In einer Stellungnahme von Anfang Januar kritisierte die Die Allianz für Kritische und Solidarische Wissenschaft (Krisol) die Resolution. Zwar sei das Antragsziel, antisemitischer Diskriminierung und Gewalt an Schulen und Hochschulen entgegenzutreten, richtig und notwendig. Der Antrag verfehle dieses Ziel aber und bedeutete »höchst problematische Eingriffe in Forschung, Lehre sowie in das schulische und universitäre Leben«.

Zum einen kritisiert die Allianz die isolierte Behandlung von Antisemitimus. Der Text fokussiere sich ausschließlich auf Antisemitismus und Israelfeindlichkeit, während eine vergleichbare Initiative gegen andere Formen von Rassismus fehlten, heißt es in der Stellungnahme. »Dadurch besteht die Gefahr, dass Rassismus und dessen Zusammenhänge mit (und Unterschiede zum) Antisemitismus in Forschung, Lehre und Bildung vernachlässigt werden, insbesondere angesichts gekürzter Fördermittel.«

Zudem bemängeln die Wissenschaftler*innen die Fokussierung auf Israels Geschichte und Gegenwart bei gleichzeitiger Vernachlässigung des Nahostkonflikts und der Geschichte Palästinas. »Der Antrag droht den Wissensmangel zu verstärken, da er andere Perspektiven – insbesondere zur palästinensischen und arabischen Geschichte – marginalisiert.« Solche Perspektiven seien jedoch essenziell, um die Komplexität des Nahostkonflikts sowie Israels Geschichte und Gegenwart zu verstehen.

Besonders die Passage zur Forschungsförderung wirft für die Kritiker*innen Fragen auf. »Zunächst werde festgehalten, dass die Fördermittel des Bundes nur nach Maßstäben der wissenschaftlichen Exzellenz vergeben werden sollen.« Hier hätte der Antragstext enden müssen, so die Allianz. Jede weitere Ausführung müsse als eine Einschränkung dieser Feststellung verstanden werden.

»Was gilt hier als Ausweis von Antisemitismus? Wird das Projekt auf antisemitische Narrative überprüft oder geht es um eine Überprüfung der beteiligten Person?« In sehr unklarer Sprache öffne der Antragstext eine Büchse der Pandora, an deren Ende eine Gesinnungsprüfung der wissenschaftlichen Forschenden und der Forschung stehen könne.

Der Entschließungsantrag ist lediglich eine Meinungsäußerung des Parlaments und damit nicht rechtlich bindend. Trotzdem könnten Bildungsinstitutionen und Bundesregierung die Forderungen mit Berufung auf die Bundestagsresolution umsetzen.

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