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Dammbruch: CDU und Merz paktieren mit AfD
Knappe Mehrheit für »Fünf-Punkte-Plan« zur »Beendigung der illegalen Migration« durch Zustimmung der AfD
Viele Redner, unter ihnen auch Kanzler Olaf Scholz (SPD), Unionsfraktionschef Friedrich Merz, Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und FDP-Chef Christian Lindner, sprachen am Mittwoch im Bundestag von einem historischen Moment. Der Grund: Erstmals nahmen CDU und CSU sowie die FDP es sehenden Auges hin, eine Mehrheit für Anträge zur Verschärfung des Asylrechts mit Hilfe der AfD zu bekommen. Und zumindest bei einem von zwei am Mittwoch von der CDU-CSU-Fraktion eingereichten Entschließungsanträgen kam es zur Allianz mit der extremen Rechten.
Dieser Antrag, der symbolische Bedeutung, aber rechtlich nicht bindend ist, entsprach dem »Fünf-Punkte-Plan« von Merz mit »umfassenden Maßnahmen zur Beendigung der illegalen Migration, zur Sicherung der deutschen Grenzen und zur konsequenten Abschiebung vollziehbar ausreisepflichtiger Personen, insbesondere von Straftätern und Gefährdern«. Gefordert werden dauerhafte Kontrollen an allen deutschen Grenzen, die pauschale Inhaftierung Ausreisepflichtiger und die Inhaftierung und schnelle Abschiebung von ausländischen »Straftätern und Gefährdern«. All dies erhielt eine knappe Mehrheit von 348 Stimmen. 345 Abgeordnete votierten dagegen. Zehn Parlamentarier enthielten sich, davon 8 BSW-Abgeordnete. Das heißt: Sie hätten mit einem Nein den CDU-Antrag scheitern lassen können.
Der zweite Unionsantrag scheiterte dagegen. Er bekam 190 Ja-Stimmen, 509 Nein-Stimmen und drei Enthaltungen. In der Debatte hatten sich Abgeordnete von SPD, Grünen, Linke, BSW, AfD und FDP dagegen positioniert, obwohl – mit Ausnahme der Linke-Politiker – viele von ihnen zahlreiche der darin geforderten 27 Maßnahmen »für eine Stärkung der Inneren Sicherheit« und ebenfalls zur »Beendigung der illegalen Einwanderung« befürworten.
Die 27 Punkte in diesem Antrag betrafen die Aushebelung des Datenschutzes und die Ausweitung von Ermittlungsbefugnissen für Polizeien und andere Behörden. Unter anderem wird ein »ganzheitliches Bedrohungsmanagement« vorgeschlagen, das vor allem eine engere Zusammenarbeit von Sicherheitsbehörden mit Psychiatrien beinhaltet. Für psychisch kranke Gewalttäter soll eine neue »Gefährderkategorie« eingeführt werden. Zugleich soll die »Stigmatisierung« psychisch Kranker ausgeschlossen werden.
Weiter werden noch härtere Strafen für Personen gefordert, die Sicherheits- und Rettungskräfte angreifen. Andere Punkte betreffen den Schutz der EU-Außengrenzen und die Begrenzung der Sozialleistungen für Ausreisepflichtige nach dem Grundsatz »Bett, Brot, Seife«.
Viele Punkte in diesem Antrag sind aber auch im sogenannten Zustrombegrenzungsgesetz der Union enthalten, das schon im September in den Bundestag eingebracht wurde und über das nun am Freitag abgestimmt werden soll. Neben der AfD und der FDP kündigte auch Sahra Wagenknecht für das BSW an, dem Gesetzentwurf zuzustimmen. Am Freitag dürfte es damit erneut zu einer Allianz von Union, FDP, BSW und extremen Rechten kommen. Die wird dann auch konkrete Folgen haben wie den generellen Stopp der Einreise der engsten Angehörigen von Kriegsflüchtlingen, die nur einen sogenannten subsidiären Schutzstatus haben. Dies betrifft die Mehrheit der Geflüchteten aus Syrien.
Olaf Scholz verwies in seiner Regierungserklärung vor der Abstimmung auf die vielen Asylrechtsverschärfungen, die unter seiner Führung bereits durchgesetzt worden seien. »Mit einigen Maßnahmen sind wir hart an die Grenze dessen gegangen, was unsere Verfassung und das Europarecht zulassen«, räumte er dabei ein und fügte hinzu: »Über geltendes Recht hinaus kann und darf man aber nicht gehen.« Er bezog sich damit auf die Forderungen der Union, die nicht europa- und verfassungskonform seien.
Mit Blick auf Unionsvorwürfe, er komme seinen Verpflichtungen als Kanzler nicht nach, sagte Scholz: »Was dem deutschen Volk schadet, sind Scheinlösungen, die den Rechtsstaat und unsere Verfassung beschädigen, die Deutschlands Ansehen in der Welt beschädigen.« Er verwies auch auf einen Brandbrief der großen Kirchen, den diese an alle Abgeordneten des Bundestags geschickt hatten und in dem sie diese aufforderten, rechtswidrigen Vorhaben der Union nicht zuzustimmen und die Pläne vor allem nicht gemeinsam mit der AfD durchzusetzen.
Auch Scholz mahnte, Unterstützung bei AfD zu suchen, sei ein »unverzeihlicher Fehler«, zudem breche Merz damit noch im November gegebene Versprechen. Außerdem würde die Union mit pauschalen Zurückweisungen Geflüchteter und dauerhaften Grenzkontrollen »Recht brechen, so wie das bisher nur Viktor Orbán in Ungarn wagt«.
Robert Habeck appellierte fast flehentlich an die Union, ihre Vorhaben nicht mit Hilfe der AfD umzusetzen: »In der Sache folgen Sie einer Logik, Recht zu brechen, um Recht zu verändern. Wenn wir das tun, dann stellen wir uns gegen den Rechtsstaat. Das ist der steile Weg in den Abgrund.« Zugleich offerierte der Grünen-Spitzenkandidat zur Bundestagswahl am 23. Februar weitere Vorschläge zur Verbesserung der inneren Sicherheit wie den Vollzug offener Haftbefehle für insgesamt 14 000 Gewalttäter, aber auch »Gesundheitstests für alle Menschen, die zu uns kommen«.
Scholz appellierte erneut an die Union, der noch von der Ampel-Koalition auf den Weg gebrachten Umsetzung des verschärften Gemeinsamen Asylsystems (GEAS) der EU in nationales Recht und dem sogenannten Sicherheitspaket zuzustimmen, das ähnliche Maßnahmen enthält wie der zweite Entschließungsantrag der Union.
Jenseits dessen befand Scholz, alle von Ausländern in den letzten Monaten verübten Gewalttaten »hätten mit den bestehenden und von uns verschärften Gesetzen verhindert werden können«. Er bezog sich damit neben dem Messerangriff von Aschaffenburg vor einer Woche, auf den Weihnachtsmarktanschlag von Magdeburg und die Messerattacken in Solingen im August und von Mannheim Ende Mai 2024. Es gebe ein »Vollzugsdefizit«, verantwortlich seien die Bundesländer.
Unionsfraktionschef Merz ritt erwartungsgemäß eine neue Attacke auf die verbliebene Minderheitsregierung von SPD und Grünen, FDP-Chef Lindner tat es ihm gleich. Merz verwies unter anderem auf die Asylrechtsverschärfungen von 1993. Schon damals habe eine große Mehrheit im Bundestag inklusive der SPD beschlossen, dass nur noch ein Anrecht auf Asyl in Deutschland habe, wer nicht über einen sicheren Drittstaat eingereist sei. Das betreffe heute nur noch drei Prozent der Asylbewerber.
Er selbst, so Merz, müsse jetzt seinem Gewissen folgen. »Vor die Wahl gestellt, weiter zuzusehen, dass Menschen bedroht und verletzt werden, oder das Notwendige zu tun, muss ich aufrechten Ganges tun, was notwendig ist«, erklärte der Unions-Kanzlerkandidat. Die Demokratie gerate auch in Gefahr, wenn eine »gesellschaftliche und politische Minderheit«, nämlich die von SPD und Grünen, die »Radikalen als Werkzeug benutzt, um den Willen der Bevölkerung dauerhaft zu ignorieren«. Auch die Regierungsparteien hätten die Wahl, dem Gesetzentwurf der Union am Freitag zuzustimmen. Aber: »Möglicherweise wird dann auch ohne Sie das Richtige entschieden, auch wenn die Falschen zustimmen.«
Eine grundsätzliche Gegenposition zu weiteren Verschärfungen des Asylrechts vertrat am Mittwoch einzig Heidi Reichinnek, Ko-Vorsitzende der Linke-Gruppe im Bundestag. Nötig sei stattdessen eine bessere psychosoziale Betreuung für Geflüchtete und alle anderen Bürger und »mehr Integrationsangebote, vor allem durch Arbeitsmöglichkeiten«. Durch die geforderten Verschärfungen werde die Lage »nur für Migrant*innen immer unsicherer«, so Reichinnek und fragte: »Denken Sie wirklich, gegen die AfD hilft AfD-Politik?«
Christian Lindner jedenfalls machte klar, dass er davon überzeugt ist und verwies darauf, dass in Dänemark die sozialdemokratisch geführte Regierung ein äußerst rigides Asylrecht mit Elementen, wie sie die Union fordert, durchgesetzt habe, so dem Willen der Mehrheit entsprochen habe und dadurch die »extreme Rechten« wieder marginalisiert habe.
Glaubt man den Ergebnissen einer am Mittwoch veröffentlichten Umfrage des Instituts Yougov, so können sich Union, FDP, BSW und AfD bestätigt fühlen. Danach waren nur 42 Prozent der Befragten grundsätzlich gegen eine Zusammenarbeit anderer Parteien mit der AfD. 22 Prozent der Befragten sehen in einer Kooperation in einzelnen Sachfragen kein Problem, 30 Prozent gaben darüber hinaus an, dass auch eine Regierungskoalition mit der AfD möglich sein sollte.
Die Frage, ob Migranten an den deutschen Grenzen zurückgewiesen werden sollten, bejahten 80 Prozent der Befragten. Nur zehn Prozent halten das für falsch, weitere zehn Prozent machten keine Angabe.
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