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Es gibt keine Rettung

Die kaputte Familie als Sinnbild für eigentlich alles: »Eines langen Tages Reise in die Nacht« am Deutschen Theater Berlin

Show-Trinken im Angesicht der Katastrophe: »Eines langen Tages Reise in die Nacht« am Deutschen Theater Berlin
Show-Trinken im Angesicht der Katastrophe: »Eines langen Tages Reise in die Nacht« am Deutschen Theater Berlin

Was für eine Familie. Einfach kaputt. Da ist die Mutter, Mary, von der hier jeder fürchtet, dass sie sich nach dem letzten Entzug wieder den Drogen zuwendet, so wie bisher eigentlich immer. Die fordernde Beziehung zu ihrem Mann, der Verlust eines Kindes, die eigene körperliche Erschöpfung haben sie zum Morphium getrieben. Und da ist James Tyrone, der wenig respektierte Familienpatriarch. Er ist ein Schauspieler, der es irgendwie geschafft hat. Aber was soll das schon heißen? Der finanzielle Erfolg jedenfalls bleibt unbefriedigend, kann er doch den Geiz des Vaters nicht aufheben. Der ältere Sohn Jamie ist ein dem Alkohol verfallener Saboteur seiner selbst und der restlichen Familie. Der jüngere Eddie ist nicht nur Opfer der anderen, nicht zuletzt seines verstorbenen Bruders, sondern auch der Tuberkulose, die ihn dahinzuraffen droht. Diese Zwangsgemeinschaft, die »Eines langen Tages Reise in die Nacht« fein seziert, ist durchdrungen von Misstrauen und Angst.

In der laufenden Spielzeit ist dieses Stück, das selten ohne den Hinweis Erwähnung findet, dass es sich um ein autobiografisch gefärbtes Werk des US-amerikanischen Dramatikers Eugene O’Neill handelt, in neuen Inszenierungen bereits in Bochum, Dresden und Nürnberg auf die Bühne gekommen. Jetzt also am Deutschen Theater Berlin. Als Regisseur stellt sich Sebastian Nübling am Haus vor, der in der Hauptstadt durch seine jahrelange Arbeit am Maxim-Gorki-Theater nicht unbekannt ist.

Aber wie packt Nübling dieses psychologische Kammerspiel an, diese hochverdichtete Charakterstudie, diesen erschütternden Blick auf den Katastrophenfall Kleinfamilie? So ganz eindeutig lässt sich das auch nicht sagen, als nach gut zwei Stunden ein kräftiger Schlussapplaus im Saal ertönt. Diese Uneindeutigkeit ist vielleicht die größte Schwäche dieses Theaterabends. Das Psychologische, das lässt sich jedenfalls sagen, wurde dem Stück weitgehend ausgetrieben.

Zunächst erklingt ein wenig Bühnenmusik. Der eiserne Vorhang fährt ein Stückchen hoch, um dann abrupt wieder heruntergelassen zu werden. Der Vorgang wiederholt sich. Auf die Vorderbühne tritt schließlich Julia Gräfner (die später das Dienstmädchen Cathleen geben wird), stellt sich uns als Inspizientin vor und verweist auf technische Probleme. Also müssen Bernd Moss als James Tyrone, der sich aus dem Parkett erhebt und auf die Bühne steigt, und Almut Zilcher, die vom Rang aus ihren Text deklamiert, »improvisieren«. Ein pseudoorigineller Einfall, ein Stück Theater im Theater, das ziemlich verkrampft daherkommt und dem niederschlagenden Familiendrama etwas merkwürdig Leichtfüßiges und Komisches aufzwingt.

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Die Inszenierung fokussiert also auf die Konflikte in dieser Theaterfamilie und möchte etwas über das Theater selbst erzählen. Gelegentlich wechseln die Darsteller zwischen dem angekündigten O’Neill und dem wenig ausgeklügelten Spiel im Spiel. Dabei tritt aber wenig Erkenntnisreiches zutage.

Auffällig ist hingegen, wie wenig sich die Spielweisen aller im Ensemble zusammenfügen wollen. Bernd Moss, vielleicht einer der stärksten Schauspieler, die hier am Theater beschäftigt sind, gibt den herablassenden Familienvater durchaus überzeugend. Die fast immer sehenswerte Almut Zilcher findet für diese Inszenierung nicht den richtigen Ton, gibt die ewigleidende Mary wenig nuancenreich als einziges großes Lamento. Den aufmüpfigen Jamie verkörpert Moritz Kienemann etwas zu platt als kleinen Schreihals, und auch Svenja Liesau findet nicht recht zu ihrer Rolle des schwerkranken Eddie.

Bald schon verdüstert sich der läppische Einstieg zum Familienhorrortrip. Nübling findet große, aber nicht immer klischeefreie Bilder für das Bühnengeschehen – zwischen waberndem Nebel, einem verlassenen Einfamilienhaus und Hasenmasken (eine etwas zu gewollte Reminiszenz an den in der Probenzeit verstorbenen Filmemacher David Lynch).

»Es gibt keine Rettung«, ruft uns Kienemanns Jamie einmal entgegen. Tatsächlich tilgt Nübling in seiner Inszenierung auch noch das letzte bisschen Hoffnung. Alles, alles ist dem Untergang geweiht. Das ist zu spüren. Nur mit dem Kopf kann man nicht immer folgen.

Da tritt noch einmal Julia Gräfner nach vorne und spricht als großen Epilog einen Text, den die israelische Dramatikerin Sivan Ben Yishai als sogenannte poetische Position zum Zeitgeschehen unter dem Titel »How to stay« verfasst hat.

Ben Yishais Text ist eine durchaus wortmächtige Klage, die uns verstehen lassen soll, dass die kaputte Familie der Tyrones die kaputte Gesellschaft zeigt. »Wir werden bleiben«, weiß die Autorin. Die einzelnen Familienmitglieder bleiben in ihrem toxischen Gefüge, und wir alle entkommen der Gemeinschaft nicht, die so wenig gemeinschaftlich daherkommt. Bald geht es um Gewalt und Abschiebungen. Man bekommt das Gefühl, dass zum ersten Mal an diesem Abend unbequeme Themen eine Form finden. Da ist man als Zuschauer bereits ziemlich verloren.

Denn mit dem Rest der Inszenierung will sich das nicht zusammenfügen. Plötzlich soll hier alles mit allem im Zusammenhang stehen – eine theatrale Behauptung, die ziemlich unbefriedigend bleiben muss. Die kaputte Familie funktioniert hier als Sinnbild. Aber wofür eigentlich? Vielleicht hätte uns zunächst die Figuren in ihren Facetten begreifbar gemacht werden müssen. So bleibt nur ein diffuses Unbehagen.

Nächste Vorstellungen: 9., 12. und 20. Februar
www.deutschestheater.de

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