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Rechte an Unis: Von wegen Wissenschaftsfreiheit
Das rechte Netzwerk Wissenschaft ist ein wichtiger Akteur an Hochschulen. Sein Erfolg liegt auch im Selbstverständnis von Wissenschaftlern begründet
Es ist der 2. Mai 2024 und in der Aula in der Universität Zürich haben sich nur eine Handvoll Personen eingefunden, um den Referaten und der anschließenden Diskussion von Barbara Zehnpfennig und Tim Hennig zu lauschen. Tim Henning ist Professor für Praktische Philosophie an der Universität Mainz und hat gerade ein Buch zu Wissenschaftsfreiheit und Moral geschrieben, das wenige Wochen nach diesem Abend erschienen wird. Barbara Zehnpfennig hatte auch einmal eine Professur inne, nämlich für Politikwissenschaft in Passau, und ist zudem im sogenannten Netzwerk Wissenschaftsfreiheit aktiv. In seiner Vorstellung lässt Christoph Halbig, Moderator und Professor für Allgemeine Ethik an der Universität Zürich (UZH), diesen Punkt allerdings unerwähnt.
Zwielichtige Mitglieder
Nun muss man natürlich nicht alle Mitgliedschaften von Gästen erwähnen, aber es wäre zur Einordnung doch hilfreich gewesen. Denn beim Netzwerk Wissenschaftsfreiheit handelt es sich nicht um einen Berufsverband, sondern um eine Gruppe mit klarer politischer Ausrichtung. Und dies nicht nur in der Wissenschaft. Ein Mitglied des Netzwerks, der Verfassungsrechtler Ulrich Vosgerau, war nur wenige Monate zuvor der breiten Öffentlichkeit bekannt geworden. Und zwar durch seine Teilnahme an dem sogenannten Potsdam-Treffen, das durch eine Recherche des Netzwerks Correctiv bekannt gemacht wurde und große, Proteste nach sich zog, insbesondere in Bezug auf die dort geäußerten Deportationsfantasien. Das Netzwerk hatte es abgelehnt, Vosgerau auszuschließen oder sich auch nur von ihm zu distanzieren.
Und nun saß ein anderes Mitglied dieses Netzwerks auf einer Bühne, raunte von Cancel Culture und Nachwuchswissenschaftler*innen, die die Wissenschaft verließen: Nicht etwa wegen der unmöglichen Arbeitsbedingungen, sondern wegen des woken Drucks, der ihr Arbeiten angeblich unmöglich mache. Im Laufe des Abends überlegte Zehnpfennig dann noch, ob manche Menschen nicht doch natürliche Sklaven im aristotelischen Sinne seien. Und argumentierte, dass den Klimawissenschaften mit Misstrauen zu begegnen sei – sie seien sich zu einig, was doch verdächtig wäre.
Wissenschaftler sollten sich darüber bewusst werden, dass sie hier nicht mit Kollegen streiten, sondern mit politischen Aktivisten.
Zehnpfennig ist dabei ein eher unauffälliges Mitglied. Schillernder sind sicher Charaktere wie das inzwischen ausgetretene Gründungsmitglied Maria-Sibylla Lotter, die in ihrer Kolumne für die Rheinische Post beklagte, die Öffentlichkeit würde sich zu sehr um die Vorwürfe gegen Till Lindemann beschäftigen – just nachdem mehrere Frauen über sexuellen Missbrauch berichtet hatten. Oder Uwe Steinhoff, der für seine transfeindlichen Ausfälle bekannt ist. Oder eben auch Dieter Schönecker, der sich gerne darüber beklagt, in die rechte Ecke gestellt zu werden, zugleich aber in der extrem rechten Jungen Freiheit im Namen der Wissenschaftsfreiheit dafür eintritt, entspannter gegenüber einer taxonomischen Erforschung menschlicher »Rassen« zu sein – also die Wiederaufnahme eines in sich rassistischen Forschungsprogramm zumindest nicht sonderlich problematisch sieht.
Akademische und mediale Naivität
Blickt man auf die Äußerungen und Aktivitäten bekannter Mitglieder, so stellt sich die Frage, wie es dem Netzwerk überhaupt gelungen ist, so großen Einfluss zu generieren. Zum einen scheint mir dies Folge von medialer Naivität zu sein. Auch wenn bereits zu Beginn kritisch auf die Zusammensetzung eingegangen wurde, ist das Netzwerk doch vor allem als Zusammenschluss von Wissenschaftler*innen angesehen worden, nicht als politische Organisation. Und auch das vermeintliche Ziel ist ein hehres: Wer will schon gegen Wissenschaftsfreiheit sein? In ihrer gesellschaftlichen Stellung als Professor*innen ist es ihnen zudem gelungen, auch in vergleichbar seriösen Zeitungen wie der »FAZ« oder der »NZZ« zu veröffentlichen.
Zum anderen kommt dem Netzwerk eine bestimmte, an sich löbliche Eigenlogik des wissenschaftlichen Arbeitens zugute: nämlich die etablierte Praxis, die argumentative Auseinandersetzung zu suchen und Ausschlüsse möglichst zu verhindern. So ist es gerade die große akademische Freiheit, deren Verschwinden das Netzwerk so lamentierend beklagt, die seinen Einfluss sichert. Denn in der falschen Annahme, es ginge um das bessere Argument, wird Mitgliedern des Netzwerks eine Benevolenz zugestanden, die der Situation nicht zuträglich ist. Denn um wissenschaftliche Auseinandersetzung geht es den Mitgliedern des Netzwerks gerade nicht.
Entsprechend ist es problematisch, dass auf dem Philosophie-Blog »Prae:faktisch« nicht nur Mitglieder des Netzwerks zum Teil beleidigende Beiträge veröffentlichen dürfen, wenngleich mit redaktionellem Hinweis versehen. Der Blog selbst befragte etwa Ulrike Ackermann, immerhin Gründungsmitglied, zum Thema Cancel Culture. Das Portal »PhilPublia« teilt überdies regelmäßig Beiträge von Netzwerksmitgliedern, ohne diese entsprechend zu kontextualisieren. Und Mitglieder des Netzwerks sind auf sensiblen Posten. Sandra Kostner etwa ist Diversitätsbeauftragte an der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd.
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Nun spricht Kostner nicht nur gerne in russischen Propagandaformaten, sondern zieht auch gerne über gerade jene Personengruppen her, für die sie Ansprechpartnerin sein sollte. Jörg Baberowski, den man gerichtsfest rechtsradikal nennen darf, sitzt aktuell im DFG-Fachkollegium Geschichte. Im Jahr 2022 wurde ein Verfahren wegen Körperverletzung gegen eine Zahlung von 4000 Euro eingestellt, nachdem ein Student ihn wegen eines tätlichen Angriffs angezeigt hatte.
Als die AfD-Kanzlerkandidatin Alice Weidel die deutschen Universitäten auf dem Parteitag in Riesa im Januar 2025 als woke Kaderschmieden bezeichnete und die Einstellung ganzer Forschungsfelder ankündigte, sollte die AfD an die Macht kommen, war dieser Frontalangriff dem Netzwerk Wissenschaft übrigens keine Stellungnahme wert. Vielmehr kritisierte dieses in seinem letzten Beitrag den Deutschen Bibliotheksverband für seine Selbstverpflichtung, sich gegen Diskriminierung einzusetzen.
Was tun?
Sich einem Netzwerk von Professor*innen auf Lebenszeit entgegenzustellen, ist schwierig, wenn man selbst kurz und prekär beschäftigt ist. Hinzu kommt, dass das Netzwerk gerne jene Methoden einsetzt, die es gerne beklagt. Dazu gehört insbesondere der Versuch, Kritiker*innen einzuschüchtern, etwa indem Vorgesetzte oder Institutionen in eigentlich private Auseinandersetzungen einbezogen werden. Auch wenn sich die Mitglieder damit eher selbst zum Spottobjekt machen, so sollten diese Einschüchterungsversuche als solche ernst genommen werden. Es muss daher insbesondere die Aufgabe von Professor*innen sein, hier aufmerksam und engagiert vorzugehen.
Wissenschaftler*innen sollten sich darüber bewusst werden, dass sie hier nicht mit Kolleg*innen streiten, sondern mit politischen Aktivist*innen, denen es keineswegs um das bessere Argument geht. Und auch wenn dies nicht für alle Mitglieder gelten mag, so stehen sie zumindest so weit in der Mitverantwortung, dass sie ihre Mitgliedschaft nicht beenden. Für Journalist*innen gilt zudem, dass sie Äußerungen des Netzwerks nicht als Stimme aus der Wissenschaft, sondern als Stimme einer (extrem) rechten politischen Interessengruppe verstehen sollten.
Nicht zuletzt muss es ein Bewusstsein dafür geben, dass Mitglieder nicht auf Positionen gewählt werden, in denen sie Ansprechpartner*innen gerade für jene Studierenden sind, deren Rechte diverse Netzwerksmitglieder massiv eingeschränkt sehen wollen: trans Personen, queere Menschen, PoC und andere, bereits marginalisierte Gruppen. Die Freiheit der Wissenschaft, in all ihrer Vielfältigkeit, kann nur gegen das Netzwerk Wissenschaftsfreiheit verteidigt werden. Es wird Zeit, das ernst zu nehmen.
Daniel Lucas ist Philosoph und arbeitet derzeit als Doktorand am Lehrstuhl für Praktische Philosophie der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich.
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