»Die Hamletmaschine«: Ausgesaugte Bilder

Am Theater Magdeburg hat die Regisseurin Clara Weyde versucht, der Gegenwart mit Heiner Müllers »Hamletmaschine« beizukommen

Der Abgesang auf die »Ruinen von Europa« als Clownsnummer? »Die Hamletmaschine« am Theater Magdeburg
Der Abgesang auf die »Ruinen von Europa« als Clownsnummer? »Die Hamletmaschine« am Theater Magdeburg

Am Freitag feierte »Die Hamletmaschine«, Heiner Müllers wohl bekanntestes Stück, Premiere am Theater Magdeburg, das gerade durch eine Einladung zum Berliner Theatertreffen geehrt wurde. In diesem Fall lohnt es sich, weiter auszuholen und die Vorgeschichte zu dieser Inszenierung zu erzählen.

Am 29. Mai vergangenen Jahres wurden in einer Pressekonferenz die neuen Bühnenarbeiten und Wiederaufnahmen für die aktuelle Spielzeit angekündigt. Für den 24. Januar stand zu diesem Zeitpunkt noch »Das Spiel ist aus«, eine Adaption von Jean-Paul Sartres Filmdrehbuch, im Spielplan. Anfang Dezember kam dann die Nachricht: »Die Hamletmaschine« soll es sein, Sartre muss warten. Aus gegebenem Anlass, wie es hieß. All diese Vorgänge sind reichlich ungewöhnlich für eine eher behäbige Institution wie ein Stadttheater.

Was aber soll das konkret bedeuten? »Wir haben damit auf gesellschaftspolitische Veränderungen reagiert. Vor allem auf Wahlen, Wahlergebnisse, die uns betroffen gemacht haben: sei es die Europawahl, die Wahl in Argentinien, die Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg. Der Eindruck, dass Menschen in demokratischen Systemen nicht mehr automatisch für Demokratien handeln, wurde immer deutlicher. Das alles kulminierte am Tag, als Trump wiedergewählt war und die Ampel-Regierung zerfiel«, lässt uns Clara Weyde, die Regisseurin der Produktion und seit 2022 Schauspielchefin am Theater Magdeburg, wissen.

Dabei kommt einem unweigerlich Theodor W. Adorno in den Sinn, der – im Interview mit dem »Spiegel« im Mai 1969 – auf die einführende Bemerkung des Journalisten »Herr Professor, vor zwei Wochen schien die Welt noch in Ordnung …« intervenierend mit den Worten reagierte: »Mir nicht.«

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Hat sich die Welt so schnell so sehr – und auf so unerwartbare Weise – gewandelt? Hat uns Sartres Stück, in dem es immerhin um persönlichen und politischen Verrat, um Rebellion und Klassenunterschiede geht, heute so wenig zu sagen? Und warum stand es dann überhaupt je auf dem Spielplan? Wie verhält es sich hingegen mit Müllers »Hamletmaschine«? Ist dieses Stück – diese Auseinandersetzung mit Shakespeares »Hamlet«, dieser Dialog mit den Toten und große Abgesang auf die »Ruinen von Europa« – die richtige Antwort auf Populismus und globalen Rechtsruck, für die die erwähnten Wahlen stehen?

Clara Weyde und ihr Team haben zumindest die Publikumserwartungen mit ihren Planänderungen aus aktuellem Anlass hochgeschraubt. Nun soll uns also »Die Hamletmaschine« in einer zehnköpfigen Besetzung, gerade recht für »Das Spiel ist aus«, und mit einer alpinen Skihütte, als Bühnenbild für »Das Spiel ist aus« entworfen, die Gegenwart erklären.

Dafür hat man Müllers Text, der, schlicht vorgelesen, wohl kaum eine halbe Stunde Bühnenzeit beanspruchen würde, mit Versatzstücken aus dem sonstigen Schaffen des Autors und aus der Popkultur sowie fremdsprachigen Einsprengseln und viel aktionsreichem Spiel zwischen Clownsnummer und Psychokrimi aufgebläht, sodass am Ende ein gut zweistündiger Theaterabend dabei herausgekommen ist.

Sicher, die »Schlacht um Grönland«, von der Müller schreibt, erntet einige Lacher und weckt Assoziationen zu dem Wahnsinn, den man nun aus dem Weißen Haus vernehmen muss. Ansonsten bleibt das Stück, das Müllers an Freud geschulte Lesart des »Hamlet«-Dramas zeigt, das Ophelia zur Rächerin werden lässt und das den Aufstand herbeifantasiert, an den er selbst kaum noch glauben kann, weitgehend abstrakt und wird nicht zur Antwort auf Tagespolitik verkleinert.

In der Wahl der szenischen Mittel wirkt diese Inszenierung sogar eher gestrig als besonders gegenwärtig. Viel Kunstblut, Clownsnasen und nackte Haut offenbaren eher ein Klischeebild des Theaters. Dazu gesellt sich der Fehlgriff, Müllers eigentlich unspielbaren Text darstellerisch überzuinterpretieren: Statt den Text durch Zurückhaltung wirken zu lassen, wird er allenthalben stimmlich bedeutungsschwer aufgeladen und dem Verstehen wider Willen entrissen. Wenn dann noch minutenlang Tocotronic-Texte rezitiert werden, ist leider schon ein Übermaß an Pathos erreicht.

Die Theatermacherinnen und Theatermacher wähnen wohl den Gegenwartsbezug in der Untergangsstimmung, hat Heiner Müller doch mit seinem Stück von 1977 den endgültigen Zerfall der DDR vorweggenommen. (Vonseiten des Theaters wird auch fälschlicherweise kolportiert, »Die Hamletmaschine« sei in der DDR nie gedruckt worden.) Ob die Parallele zur Jetztzeit aber nicht nur eine gefühlte ist, drängt sich als Frage auf.

Der Sozialismus, für Müller sicher ein Hoffnungsprojekt, und sein absehbares Ende folgten doch ganz anderen Gesetzmäßigkeiten als solche, die die Auswüchse defizitärer Demokratien heute bedingen. Und selbst wenn man hier eine Verbindung plausibel machen wollte, bräuchte es dafür eine szenische Idee, die mehr als bloße Behauptung ist. Elemente von Mitmachtheater helfen da so wenig weiter, wie verstümmelte Marx-Zitate.

Letztlich bleibt nach diesem Theaterabend der tiefe Eindruck durch Müllers Wortgewalt. Die Lust der Schauspielerinnen und Schauspieler, sich darauf einzulassen, und die Kühnheit des Theaters, auf »Die Hamletmaschine« zurückzugreifen, um sich zur Gegenwart zu verhalten, sind aller Ehren wert. Aber inszenatorisch ist man dem eigenen Anliegen offenbar nicht Herr geworden.

»Mein Drama findet nicht mehr statt«, lautet einer der prägnantesten und bekanntesten Sätze aus »Die Hamletmaschine«. Unmittelbar davor heißt es: »Meine Gedanken saugen den Bildern das Blut aus.« Der Müller’schen Gedankenschwere hat auch die Magdeburger Inszenierung keine Theaterbilder hinzufügen können, die über das Illustrative oder Harmlos-Humoristische hinausreichten.

Nächste Vorstellungen: 7., 16. und 28.2.
www.theater-magdeburg.de

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