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Asylpolitik: Erfolg der Hardliner

Die Union will das Asylrecht weiter schleifen – auch mithilfe der AfD. Grüne und SPD haben die Problemdefinition der Rechten übernommen

  • Ulrike Wagener
  • Lesedauer: 7 Min.
Bonn, November 1992: Demonstration für den Erhalt des Asylrechts im Grundgesetz.
Bonn, November 1992: Demonstration für den Erhalt des Asylrechts im Grundgesetz.

Vor einem Jahr noch war die Republik entsetzt über ein »Geheimtreffen« von Rechtsextremen, wo es um die »Remigration«, also die Vertreibung von Menschen mit Migrationshintergrund aus Deutschland, ging. Ein anwesendes CDU-Mitglied sollte aus der Partei ausgeschlossen werden. Heute steht »Remigration« im Wahlprogramm der AfD und Friedrich Merz wirbt für sich als Kanzlerkandidat der Union mit einem kalkulierten Rechtsbruch. Er wolle »am ersten Tag« seiner Amtszeit dafür sorgen, dass »ausnahmslos alle Versuche der illegalen Einreise« zurückgewiesen werden. Heißt übersetzt: Kein Flüchtling soll mehr nach Deutschland kommen. Nach dem sogenannten Asylkompromiss von 1993 wäre das ein Bruch auch mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Konvention für Menschenrechte. Am Mittwoch jubelte die AfD-Fraktion im Bundestag über die Zustimmung zu einem Papier, das auch ihrer Feder entspringen könnte. Ihre menschenfeindliche Politik hat zum ersten Mal eine Mehrheit im deutschen Bundestag erhalten.

Die Union instrumentalisiert dabei den Anschlag in Magdeburg, wo ein AfD-Sympathisant mit einem Auto in einen Weihnachtsmarkt fuhr und sechs Menschen tötete, und die Tat in Aschaffenburg, wo ein psychisch kranker Mann mit einem Messer auf eine Kindergartengruppe losging und ein Kind und einen Mann tötete. »Es reicht, es reicht, es reicht«, sagte Markus Söder (CSU) in einer Rede nach der Messerattacke in Aschaffenburg. Julia Klöckner (CDU) sprach über »Kulturen, die mit unserer Lebensweise nicht einverstanden sind«. Plötzlich steht im Mittelpunkt der Debatte, dass solche Taten verhindert werden könnten, wenn man abgelehnte Asylsuchende nur rechtzeitig abschiebt.

In Deutschland wird fast jeden Tag eine Frau getötet, die Zahl rechtsextremer Straftaten in Deutschland hat 2024 einen neuen Höchststand erreicht, darunter fünf versuchte Tötungsdelikte. All das spielt in der populistischen und rassistischen Logik keine Rolle, solange die Täter weiße Deutsche sind. Wir erinnern uns: Nach dem Attentat in Hanau 2020, wo ein Täter neun Menschen aus rassistischen Motiven ermordete, wurde in Deutschland Karneval gefeiert.

Die Union setzt nun alles auf eine Karte, statt Wirtschaftspolitik stellt sie die Migrationspolitik ins Zentrum des Wahlkampfs. Der »Fünf-Punkte-Plan« der Union sieht, wie auch ihr Wahlprogramm, vor, Asylsuchende an den Grenzen zurückzuweisen – ein klarer Bruch mit EU-Recht, wo der Grundsatz der Nichtzurückweisung festgehalten ist. Auf einen solchen Schritt haben Hardliner der CDU lange hingearbeitet. Die rechtsradikalen Forderungen der AfD bekommen so Unterstützung aus dem rechtskonservativen Lager.

»In der Politikwissenschaft wissen wir, dass es genau die falsche Strategie ist, Themen der AfD aufzugreifen, um Wähler*innen ›zurückzugewinnen‹. Das Thema Migration ist als Markenkern mit der AfD assoziiert. Je mehr wir darüber sprechen, desto mehr wird die AfD gewinnen«, sagt Pola Lehmann dem »nd«. Sie forscht zu Wahlprogrammen, politischen Parteien und Rechtspopulismus am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB).

Doch nicht allein Union und FDP, die zusammen mit der AfD offen für die Abschaffung des Asylrechts stimmten, sowie das BSW, das ähnliche Thesen vertritt, sind verantwortlich für diese Verschiebung. Die Grünen und die SPD haben als Teil der Ampel-Regierung Asylrechtsverschärfungen umgesetzt. Zwar kritisieren sie nun eine Zusammenarbeit mit der AfD und betonen die Notwendigkeit »europäischer Lösungen«, sie übernehmen jedoch die Problembeschreibung des rechten Lagers. So teilte Bundeskanzler Olaf Scholz nach der Messerattacke in Aschaffenburg die Aussage: »Die Behörden müssen mit Hochdruck aufklären, warum der Attentäter überhaupt noch in Deutschland war.« Und Robert Habeck forderte während der Bundestagsdebatte am Dienstag »psychische Profile« von Asylsuchenden zu erstellen.

In ihrem Koalitionsvertrag von 2021 kündigten SPD, Grünen und FDP in der Migrationspolitik einen »Paradigmenwechsel« an. Keine linke Politik, aber doch einige progressiv-liberale Verbesserungen für Migrant*innen und Geflüchtete. So kündigten sie eine Förderinitiative an für Menschen mit Migrationsgeschichte im Ausbildungsmarkt, ein Chancenaufenthaltsrecht für Menschen, die schon sehr lange nur mit einer Duldung in Deutschland leben und erleichterte Einbürgerungen. Doch auch die »Rückführungsoffensive« stand bereits im Koalitionsvertrag.

In der Praxis hat sich dann immer stärker eine FDP-gefärbte Einwanderungspolitik herauskristallisiert: Die Bedingungen für Menschen, die wirtschaftlich von Nutzen sind, werden erleichtert. Die Einreise von Schutzbedürftigen, teils traumatisierten Geflüchteten, wird erschwert. Ein Beispiel dafür ist die Entscheidung der Bundesregierung, den Weg für die Reform des europäischen Asylsystems freizumachen, obwohl es im Europäischen Rat keine Einigung dafür gab, Kinder von haftähnlichen Unterbringungen auszuschließen. In ihrem »Sicherheitspaket« beschloss die Ampel außerdem, Menschen, die in sogenannten Dublin-Verfahren sind und theoretisch in einem anderen EU-Land einen Schutzanspruch hätten, die Leistungen zu kürzen. Sie kürzte die Leistungen für Sprachkurse und psychologische Versorgung von Geflüchteten und führte die Bezahlkarte ein. Scholz sagte selbst in seiner Regierungserklärung, die Verschärfungen durch sein Kabinett seien »dicht an der Grenze des rechtlich Möglichen«.

Parallel sprach etwa Innenministerin Nancy Faeser (SPD) bevorzugt von »irregulärer Migration«, die bekämpft werden müsse. Damit sind Flüchtlinge gemeint, denn für sie gibt es keine regulären Wege. Bekommt ein Mensch hier einen Schutzanspruch wird die Einreise rückwirkend legalisiert. In ihrem Wahlprogramm fordert die SPD, dass Rückführungen »human und konsequent erfolgen« sollen, sie will sich auch für umfassende Migrationsabkommen engagieren. Die Grünen versprechen eine »funktionierende und pragmatische Flucht- und Migrationspolitik, die Humanität und Ordnung verbindet«. In den Äußerungen der Spitzenpolitiker*innen wird dieser Tage der Schwerpunkt eher auf Ordnung und Sicherheit gelegt.

Migrationspolitik spielt immer wieder eine große Rolle im Wahlkampf. Anfang der 1990er Jahre gab es aufgrund der Jugoslawienkriege mehr Asylsuchende in Deutschland. Damals »trommelte«, wie es Günter Burkhardt, der Mitbegründer von Pro Asyl einmal in einem »nd«-Interview ausdrückte, die Union über Monate hinweg dafür, die Singularität des deutschen Asylrechts abzuschaffen. »Politisch Verfolgte genießen Asylrecht«, so stand es damals im Grundgesetz, eine Folge der Tatsache, dass ein solches Recht zahlreiche Juden und Jüdinnen vor den Morden der Nazis hätte retten können.

1993 wurde dann das Asylrecht im Grundgesetz mit den Stimmen von CDU, CSU, FDP und der damals oppositionellen SPD massiv beschnitten. Der einfache Satz »Politisch Verfolgte genießen Asylrecht« wurde mit Einschränkungen gespickt, es war die Geburt der sogenannten sicheren Drittstaaten. Auf dieses Recht sollte sich von nun an niemand mehr berufen können, der durch einen anderen Staat gereist ist, in dem die Person bereits sicher wäre. Das ist einer der Gründe, warum nur 0,7 Prozent der anerkannten Flüchtlinge Asyl nach Artikel 16 des Grundgesetzes erhalten. Die Grundlage für die Anerkennung Schutzbedürftiger sind heute die Europäische Menschenrechtskonvention und die Genfer Flüchtlingskonvention. Schon 2023 forderten CDU-Hardliner wie Jens Spahn und Thorsten Frei, auch diese internationalen Übereinkünfte zu ändern.

Auch in den 90ern argumentierte die Union damit, man würde mit diesen Verschärfungen den Rechten den Boden entziehen. Der damalige bayrische Innenminister Edmund Stoiber (CSU) sagte etwa: »Wir müssen endlich den massenhaften Zustrom unberechtigter Asylbewerber stoppen, wenn man nicht extremistischen Demagogen den Boden für die böse Saat des Fremdhasses bereiten will

Friedrich Merz sagte Anfang Januar: »Wenn wir die Kontrolle nicht zurückgewinnen über Migration, dann werden wir über Wohnungsbau, über Schulpolitik, über viele andere Themen überhaupt nicht mehr reden müssen.« Es ist die alte Rhetorik von der Migration als »Mutter aller Probleme« (Horst Seehofer, CSU). Und dass, obwohl die Asylanträge im vergangenen Jahr auf einem Tiefstand von 250 945 gesunken sind. Zum Vergleich: 2016 waren es 745 545. Laut einer Befragung des Instituts für Demokratische Entwicklung und Soziale Integration geben fünf Prozent der Kommunen an, überlastet zu sein. Etwa ein Drittel spricht von einem »Krisenmodus«. Rund 47 Prozent sehen die Situation als »herausfordernd, aber machbar«. Gründe dafür sind der angespannte Wohnungsmarkt, fehlende Integrations- und Sprachkurse, die gesundheitliche Versorgung und frühkindliche Bildung – die soziale Infrastruktur.

Doch diese Punkte gehen im Wahlkampf unter. »Geflüchtete werden zu Sündenböcken für soziale Probleme gemacht – auch von Parteien, die diese Probleme verursacht haben«, sagte Tareq Alaows von Pro Asyl dem »nd«. Er ist selbst 2015 aus Syrien nach Deutschland gekommen. »Abschiebungen bauen keinen bezahlbaren Wohnraum, verbessern nicht die Chancengleichheit in der Bildung und reparieren nicht das kollabierende Gesundheitssystem.«

»Abschiebungen bauen keinen bezahlbaren Wohnraum.«

Tareq Alaows  Pro Asyl

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