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Der Rote Stern nimmt Bern im Sturm
Beim Champions-League-Duell der Young Boys gegen Belgrad verwandeln sich friedliche Eidgenossen in halbnackte Testosteronzombies
Kuschliges Helvetien, du Wohlfühloase für geplagte Erdlinge! Gechillte Verkehrsteilnehmende, verhaltener Reichtum, kaum Bettler und saubere Straßen und Plätze, für gelernte Berliner kommt ein Besuch in der Schweiz einem Kulturschock nahe. Wir waren zwei Tage in Bern und Basel unterwegs, um dort aus unserem Buch »Vereint im Stolz. Fußball, Nation und Identität im postjugoslawischen Raum« vorzulesen und uns in Bern selbstverständlich das letzte Champions League Gruppenspiel zwischen Berner SC Young Boys und Roter Stern Belgrad anzuschauen. Bereits der erste YB-Aufkleber stach ins Auge: »Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit ist nicht sehr originell«. Wow, solche Kleber wünsche ich mir in Jena oder Berlin.
Frank Willmann blickt auf den Fußball zwischen Leipzig, Łódź und Ljubljana.
Obwohl YB punktlos auf dem letzten Platz der Champions-League-Tabelle abhing, war das Stadion sehr gut gefüllt. Viele Frauen und mehr People of Color als in deutschen Stadien, normales Volk auf der Suche nach fußballerischer Naherholung. Im Gästeblock tobten sich die Delije aus, die Fans von Roter Stern standen sehr schnell mit freiem Oberkörper im Block und zeigten uns ihre weißen Ärsche und serbischen Flaggen. Naturgemäß sind 80 Prozent der Delije bei Auftritten serbischer Vereine in der Schweiz Eidgenossen. Während der Jugoslawienkriege nahm die Schweiz Flüchtlinge aller jugoslawischen Ethnien auf, zudem gab es ab Anfang der 1980er Jahre einen starken Zustrom von Gastarbeitern, die häufig in einfachen Berufen arbeiteten.
Die Menschen pflegen die Kultur der alten Heimat, besonders für junge Männer ist der Fußball ein verbindendes Element, auch weil sie mit ihrer Migrationsgeschichte in der Schweiz oft mit Alltagsrassismus zu tun haben. Viele leben in zweiter und dritter Generation mit zwei Pässen in der Schweiz und führen, wenn sie nicht gerade Roter Stern anfeuern müssen, eine stinknormale Schweizer Existenz. Sie halten brav mit dem Fahrzeug an, wenn Fußgänger über die Straße wollen, sie sind tierlieb, ehren ihre alten Mitmenschen und werfen ihren Müll nicht auf den Gehweg.
Während des Spiels allerdings verwandelten sich die braven Schweizer im Belgrader Block in wandelnde Testosteronzombies mit putzigem Hass auf alles und jeden. Ihre Gesänge waren martialische Kampfansagen, es wurden Mütter verunglimpft, Hunde malträtiert und es wurde allerhand Blut-und-Boden-Quatsch bejubelt (Kosovo ist Serbien usw.). Man konnte es als Balkanfolklore abtun und sich darüber lustig machen, ist halt ihr Lifestyle für neunzig Minuten. Vielleicht wollten sie auch nur Dampf ablassen, weil ihnen die Schweiz zu brav, oder zu scheinheilig und geleckt erscheint. Fick dich, morgen wartet der öde Alltag mit Hausschuhen und Häkeldecke.
Wir erfreuten uns indes am schönen Berner Liedgut: »Häbed nech am Bänkli, YB het – für öich es Gschänkli«. Viel mehr als die Fangesänge gab es ohnehin nicht zu bestaunen. Der Kick zwischen Bern und Belgrad war leider recht fad. Wenigstens war es schön kalt, und am nächsten Tag leuchteten die schneebedeckten Alpen so hell wie auf dem Einwickelpapier der Schweizer Alpenmilchschokolade. Darauf ein gepflegtes MUH!
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