Die Sonnensucher kommen ans Licht

Die Kunstsammlung des DDR-Bergbauunternehmens Wismut ist nach langer Zeit wieder zu sehen

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 5 Min.
Viktor Makejew: »Sonne über dem Schacht« (1985)
Viktor Makejew: »Sonne über dem Schacht« (1985)

Fahl steht das Gestirn über dem Förderturm. »Sonne über dem Schacht« heißt das Ölgemälde, das der sowjetische Künstler Viktor Makejew 1985 malte. Der Titel lässt warme Farben und gleißendes Tageslicht erwarten, das die Kumpel nach ihrer Arbeit unter Tage begrüßt. Zu sehen ist das Gegenteil: eine unwirtliche Szenerie in Graustufen, die Sonne über der Silhouette des Schachtgebäudes eine blasse Scheibe, die kalt und abweisend wirkt. War es das, wonach sich die »Sonnensucher« sehnten?

»Sonnensucher« heißt eine Ausstellung, die ab April in Zwickau zu sehen sein wird. Ihr Titel greift eine Selbstbezeichnung der Beschäftigten des ostdeutschen Bergbauunternehmens Wismut auf, so wie schon der Titel eines Films von Konrad Wolf, der 1958 fertiggestellt wurde, danach aber jahrzehntelang unter Verschluss blieb. Zu schonungslos schildert er die Zustände in den frühen Jahren der sowjetischen, später sowjetisch-deutschen Aktiengesellschaft, die als Staat im Staate DDR galt. Sie förderte ab 1946 im Auftrag der Besatzungsmacht im Erzgebirge und in Thüringen Uran, das auch für den Bau von Atomwaffen genutzt wurde. Bis zum Ende der DDR waren es mehr als 200 000 Tonnen. Folge war auch eine enorme Umweltzerstörung. Seit 1991 kümmert sich die bundeseigene Wismut GmbH um die Hinterlassenschaften.

Zu diesen gehörten freilich nicht nur radioaktiv verseuchte Gruben und Halden, deren Wiederherstellung bisher rund sieben Milliarden Euro verschlungen hat, sondern auch eine Kunstsammlung, die so umfangreich ist wie die keines anderen ehemaligen DDR-Betriebs. Sie umfasst 4028 Werke, darunter 259 Gemälde. Viele zeigten Bergbaumotive, es gebe aber etwa auch Landschaftsbilder, sagt Paul Kaiser vom Dresdner Institut für Kulturstudien. Seit den 50er Jahren habe das Unternehmen Kunstwerke angekauft und in Auftrag gegeben, Plenairs veranstaltet und Kunstpreise vergeben. Viele Künstler, die für die Wismut tätig waren, leiteten auch Zirkel, in denen Bergleute sich künstlerisch betätigten: »Das war Teil eines selbst gestellten Bildungsauftrags.«

Kaiser beschäftigt sich seit anderthalb Jahrzehnten mit der Wismut-Sammlung, die freilich als ungehobener Schatz gelten muss. Die Bilder lagern derzeit neben anderem Archivgut am Firmensitz der Wismut GmbH in Chemnitz, sind aber nicht zugänglich: »Das ist kein Schaudepot«, sagt Christian Gracza von der Wismut-Stiftung. Diese wurde 2021 gegründet, um das Erbe des Bergbauunternehmens aufzuarbeiten, hat aber bisher erst fünf Mitarbeiter. Zu deren wichtigsten Projekten gehört derzeit eine Schauanlage namens »Schacht 371« in Aue-Bad Schlema sowie deren digitale Präsentation. Für die Aufarbeitung der Kunstsammlung fehlen laut Gracza die Kapazitäten. Die Zeitung »Le Monde diplomatique« sprach 2023 daher von »Ostdeutschlands vergessenen Kunstschätzen«.

Dass diese so lange im Verborgenen blieben, hatte freilich zeitweilig einen weiteren Grund: Scham. Unterstellt wurde, dass es sich um propagandistische Werke handelt, die dem sozialistischen Staat huldigten und das Wirken der Wismut in rosigem Licht erscheinen ließen. Als Kaiser im Jahr 2013 zwei Ausstellungen in Chemnitz und Gera kuratierte, in denen Teile der Sammlung präsentiert wurden, sei von »Unkunst« die Rede gewesen und davon, dass der Kunststandort »besudelt« werde. In den Verdikten klang die Debatte über DDR-Kunst nach, die im gesamtdeutschen Feuilleton der 1990er Jahre überwiegend als »Staatskunst« abgetan wurde. Kaiser weist indes darauf hin, dass die Reaktion des Publikums schon damals eine andere war. Die Schau in Chemnitz sei von 6000 Menschen besucht worden; viele hätten sich anhand der Werke an ihre eigene Arbeitsbiografie oder ihre Familiengeschichte erinnert.

Inzwischen, sagt Kaiser, habe sich die Debatte weitergedreht. Auslöser dafür sei eine »Identitätskrise«, in der sich das Land und seine »hoch polarisierte« Gesellschaft befänden. Mit dem Blick auf die DDR rücken auch die Lebensleistungen ihrer Bewohner in den Blick; zugleich seien Probleme bei der Transformation nach 1989 offenkundig. Kunst sei nicht mehr das Medium, an dem stellvertretend die Kontroverse über die Bewertung der DDR ausgefochten wird, sondern werde in all ihren Facetten, von staatlicher Auftragskunst bis zu nonkonformistischen Werken, sachlich erörtert: »Wir können sie heute zeigen, ohne uns dafür entschuldigen zu müssen«, sagt Kaiser.

Im Fall der Wismut-Sammlung geschieht das in Form der Ausstellung »Sonnensucher«, die nach einigem Hin und Her auch in das offizielle Rahmenprogramm der europäischen Kulturhauptstadt Chemnitz aufgenommen wurde. In den sanierten Sälen einer 1896 erbauten ehemaligen Baumwollspinnerei werden auf 1200 Quadratmetern etwa 80 Gemälde und 150 grafische Arbeiten gezeigt. Kaiser betont, das Vorhaben sei in Zeiten schrumpfender Kulturetats nur möglich, weil der Eigentümer die Räume kostenlos zur Verfügung stellt, die Sparkasse als Sponsor auftritt und Mitglieder des Kunstvereins Zwickau ehrenamtlich Einlass und Aufsicht übernehmen.

Zu sehen sein werde ein durchaus differenzierter Bestand. Die Wismut habe vor allem in den frühen Jahren tatsächlich viele Werke erworben, die als »Jubelfeier« ihres Wirkens und des Staates zu sehen seien; Porträts von Bergleuten glichen nicht selten »Heldenbildern«. Die Bestände aus späteren Jahrzehnten seien aber »alles andere als eine Glorifizierung«. Thematisiert würden zunehmend auch der widrige Arbeitsalltag und die katastrophalen Auswirkungen des Bergbaus auf die Umwelt. Wegen der besonderen Geschichte des Unternehmens seien oft sowjetische Künstler eingeladen worden, beispielsweise Makejew, der vier Jahre vor dem Ende der DDR die »Sonne überm Schacht« malte: »Deren Werke sind oft die kritischsten«, sagt Kaiser.

Heute harren viele der Bilder ihrer Wiederentdeckung. Nur wenige teilen das Schicksal des Wandbildes »Friedliche Nutzung der Atomkraft«. Das 16 mal 12 Meter große Werk von Werner Petzold, der viele Aufträge der Wismut ausführte, bevor er 1983 in den Westen ging und Altarbilder zu malen begann, hing zunächst an einem ihrer Verwaltungsgebäude, das aber 2006 abgerissen wurde. Heute ist es unweit von Ronneburg an einem Stahlgestell auf grüner Wiese angebracht, als eines von wenigen sichtbaren Zeugnissen einer Sammlung, die dank der Zwickauer Schau nun wieder ins Bewusstsein rücken dürfte.

»Sonnensucher. Kunst und Bergbau der Wismut«, bis 10. August 2025, Historische Baumwollspinnerei, Pölbitzer Str. 9, 08058 Zwickau, Di.-Fr. 10-17 Uhr, Sa./So. 10-18 Uhr, 8 €, erm. 5 €

»Wir können die Werke heute zeigen, ohne uns dafür entschuldigen zu müssen.«

Paul Kaiser Kunstwissenschaftler

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