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Intervision versus Eurovision
Putins Gesangsattacke wider Russlands Ausschluss vom ESC
»Jetzt fürchte ich nicht mehr den Februar an den Zehen«, frohlockte Walther von der Vogelweide, als er vom Friedrich II. ein Lehen für seine Dicht- und Sangeskunst erhielt. Der wohl berühmteste Minnesänger des Mittelalters hatte schon vordem nicht darben müssen, wie die einzig erhaltene authentische urkundliche Erwähnung seines Namens bezeugt, der Schnipsel einer Reisekostenabrechnung bei einem seiner Wohltäter, dem Passauer Bischofs Wolfgar vom 12. November 1203: »Walther, dem Sänger aus Vogelweide, für einen Pelzmantel fünf Schilling.« Dank des Segens des Stauferkaisers hat er dann aber für immer ausgesorgt.
Gewinner des Eurovision Song Contest haben dies vielfach auch. Dima Bilan, der den ESC 2008 für Russland gewann, kennt indes im Westen kaum einer mehr. Obwohl Unterstützer von Putins Partei »Einiges Russland« und populistischen Ansichten zugeneigt, hat er sich immerhin gegen das Verbot einer LGBT-Parade in Moskau und für die Absetzung eines homophoben Abgeordneten eingesetzt. Trotzdem wurde er von Kiew und Ottawa gleich anderen russischen Künstlern und Künstlerinnen auf die Sanktionsliste gesetzt. Schon vorher hat der ESC ob des Überfalls auf die Ukraine Russland ausgeschlossen – das, nebenbei bemerkt, nebst Sieger auch mit je vier zweite und dritte Plätze erfolgreicher als Deutschland war.
Putin kontert nun mit einem eigenen Songcontest, »Intervision« genannt. Im Herbst soll die erste Ausgabe starten. Die Besetzung des Organisationskomitees mit Männern aus seinem engsten Umfeld, darunter dem Vizepremier und dem Vizepräsidialamtschef, sowie die mutmaßlich 20 willigen Teilnehmerstaaten lassen erahnen, dass es eine Propagandashow wird. Vielleicht nicht so plump wie beim »Sängerkrieg« auf der Wartburg, wo es darum ging, wer seinen Fürsten am besten eindrucksvollsten zu lobpreisen verstand. Nationaler Wettstreit auf Bühnen ist jedenfalls erträglicher als auf Schlachtfeldern.
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