Thomas Billhardt: Bilder, die ans Herz gehen

Der Antikriegsfotograf Thomas Billhardt ist verstorben

Thomas Billhardt mit seinen Fotos im Fernsehturm von Berlin.
Thomas Billhardt mit seinen Fotos im Fernsehturm von Berlin.

Er hätte einen Pulitzer-Preis bekommen – wenn er nicht auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs gelebt hätte: Thomas Billhardt. Ihm gelangen ikonische Fotos, die um die Welt gingen und die Solidaritätsbewegung mit dem um seine Unabhängigkeit kämpfenden vietnamesischen Volk nicht nur im sogenannten Ostblock mobilisierten. Etwa das von der zierlichen jungen Vietnamesin, die mit vorgehaltenem Karabiner einen großen, kräftigen US-Piloten abführt, der von den Befreiungskämpfern abgeschossen worden war. »Der Hüne im Reisfeld« titelte Billhardt das Foto, das von unglaublichem Mut zeugte und Zuversicht auf den Sieg Davids gegen Goliath verströmte. Die noch mehr im besinnlichen Billhardt’schen Foto vom vietnamesischen Liebespaar, Hand in Hand, Gewehr zwar noch geschultert, aber befreiend hinfort schreitend, antizipiert ist.

Eine andere Fotografie aus dem Vietnamkrieg zeigt eine Großmutter, die in einer Leichenhalle ihren fünfjährigen Enkel beweint. »Ich musste diese erschütternde Szene einfangen«, sagte Billhardt im »nd«-Interview. »Diesen Schmerz, dieses Unglück, dieses Verbrechen muss die Welt erfahren. Ich hatte eine Verantwortung. Und da bin ich plötzlich ganz hart geworden. Und habe geweint.« Der Kriegsreporter, der sich selbst nicht als ein solcher verstand, berichtete weiter: »Ich sprach die Großmutter an, sie reagierte nicht, sie war in ihrer Trauer völlig weg. Während ich den Jungen langsam zu mir zog und sie wimmernd hinterherrutschte, redete ich beruhigend auf sie ein: ›Großmutter, ich verspreche dir, alle Welt wird dein Leid sehen.‹ Sie verstand mich natürlich nicht. Nachdem ich meine Fotos hatte, versicherte ich ihr noch einmal: ›Das habe ich für dich und deinen Enkel getan.‹ Es wäre unverzeihlich gewesen, wenn ich dieses Unglück nicht publik gemacht hätte.«

Thomas Billhardt, 1937 in Chemnitz geboren, war von früher Jugend an von der Fotografie fasziniert. Kein Wunder, waren seine Eltern doch Inhaber eines namhaften Fotoateliers in Chemnitz. Bei seiner Mutter, einer angesagten Porträtfotografin, erlernte er das Handwerk. Anschließend studierte er an der Fachschule für angewandte Kunst in Magdeburg und arbeitete zunächst als Betriebsfotograf im Braunkohlentagebau. Alsbald reiste der talentierte Fotograf mit den legendären Defa-Dokumentarfilmern Walter Heynowski und Gerhard Scheumann nach Südostasien. Dankbar erinnerte er sich an die beiden, deren Schule zwar hart, aber umso erfolgreicher war.

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Schon vor der Wende war er für Unicef unterwegs. Ihn interessierten stets die ärmsten, schwächsten und wehrlosesten Geschöpfe auf dem Erdenrund. Mit ihnen fühlte und litt er, ihren Schmerz wollte er zeigen. »Ich wollte nie nur ein zerstörtes Haus, Trümmer oder Granattrichter zeigen, sondern Bilder machen, die ans Herz gehen. Nicht nur die Kamera hinhalten und knipsen, sondern Symbole einfangen, die Empörung erregen, Mitgefühl erzeugen und die Solidarität befördern.« Seine Fotos wurden weltweit ausgestellt, in Moskau und New York, Paris und London, Florenz und Beirut, Prag, Kiew und Krakau, in Santiago de Chile und Valparaiso ... und natürlich in Hanoi und Ho-Chi-Minh-Stadt.

Doch auch seine Fotos aus dem realsozialistischen Alltag sind einzigartig, berühren wie etwa die quietschvergnügten Knirpse in der Sauna eines Kindergartens. Billhardt lieferte ungewollt auch die Vorlage für das kitschige Motiv für Berlin-Souvenirs aller Art: den »Bruderkuss« zwischen Honecker und Breshnew. Politprominez abzulichten, war indes sein Ehrgeiz nicht.

Thomas Billhardt, am 23. Januar verstorben, ist in einem Atemzug mit den Großen der Pressefotografie zu nennen: von John Heartfield und Robert Capa bis hin zu den Pulitzer-Preisträgern Nick Út, der das Foto vom nackten, vor Napalm fliehenden vietnamesischen Mädchen von Son My machte, und Kevin Carter, der ein an Hunger sterbendes sudanesisches Mädchen, von Aasgeiern umringt, als unerbittliche Anklage verewigt hatte.

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