Berliner Projektfonds: Diversität unerwünscht?

Vier von sechs Jurymitgliedern im Berliner Projektfonds Kulturelle Bildung treten aus – mit Kritik am Senat

Kürzungen im Etat der Senatsverwaltungen für Bildung und Kultur treffen viele Projekte für migrantische Jugendliche.
Kürzungen im Etat der Senatsverwaltungen für Bildung und Kultur treffen viele Projekte für migrantische Jugendliche.

Will der Senat vor allem migrantischen und queeren Bildungsprojekten die Förderung entziehen? Vier von sechs Mitgliedern der Jury des Berliner Projektfonds Kulturelle Bildung sind zurückgetreten. »Als Reaktion auf die aktuellen Entwicklungen unter anderem innerhalb Gremienarbeit« sind Saghar Chopan-Daud, Anna Chrusciel, Raphael Moussa Hillebrand und Olenka Bordo Benavides am 31. Januar aus der Jury austreten, wie die vier in ihrem Statement mitteilen. Der Choreograf Hillebrand war Juryvorsitzender, die Museumsleiterin Chrusciel stellvertretende Vorsitzende. Chopan-Daud arbeitet als Lehrerin an einer Berliner Schule und Benavides ist Sozialwissenschaftlerin.

»Seit dem Regierungswechsel beobachten wir einen systematischen Rückbau der Unabhängigkeit der Jury«, teilen die Ausgetretenen mit. Sie beziehen sich auf eine überarbeitete Version der Geschäftsordnung des Beirats von 2025, die »eine Abschaffung des Stimmrechts der Jury und der Jungen Jury« beinhalte.

Die Geschäftsordnung kann die Senatsverwaltung für Kultur ändern. Ein Sprecher der Verwaltung bestätigt »nd« eine Anpassung der Geschäftsordnung. »Ziel der Umstrukturierungen ist es, Aufgaben von Beirat und Jury des Projektfonds klarer voneinander abzugrenzen«, sagt der Sprecher.

Bisher gibt die Geschäftsordnung vor, dass die Jury an den Auswahlprozessen für die Förderung beteiligt wird. Die Jury setzt sich aus Kulturschaffenden der freien Szene sowie Pädagog*innen zusammen. Daneben gibt es noch die Junge Jury von Jugendlichen, die bislang ebenfalls stimmberechtigt war. Die Förderentscheidungen selbst werden im Beirat getroffen. Im Beirat sitzen neben dem Vorsitzenden der Jury die Staatssekretär*innen Falko Liecke (CDU), Sarah Wedl-Wilson (parteilos) und Christina Henke (CDU) sowie Heike Schmitt-Schmelz (SPD), Bezirkskulturstadträtin in Charlottenburg-Wilmersdorf. Darüber hinaus sind dort vier Kulturschaffende vertreten, drei davon aus staatlichen Institutionen.

Die ausgetretenen Jurymitglieder stellen »Widersprüche zwischen Beiratstätigkeiten und Fördergrundsätzen« fest, wie sie mitteilen. Dies betreffe die grundlegenden Prinzipien wie Kunstfreiheit, Staatsferne, Förderungsgerechtigkeit und Transparenz. »Unserer Einschätzung nach wurde bei mindestens einem Projekt gegen solche demokratischen Prinzipien verstoßen«, heißt es in der Mitteilung.

Der Berliner Projektfonds machte im vergangenen Sommer Schlagzeilen, nachdem bekannt wurde, dass einem Bildungsprojekt mit der sogenannten Friedensstatue – einem Denkmal für Opfer sexueller Gewalt der japanischen Besetzung Koreas im Zweiten Weltkrieg – die Förderung gestrichen worden war. Das Projekt »Setz dich neben mich« des Korea-Verbandes arbeitete seit 2021 mit Jugendlichen zum Thema sexualisierte Gewalt. Unerwartet und in letzter Sekunde soll ein Beiratsmitglied die Förderung des Projekts verhindert haben – »nd« berichtete.

Die vier ausgetretenen Jurymitglieder sprechen von »gesellschaftspolitischen Entwicklungen in Berlin«, die über einzelne Ereignisse hinausgehen. »Der schwarz-rote Senat hat strategisch und systematisch gekürzt: Die Kürzungen betreffen Projekte, die Inklusion und Diversität auf der Agenda haben«, sagt eine Sprecherin der vier ehemaligen Jurymitglieder im Gespräch mit »nd«. Sie verweist auf die Kürzungen für das Projekt »Berlin Mondiale«, das 2014 unter anderem vom Flüchtlingsrat Berlin gegründet wurde. Auch das internationale Kino »Sinema Transtopia« im Wedding und weitere queere Projekte seien von den Kürzungen betroffen.

»Der schwarz-rote Senat hat strategisch gekürzt: Die Kürzungen betreffen Projekte, die Inklusion und Diversität auf der Agenda haben.«

Sprecherin der Jury-Mitglieder, die ausgetreten sind

Mit insgesamt knapp drei Millionen Euro werden im Rahmen des Projektfonds seit 2008 künstlerische Projekte mit Berliner*innen unter 27 Jahren von der Senatsverwaltung für Kultur gefördert. Das Besondere daran: Die Projekte werden von Jugendbildner*innen und Kulturschaffenden gemeinsam entwickelt und kommen insbesondere migrantischen und queeren Angeboten sowie Jugendlichen zugute, die gesellschaftlich benachteiligt sind. Das lässt sich anhand der Liste der geförderten Projekte nachvollziehen.

Der Projektfonds ist Teil der Stiftung für Kulturelle Weiterbildung und Kulturberatung, zu deren Stiftungsrat Kultursenator Joe Chialo (CDU) als Vorsitzender gehört. Der Fonds besteht aus drei Fördersäulen: Fördersäule eins und zwei liegen beim Senat, Fördersäule drei bei den Bezirken. Die Höhe der Zuschüsse variiert in Fördersäule eins und zwei zwischen 5000 und mehr als 100 000 Euro. Wer Geld aus den Töpfen der Fördersäule eins und zwei bekommt, entscheidet der Beirat.

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