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Luftaufklärung – ein wichtiger Teil der Seenotrettung unter Druck

Italien weitet Repressalien gegen Rettungsschiffe auf Flugzeuge aus. Das betrifft besonders die Organisation Sea-Watch, wie Laura Meschede berichtet

  • Interview: Matthias Monroy
  • Lesedauer: 6 Min.
Wie die Schiffe der zivilen Seenotrettung werden auch deren Flugzeuge von libyschen Milizen unter Druck gesetzt. Die größten Probleme bereiten den Aktivisten italienische Behörden.
Wie die Schiffe der zivilen Seenotrettung werden auch deren Flugzeuge von libyschen Milizen unter Druck gesetzt. Die größten Probleme bereiten den Aktivisten italienische Behörden.

Das italienische Flussi-Dekret verlangt, dass Seenotfälle »sofort und vorrangig« den zuständigen Rettungsleitstellen gemeldet werden müssen. Inwiefern unterscheidet sich das von Ihrer bisherigen Praxis?

Gar nicht. Sea-Watch hat selbstverständlich immer die zuständigen Rettungsleitstellen informiert, wenn wir einen Seenotrettungsfall gesehen haben. Wenn das Dekret uns jetzt indirekt unterstellt, wir würden das nicht tun, lenkt das nur davon ab, dass unsere Meldungen von den Rettungsleitstellen immer häufiger einfach ignoriert werden. Vor Kurzem haben wir beispielsweise Klage geben die italienischen Behörden eingereicht, weil sie am 2. September 2024 ein Boot in Seenot, das wir gesehen und ihnen gemeldet haben, über mehrere Tage hinweg ignoriert haben. 21 Menschen sind gestorben. Einen Monat später hat die italienische Regierung das Flussi-Dekret beschlossen.

Wer oder was ist eigentlich Flussi?

Flussi steht für »fließen« und ist ein Dekret, das einmal im Jahr von der Regierung erlassen wird und das Thema Einwanderung betrifft. Im Oktober 2024 wurde darin unter anderem das Piantedosi-Dekret abgeändert; ein Gesetz, das es seit Januar 2023 gibt und nach dem italienischen Innenminister benannt ist. Es hat dazu geführt, dass in dutzenden Fällen Schiffe von Seenotrettungsorganisationen über Wochen hinweg festgesetzt werden. Das Flussi-Dekret weitet dies jetzt auf Flugzeuge aus.

Interview

Die Journalistin Laura Meschede ist als Media Airborne Officer bei der Seenotrettungsorganisation Sea-Watch für die Dokumentation und politische Einordnung von Menschenrechtsverletzungen im Mittelmeer zuständig und regelmäßig mit einem Beobachtungsflugzeug des Vereins unterwegs.

Das größere Problem an diesem Gesetz ist, dass es auch verlangt, dass wir allen Anweisungen der Seenotleitstellen Folge leisten sollen – und wie wir aus der Erfahrung mit den Schiffen wissen, ist damit auch das Joint Rescue Coordination Center in Tripolis gemeint, beziehungsweise die sogenannte libysche Küstenwache. Das sind Milizen und keine Seenotleitstellen, aber die italienischen Behörden sehen das anders.

Dürfen denn solche Leitstellen gemäß See- oder Luftfahrtrecht Weisungen erteilen?

Sie haben prinzipiell schon ein Weisungsrecht, was ja auch sinnvoll ist, weil sie Rettungen koordinieren. Aber das bedeutet nicht, dass sie das Recht haben, jemanden dazu zu zwingen, gegen internationales Recht zu verstoßen. Es wurde auch mehrmals von Gerichten bestätigt, dass die Milizen der sogenannten libyschen Küstenwache kein legitimer Akteur sind und ihre Anweisungen deswegen rechtlich nicht bindend sind.

Die im Flussi-Dekret angedrohten Strafen reichen von Geldbußen bis zur Beschlagnahmung. Wie bereitet sich Sea-Watch darauf vor?

Wir können nicht vor dem Zivilgericht klagen, solange wir nicht das erste Mal festgesetzt wurden. Wir haben also keine Handhabe dagegen.

Man kann die Vorschrift nicht anfechten?

Nein, leider nicht. Erst, wenn wir eine Festsetzungsanordnung bekommen haben, können wir gegen das Dekret vor Gericht ziehen. Wir gehen zwar davon aus, dass wir dann irgendwann Recht bekommen würden. Aber das dauert halt ewig. Das Problem dabei ist, dass beim dritten angeblichen Verstoß gegen das Dekret bereits unser Flugzeug konfisziert wird. Dass wir im Recht sind, schützt uns also nicht vor den Maßnahmen der italienischen Regierung. Der Staat stellt sich hier einfach über das internationale Recht.

Mit dem Flussi-Dekret wird jetzt nicht nur der Kapitän, sondern auch der Eigner eines Schiffes für angebliche Verstöße haftbar gemacht. Welche Folgen wird das haben?

Im Piantedosi-Dekret waren die Strafen an den Kapitän geknüpft. Das hat die Seenotrettung im Mittelmeer bereits erheblich eingeschränkt und vermutlich viele Menschen das Leben gekostet. Aber das hat Italien nicht gereicht, denn die Kapitäne können rotieren. Es ist deshalb noch nie vorgekommen, dass ein Kapitän dreimal nach diesem Gesetz bestraft worden wäre. Mit Betreibern ist das anders, denn die bleiben ja dieselben. Das bedeutet, dass Festsetzungen viel schneller dazu führen können, dass die Schiffe danach tatsächlich gar nicht mehr auslaufen können.

Gerichte haben Festsetzungen ziviler Seenotrettungsschiffe immer für rechtswidrig erklärt. Wie kann es sein, dass die Behörden damit weitermachen?

Die italienische Regierung hat eine extrem rechte Agenda und ein klares politisches Ziel: Abschottung. Sie hat offensichtlich nicht vor, sich an geltendes Recht zu halten. Die Dekrete sind ja schon intrinsisch ein Aufruf dazu, internationales Recht zu brechen. Das sehen wir auch beim Albanien-Deal zur außereuropäischen Inhaftierung von Asylsuchenden, den Gerichte gestoppt haben. Italien setzt sich darüber aber hinweg. Dieses Ringen zwischen Gerichten und der Regierung ist gerade an allen möglichen Stellen zu beobachten.

Wie wirken sich die Repressalien auf Ihre Fähigkeit aus, Seenotfälle zu dokumentieren?

Wir fliegen noch. Das heißt aber nichts. Bei den Schiffen haben wir die Erfahrung gemacht, dass mal vier, fünf Monate nichts passiert und dann wird vollkommen willkürlich dreimal gesagt, wir hätten nicht auf die sogenannte libysche Küstenwache gehört.

Es gab ja auch von libyscher Seite Stress, indem Ihnen vor zwei Jahren der Einflug in deren Fluginformationsgebiet versagt wurde. Wie geht man mit so einer – offensichtlich anmaßenden – Anweisung um?

Wir halten diese im Frühsommer 2022 ausgesprochenen Einflugsverbote für rechtswidrig. Erst mal haben wir natürlich die rechtliche Situation mit unseren Anwaltskanzleien besprochen und uns über die rechtliche Lage informiert. Nachdem wir uns in unserer Rechtsauffassung sicher waren, haben wir den Flugbetrieb im libyschen Fluginformationsgebiet wieder aufgenommen.

Die Anweisung untergrub auch das international geltende Verbot des freien Durchflugs …

Ja. Wir operieren ausschließlich im internationalen, nicht von den zuständigen Flugsicherungen kontrollierten Luftraum. Sollten wir im kontrollierten Luftraum operieren müssen, holen wir die nötigen Freigaben per Funk ein. Zusätzlich gilt, dass wir selbst in territorialem Luftraum keine Genehmigungen benötigen. Als ziviles Flugzeug genießen wir auch dort das Privileg des freien Überflugs. Diese Grundsätze sind in der Chicago Convention geregelt, an die Libyen als Mitgliedstaat der Internationalen Zivilluftfahrtorganisation gebunden ist.

Was für einen Grund hat es eigentlich, dass Fluginformationsgebiete und Seenotrettungszonen deckungsgleich sind?

In vielen Fällen, jedoch nicht in allen, sind diese angepasst. Fluginformationsgebiete bestehen schon wesentlich länger, und bei der Einrichtung der Seenotrettungszonen wurde in vielen Fällen darauf geachtet, dass diese deckungsgleich sind, um Bemühungen zur Rettung zu erleichtern. Dies zum Beispiel relevant, wenn es um Flugzeugunglücke auf hoher See geht. Außerdem kommen auch bei maritimen Unglücken Flugzeuge als wichtiger Bestandteil der Seenotrettung zum Einsatz. Deshalb haben viele Staaten, die für eine Seenotrettungszone zuständig sind, keine getrennten Leitstellen, sondern ein zentrales Koordinationszentrum sowohl für die Luftfahrt als auch für die Seefahrt.

Mit welchen Flugzeugen ist Sea-Watch im Mittelmeer aktiv? Und wie oft fliegen die?

Wir sind mit den zweimotorigen Maschinen »Seabird 1« und »Seabird 2« von der Humanitarian Pilots Initiative aus der Schweiz unterwegs. Die Flüge hängen stark vom Wetter und weiteren Faktoren ab. Wir wollen jeden Tag fliegen, de facto fliegen wir ungefähr jeden zweiten Tag, im vergangenen Jahr insgesamt 155 Mal.

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