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Weiterer Teilabzug Israels aus Gaza nach Geisel-Freilassung
Jerusalem führt Friedensgespräche nur auf Sparflamme
Nach der Freilassung weiterer Hamas-Geiseln hat sich die israelische Armee vereinbarungsgemäß aus einem strategisch wichtigen Abschnitt des Gazastreifens zurückgezogen, dem sogenannten Netzarim-Korridor. Der Abzug am Sonntag erfolgte, obwohl das stark abgemagerte Aussehen der Geiseln Ohad Ben Ami (56), Or Levy (34) und Eli Scharabi (52) sowie eine öffentliche Inszenierung der Freilassung durch die Hamas in Israel für Entsetzen und Wut sorgten. Israel entließ im Gegenzug auch 183 palästinensische Häftlinge aus seinen Gefängnissen.
Wut über »grausames Spektakel« der Hamas
Aufnahmen von der Geiselübergabe an Vertreter des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) zeigten, wie die drei schwach wirkenden Israelis zunächst von vermummten und bewaffneten Hamas-Mitgliedern auf eine Bühne in Deir al-Balah im Zentrum des Gazastreifens geführt wurden. Sie mussten sich in dem von der Hamas choreografierten Auftritt bei ihren Geiselnehmern bedanken.
Die militärisch nach 16 Monaten Krieg extrem angeschlagene Islamistenorganisation nutzte die Freilassungen in den vergangenen Wochen stets als Machtdemonstration. Hunderte Schaulustige verfolgten das inszenierte Prozedere vor Ort, wie in Live-Übertragungen zu sehen war. Israels Staatspräsident Izchak Herzog sprach von einem »zynischen und grausamen Spektakel«.
Mehr Binnenflüchtlinge können in Norden Gazas zurückkehren
Nach dem Abzug der Armee aus dem Netzarim-Korridor können Binnenflüchtlinge in noch größerer Zahl als bisher aus dem Süden des Gazastreifens in ihre weitgehend zerstörten Wohnorte im Norden zurückkehren. Der Korridor teilt den Küstenstreifen in eine nördliche und eine südliche Hälfte.
Die islamistische Hamas feierte den Abzug der Truppen aus dem Korridor als »Sieg« des palästinensischen Volkes und Niederlage Israels. Erste Videoaufnahmen aus dem geräumten Gebiet zeigten massive Zerstörungen.
Gespräche in Katar über Fortsetzung der Waffenruhe
Eine israelische Delegation kam derweil zu weiteren Gesprächen über eine Fortsetzung der Waffenruhe in Katar an. Angehörige der weiter im Gazastreifen festgehaltenen Geiseln werfen Israels Regierung vor, die nächste Gesprächsrunde nicht entschlossen genug anzugehen.
Ministerpräsident Benjamin Netanjahu habe die Unterhändler angewiesen, vorerst nur über »technische Einzelheiten« zu verhandeln, berichteten israelische Medien unter Berufung auf hohe Regierungsbeamte.
Die indirekten Gespräche in Doha, bei denen Katar, Ägypten und die USA vermitteln, sollen sich um die zweite Phase der Waffenruhe drehen, die Ende des Monats beginnen müsste. Diese soll zu einem endgültigen Ende des Kriegs und zur Freilassung der restlichen Geiseln führen, die noch am Leben sind. Kritiker werfen Netanjahu vor, diesbezügliche Schritte aus Rücksicht auf die politische Rechte in Israel hinauszögern. Hardliner verlangen, die Forderungen der Hamas nicht zu erfüllen und die palästinensische Terrororganisation stattdessen vollständig zu vernichten.
Ein Mitglied des Hamas-Politbüros namens Bassem Naim sagte dem arabischen Sender Al-Dschasira, die Islamistenorganisation sei bereit dazu, alle Hürden für die Umsetzung des Abkommens aus dem Weg zu räumen. Allerdings wende Israel »schmutzige Tricks« an und unterlaufe damit die Abmachung. Dass Hilfslieferungen verzögert und weiterhin Palästinenser im Gazastreifen getötet würden, gefährde den mühsam ausgehandelten Deal, sagte er.
16 Geiseln seit Beginn der Waffenruhe freigelassen
Seit Beginn der Waffenruhe hat die Hamas 16 von 33 israelischen Geiseln freigelassen, die während der ersten Phase der dreistufigen Vereinbarung freigelassen werden sollen. Insgesamt 76 Geiseln werden jetzt noch im Gazastreifen festgehalten, wobei 35 von ihnen israelischen Angaben zufolge tot sind. Die nächsten Geiseln sollen am kommenden Wochenende freikommen.
Das Forum der Geiselangehörigen warf Netanjahus Regierung vor, wertvolle Zeit zu verschwenden: »Wie kommt es, dass das Kabinett nach den schockierenden Bildern von Eli, Ohad und Or nicht sofort zusammentrat? Was für Beweise braucht es noch, dass die Entscheidungsträger die kritische Dringlichkeit der Freilassung der 76 Geiseln einsehen?«, hieß es in einer Stellungnahme.
Ministerium: Schwangere bei Einsatz im Westjordanland getötet
Die Lage im besetzten Westjordanland spitzt sich derweil immer weiter zu. Bei einem israelischen Militäreinsatz in Tulkarem wurde nach palästinensischen Angaben eine Schwangere erschossen. Auch das ungeborene Kind habe nicht überlebt, teilte das Gesundheitsministerium in Ramallah mit. Die 23-Jährige sei im achten Monat schwanger gewesen. Auch ihr Mann sei lebensgefährlich verletzt worden, als israelische Soldaten das Feuer auf ihr Fahrzeug im Flüchtlingsviertel Nur Schams eröffneten. Ein israelischer Armeesprecher sagte, man prüfe die Berichte. Anschließend teilte das Gesundheitsministerium mit, eine weitere Frau im Alter von 21 Jahren sei in Nur Schams tödlich durch Schüsse verletzt worden.
Der israelische Verteidigungsminister Israel Katz teilte mit, die Armee weite ihre Offensive im nördlichen Westjordanland auch auf das Flüchtlingsviertel Nur Schams aus. dpa/nd
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