Zwei Massengräber mit Migranten in Libyen entdeckt

Behörden befreien Dutzende Menschen aus von Schleusern betriebenem Lager

Der Aktivist David Yambio macht Aufnahmen aus libyschen Folterlagern öffentlich. Die Insassen werden ermordet, wenn Angehörige kein Lösegeld zahlen.
Der Aktivist David Yambio macht Aufnahmen aus libyschen Folterlagern öffentlich. Die Insassen werden ermordet, wenn Angehörige kein Lösegeld zahlen.

Libysche Behörden haben in den vergangenen Tagen fast 50 Leichen in zwei Massengräbern in der Wüste entdeckt. Der erste Fund wurde laut Associated Press am Freitag bekannt: Auf einer Farm in der Stadt Kufra im Südosten Libyens wurden 19 Tote gefunden, die nun obduziert werden. Auf einer libyschen Facebook-Seite waren Aufnahmen zu sehen, wie Polizisten und Rettungskräfte im Sand graben und in Decken gehüllte Leichen bergen. Die Hilfsorganisation al-Abreen, die Migrant*innen in Ost- und Südlibyen unterstützt, berichtete, dass einige der Toten offenbar erschossen worden sind.

In der Nähe eines irregulären Gefangenenlagers haben die Behörden am Wochenende in der Provinz Kufra nahe der Grenzen zu Ägypten und Sudan ein weiteres Massengrab entdeckt. Während offiziellen Angaben zufolge mindestens 30 Leichen gefunden wurden, berichtete AFP von 28 Toten. Einige Überlebende nannten sogar fast 70 bestattete Personen.

Bei dem Einsatz haben Sicherheitskräfte zudem 76 Migrant*innen aus dem Lager befreit. Es soll laut der Generalstaatsanwaltschaft von einem Schleppernetzwerk betrieben worden sein. Die Behörden haben drei Verdächtige – einen Libyer sowie zwei Ausländer – festgenommen.

Ermittler gehen davon aus, dass sowohl die befreiten als auch die getöteten Personen aus Ländern südlich der Sahara stammen. Fotos in den Onlinemedien zeigten abgemagerte Menschen mit Narben im Gesicht, an den Gliedmaßen und am Rücken.

Gemutmaßt wird, dass die Insassen für Erpressungsversuche benutzt wurden, indem sie gefoltert und Aufnahmen davon an Angehörige geschickt wurden. In Fällen, wo die Forderung zur Zahlung von Lösegeld erfolglos blieb, könnten die Migrant*innen getötet worden sein. Über derartige Erpressungen berichtet seit Wochen der aus dem Südsudan stammende Aktivist David Yambio, der dazu bekannt gewordene Videos auf der Plattform X postet.

Mitglieder von Küstenwache schießen bei ihrer Festnahme

Menschenrechtsorganisationen und UN-Agenturen haben wiederholt systematische Misshandlungen von Migranten in Libyen dokumentiert. Neben Zwangsarbeit, Schlägen und Vergewaltigungen kommt es häufig auch zu Folter und Morden. Bereits im vergangenen Jahr wurden in der Region Shuayrif, rund 350 Kilometer südlich der Hauptstadt Tripolis, die Leichen von mindestens 65 Migrant*innen in Gräbern verscharrt entdeckt. Im Januar haben Behörden zwei Verdächtige festgenommen, die Geflüchtete – unter anderem aus Somalia und Eritrea – festgehalten haben sollen, um von deren Familien Lösegeld in Höhe von mehreren Tausend Dollar zu erpressen.

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Libyen ist neben der Route über die Kanaren ein wichtiger Transitkorridor für Menschen aus Afrika und dem Nahen Osten auf dem Weg nach Europa. Nach dem von der Nato unterstützten Aufstand im Jahr 2011, der zum Sturz und Tod des langjährigen Machthabers Muammar al-Gaddafi führte, versank das ölreiche Land im Bürgerkrieg, der immer wieder aufflammt. Die von der Uno anerkannte Übergangsregierung in der Hauptstadt Tripolis im Westen und eine rivalisierende Parallelregierung in Benghasi werden jeweils von verschiedenen Milizen und ausländischen Akteuren unterstützt.

Mehrere der Milizen betreiben eigene Küstenwachen, die mitunter selbst in das Geschäft von Schleppern oder von ihnen betriebene Gefängnisse verstrickt sind. Am Sonntag wurde bekannt, dass libysche Behörden deshalb eine strafrechtliche Untersuchung gegen eine Abteilung in der 100 Kilometer westlich von Tripolis gelegenen Stadt Zuwara eingeleitet hat, nachdem vier ihrer Mitglieder inhaftiert wurden. Sie sollen den Schmuggel von 37 Migrant*innen über das Mittelmeer geplant und sich mit Waffengewalt gegen die Festnahme gewehrt haben.

Strafgerichtshof untersucht Freilassung von Folterer in Italien

Zu dem libyschen Schleppernetzwerk gehört offenbar auch der libysche Polizeichef Osama Al-Masri. Er soll Leiter des Mitiga-Gefängnisses in Tripolis gewesen sein und wird wegen Mordes, Vergewaltigung und Folter gesucht, die er seit Februar 2015 begangen haben soll. Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) hatte deshalb einen Haftbefehl erlassen.

Am 19. Januar war Al-Masri von italienischen Behörden in Turin festgenommen worden, nachdem er ein Fußballspiel besucht hatte. Trotz eines via Interpol verteilten internationalen Haftbefehls wurde er drei Tage später – angeblich aufgrund eines Formfehlers – freigelassen und mit einem bereitstehenden Regierungsflieger nach Libyen gebracht, ohne wie im Römischen Statut vorgeschrieben den IStGH zu konsultieren.

Die Angelegenheit weitet sich in Italien zu einer politischen Krise aus, denn die Gründe der Regierung für die Freilassung von Al-Masri sind undurchsichtig. Deshalb ermittelt nach der Anzeige eines aus dem Südsudan geflüchteten Mannes nun auch die Staatsanwaltschaft gegen die rechtsextreme Regierungschefin Giorgia Meloni. Auch der IStGH hat laut der Zeitung »Avvenire« eine Untersuchung eingeleitet, um zu prüfen, ob im Fall Al Masri die internationale Justiz behindert wurde. Italiens Ministerpräsidentin, Justizminister Carlo Nordio und Innenminister Matteo Piantedosi stehen dabei unter Verdacht, Beihilfe zu einer Straftat geleistet zu haben.

Die Anzeige beim IStGH hat ein bekannter Rechtsanwalt vorgebracht, der einen Geflüchteten aus dem Sudan Mann vertritt. Dieser hatte 2019 vor internationalen Ermittlern ausgesagt und Beweise vorgelegt, wonach er, seine Frau und ihre Gruppe von einem Kommando unter Al-Masri gefoltert wurden, während sie in Libyen inhaftiert waren. In seinem Bericht beschuldigt er auch hochrangige EU- und italienische Beamt*innen – darunter ehemalige Ministerpräsidenten und Minister – der Beihilfe zu Menschenrechtsverbrechen in Libyen.

Von Interpol gesuchter Al-Masri war zuvor in Deutschland

Die Opposition kritisiert die Regierung wegen der Freilassung Al-Masris scharf und fordert Aufklärung – bislang erfolglos. Sie wertet die Entscheidung als Versuch, die Beziehungen zu Libyen zu schützen, da Italien zur Migrationsabwehr stark auf dortige Sicherheitskräfte und Milizen setzt. Meloni bezeichnete die Vorwürfe als politisch motiviert.

Vor seiner Festnahme in Turin soll sich der mutmaßliche Menschenhändler Al-Masri in Deutschland aufgehalten haben. Das »nd« hat dazu mehrmals bei der Bundesregierung nachgefragt, doch die Behörden mauern. Man werde sich nicht zu einzelnen Erkenntnissen äußern, »wo sich eine Person aufhält und welche Erkenntnisse die Sicherheitsbehörden haben«, hieß es aus dem Justizministerium. »Ich kann nur ganz grundsätzlich sagen, dass wir den IStGH unterstützen und der Mann ja durch einen IStGH-Befehl gesucht ist«, so der Sprecher.

Vergangene Woche wurde zudem bekannt, dass mindestens sieben italienische Journalist*innen und Aktivist*innen, die sich kritisch mit der Migrationspolitik befasst haben, mit einer bis dahin unbekannten staatlichen Spionagesoftware einer Firma aus Israel überwacht wurden. Die italienische Premierministerin Giorgia Meloni will sich dazu nur im geheimen Kontrollgremium äußern. Heute findet dazu eine Pressekonferenz im EU-Parlament statt, bei der der von der Spionage betroffene Seenotretter und Aktivist der NGO Mediterranea Luca Casarini sowie der ebenfalls ausspionierte Chefredakteur des Nachrichtenportals Fanpage Francesco Cancellato weitere Details bekannt geben wollen. Mit Agenturen

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