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Schüler-Protest gegen AfD-Einladung: Im Namen der Coppis
Der Protest am Coppi-Gymnasium in Berlin kritisiert das Vorgehen der Schulleitung – und wirft grundlegende Fragen auf
Gerade einmal 26 und 34 Jahre sind Hans und Hilde Coppi alt, als sie 1942 und 1943 für ihren Widerstand gegen die Nationalsozialisten im Strafgefängnis Plötzensee enthauptet werden. Fast ein halbes Jahrhundert später eröffnet im Berliner Bezirk Lichtenberg eine neue Schule: das Hans-und-Hilde-Coppi-Gymnasium. »Die Wahl des Schulnamens war eine Entscheidung für Menschen mit Mut, für junge Leute, die Unrecht nicht hinnahmen«, teilt die Schule bei ihrer Gründung 1994 mit. Der Name, heißt es damals, werde mit Bedacht gewählt, dürfe niemals zur Formalität verkommen und solle im Schulalltag präsent sein.
Auch wegen Worten wie diesen steht das Coppi-Gymnasium nun in der Kritik. Dass die Schulleitung Beatrix von Storch, Bundestagswahl-Kandidatin der rechtsextremen AfD in Lichtenberg, zu einer Vorstellungsrunde eingeladen hat, sorgt für Ärger unter Schüler*innen. Als »Coppi gegen rechts« rufen sie zum Protest gegen die Veranstaltung auf und fordern die Ausladung von Storchs. Den Auftritt »der Erzkonservativen mit ihren transphoben, antimuslimischen Äußerungen« könne man nicht unkommentiert akzeptieren, heißt es. Die Schüler*innen werfen der Leitung des Gymnasiums vor, nicht ausreichend mit ihnen kommuniziert zu haben. Erst auf Nachfrage soll die Schulleitung der Oberstufe die Liste der Teilnehmer*innen bekanntgegeben haben.
Für den Dienstag, den Tag der Podiumsdiskussion, wurden der Berliner Polizei zwei Demonstrationen mit jeweils 100 Teilnehmer*innen gemeldet. Erst bei der Debatte, dann selbst beim Protest dabei: Linke-Kandidatin Ines Schwerdtner, von Storchs Konkurrentin im Bezirk. »Als Schülerin hätte ich diese Demo sicher auch mitorganisiert«, sagt sie zu »nd«. Für ihren Wahlkampf habe sie sich grundsätzlich entschieden, auch mit der AfD in die Diskussion zu gehen. »Aber natürlich stößt das jetzt vielen auf, wenn jemand wie Beatrix von Storch ausgerechnet an einer Schule auftritt, die nach den Coppis benannt ist.«
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Enttäuscht zeigt sich Schwerdtner mit Blick auf das Format der Veranstaltung, über das am Tag zuvor offenbar noch Unklarheit herrscht. Der Linke-Politikerin zufolge plant das Coppi-Gymnasium aufeinanderfolgende Einzelgespräche mit den Kandidat*innen. Ein politischer Schlagabtausch zwischen den Parteien wäre demnach nicht vorgesehen – anders als es der vorab kursierende Begriff einer Podiumsdiskussion vermuten lässt. »Ich hätte das eigentlich ganz gut gefunden«, sagt Schwerdtner. »Beatrix von Storch hat sich bei vergangenen Diskussionen mehr oder weniger von alleine lächerlich gemacht.«
Die Leitung der Coppi-Schule selbst lässt sämtliche Presseanfragen zur Veranstaltung unbeantwortet. Die Senatsbildungsverwaltung aber verweist nach nd-Anfrage auf die Neutralitätsverpflichtung Berliner Schulen. Sie seien im Rahmen ihres demokratischen Bildungsauftrags dazu angehalten, ein breites Sprektrum politischer Standpunkte zu vermitteln, ohne eine Partei zu bevorzugen oder zu benachteiligen. »Im konkreten Fall ist die Podiumsdiskussion Teil des Unterrichts und wird im Folgenden auch noch im Unterricht ausgewertet«, gewährt die Bildungsverwaltung Einblick. Dies ermögliche eine »vertiefte Auseinandersetzung« mit den politischen Inhalten.
»Bei einem Teil der Schülerinnen und Schüler scheint das mit der politischen Bildung ja ganz gut geklappt zu haben.«
Markus Tervooren Vorsitzender VVN-BdA
Auch der Vorsitzende des Landeselternausschusses Berlin, Norman Heise, spricht sich gegen eine Absage an Beatrix von Storch aus. Er befürchtet, so der AfD in die Karten zu spielen, die sich gerne als Opfer im politischen Diskurs inszeniere. Allerdings stehe die Schule in der Pflicht, die Behauptungen der AfD-Politikerin einem Faktencheck zu unterziehen und umfangreiche Vorkehrungen zu treffen. Heise warnt davor, Eltern und Schüler*innen bei derartigen Entscheidungen zu übergehen. »Es gibt Gremien dafür, hier den richtigen Umgang zu finden«, sagt er.
Berlins Landesschülersprecher Orcun Ilter sieht das ähnlich: »Bei einem kontroversen Charakter wie Beatrix von Storch muss sichergestellt werden, dass man mit den Schülerinnen und Schülern ins Gespräch kommt.« Der Widerstand an der Schule sei offensichtlich groß. Eine Absage hält Ilter für einen möglichen Schritt, wenn es darum geht, den Schulfrieden zu wahren. »Am Ende ist das aber eine schulinterne Angelegenheit.«
Uneingeschränkten Zuspruch erhalten die Coppi-Schüler*innen von der Berliner Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN-BdA). In einem offenen Brief fordert der Verband das Lichtenberger Gymnasium mit deutlichen Worten dazu auf, von Storch auszuladen. Gegenüber »nd« plädiert Geschäftsführer Markus Tervooren dafür, AfD-Auftritte an Berliner Schulen generell zu unterbinden. »Die Neutralitätspflicht bedeutet nicht, dass man sich neutral gegenüber politischen Werten und dem Grundgesetz verhalten sollte«, sagt er zu »nd«. Die AfD sei ohnehin der Elefant im Raum, »und genau da sollte man sie auch stehen lassen«.
Stattdessen werde der rechtsextremen Partei großer Raum in Radio und Fernsehen eingeräumt. Dass sich die AfD dabei von selbst entzaubert, kann Tervooren nicht beobachten. Auch einen effektiven Faktencheck während des Auftritts hält der VVN-BdA-Vorsitzende für unrealistisch. Bei den Schüler*innen, die den Protest organisieren, will sich Tervooren bedanken. »Ich glaube nicht, dass ich in dem Alter so klug war«, sagt er. Die Coppi-Schule könne er zumindest in dieser Hinsicht nur beglückwünschen: »Bei einem Teil der Schülerinnen und Schüler scheint das mit der politischen Bildung ja ganz gut geklappt zu haben.«
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