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Stella Merendino: Vom Arbeits- zum Wahlkampf
Die Linke-Direktkandidatin im Wahlkreis Berlin-Mitte kann auf Erfahrungen als Krankpflegerin und in der Krankenhausbewegung zurückgreifen
Stella Merendinos Wangen leuchten rot – von der Februarkälte draußen und von dem Energielevel, auf dem sie in diesen Tagen unterwegs ist. Der Pulsschlag des Wahlkampfs so kurz vor der Entscheidung lässt wenig Zeit zum Ausruhen. Auch an diesem Samstagabend in einem von der Linkspartei angemieteten Sportvereinsheim im Weddinger Norden ist viel los. Merendino ist eine der etwa 50 bis 60 zumeist jungen Wahlkämpfer*innen, die gerade nach und nach von ihren Haustürgesprächen zurückkehren.
»Mein ›Highlight‹ war ein Gespräch mit einer AfD-Wählerin«, berichtet die Direktkandidatin der Linkspartei Berlin-Mitte für den Bundestag. Und fügt hinzu, dass die Gesprächspartnerin die rechtspopultische Partei wählen wolle, weil sie angeblich Politik für die Menschen mache. »Ich bin leider nicht an sie rangekommen«, bedauert Merendino. Auch der Wedding ist nicht mehr so rot wie einst. Aber die 30-Jährige sei durch ihre Arbeit in der Rettungsstelle abgehärtet, sagt sie. Merendino meint damit neben der Tatsache, dass sie in ihrer fast achtjährigen Tätigkeit als Krankenpflegerin in einer Notaufnahme natürlich täglich mit Menschen jeglicher Couleur zu tun hat, vor allem auch die sich immer weiter verschlechternden Arbeitsbedingungen in der medizinischen Versorgung.
»In der Covid-Zeit war die Arbeit dort wirklich traumatisierend«, erinnert sie sich. Während alle anderen Intensivstationen in den Krankenhäusern zumindest den Corona-Bonus erhielten, wurden die Rettungsstellen nicht refinanziert. Was dazu führte, dass in vielen Fällen gerade mal drei Pflegekräfte den Nachtdienst in der Notaufnahme stemmen mussten – eine unvorstellbare Arbeitsüberlastung in einer Stadt wie Berlin. »Das war ein Schlag ins Gesicht. Wir saßen oft da und hatten einfach keine Kraft mehr«, erzählt Merendino.
Doch sie und ihre Kolleg*innen wurden aktiv und traten im Sommer 2021 mit der Berliner Krankenhausbewegung (BKB) in den Streik. Dabei haben sie auch den ersten Tarifabschluss für Notaufnahmen bundesweit erkämpft, woraufhin es ihnen die Belegschaften in Nordrhein-Westfalen und in Niedersachsen gleichtaten.
»Für mich ist eine solidarische Gesellschaft eine Selbstverständlichkeit.«
Stella Merendino (Linke)
Direktkandidatin Berlin-Mitte
Es seien diese untragbaren Zustände gewesen, die Merendino dazu brachten, sich politisch zu engagieren. Und ihre Stimme wurde nun gehört. Als Sprecherin der BKB trat sie bei Demonstrationen auf und vertrat die Bewegung in Gesprächen mit Berliner Regierungsvertreter*innen. 2022 wurde sie zudem in die von der Pflegewissenschaftlerin Martina Hasseler geleitete Regierungskommission Krankenhaus eingeladen, um Vorschläge für dringend nötige Reformen im Krankenhausbereich einzubringen.
Es folgte ein Praktikum bei dem Linke-Bundestagsabgeordneten Ates Gürpinar und 2023 der Parteieintritt. »Der Austritt Sahra Wagenknechts spielte für diese Entscheidung auch eine Rolle. Da war dann diese Aufbruchstimmung – und der starke Wille zur Erneuerung, der mich überzeugt hat«, sagt Merendino.
Sie spüre, dass die Leute sehr positiv auf sie reagieren, was ihr viel Mut mache für ihre Kandidatur. Viel wirklich Substanzielles habe sich bisher im Krankenhaus- und Pflegebereich noch nicht zum Besseren entwickelt, auch wenn beispielsweise die Nachtdienste auf Merendinos Station nach dem Tarifkampf mittlerweile durchschnittlich mit fünf statt nur drei Pflegekräften bestritten werden könnten. Überlastung und Unterfinanzierung seien auch im Gesundheitswesen nach wie vor die zentralen Probleme, »das ist gut für die Aktionäre, aber schlecht für das Personal und die Patient*innen«, betont die 30-Jährige. Nur der Druck der Linken könne daran etwas ändern, ist sie überzeugt.
»Für mich ist eine solidarische Gesellschaft eine Selbstverständlichkeit, doch die Politiker*innenklasse ist ja selbst nicht von den Problemen der meisten arbeitenden Menschen betroffen«, beschreibt Merendino ihren Standpunkt. Der Bundestag sei für sie »ein durch und durch patriarchales System«, Frauen und Arbeiter*innen seien absolut unterrepräsentiert. »Wie kann ein solches Parlament die Bedürfnisse der Bevölkerung vertreten?«, fragt sie rhetorisch. Im Grunde sei dieser Ausschluss marginalisierter Gruppen Union Busting auf parlamentarischer Ebene.
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Selbst aufgewachsen im Weddinger Beton sei sie genau wegen jener genannten Ausgrenzungsmechanismen in die Politik gegangen. »Wenn ich mich in der Rettungsstelle zum Beispiel um einen 18-jährigen Obdachlosen kümmere, der vom System ausgespuckt wurde, weiß ich, was hier schiefläuft«, sagt sie wütend.
Aus ihrem Beruf ergibt sich für Merendino auch die Vorstellung, dass das Gesellschaftssystem ein bisschen wie eine Notaufnahme aufgebaut sein sollte: »Es muss schnell auf Krisen reagieren, Ressourcen dorthin lenken, wo sie am dringendsten gebraucht werden, und interdisziplinär zusammenarbeiten, statt in starren Strukturen festzustecken«, erläutert die Linke-Politikerin. Zudem zähle in der Notaufnahme das Wohl der Patient*innen und nicht der Profit. »Und genau so sollte unser gesellschaftliches System funktionieren: flexibel, solidarisch und mit dem Fokus auf das Gemeinwohl, nicht auf wirtschaftliche Interessen. Und vor allem: Niemand darf zurückgelassen werden.«
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