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Falschparker profitieren in Berlin

Halbherzige Digitalisierung des Bundes sorgt für Zoff zwischen Bezirken und Senat

In Amsterdam gibt es bereits jetzt sogenannte Scancars, die Parksünder automatisiert erfassen.
In Amsterdam gibt es bereits jetzt sogenannte Scancars, die Parksünder automatisiert erfassen.

»Wir haben das Projekt nicht beerdigt, sondern wir stehen vor dem Umstand, dass derzeit in Deutschland eine entsprechende datenschutzrechtliche Regelung noch nicht etabliert ist, noch nicht gefunden worden ist und einfach noch nicht besteht«, sagt Mobilitätssenatorin Ute Bonde (CDU) am Dienstag bei der Senatspressekonferenz.

Das Projekt, um das es sich handelt, sind sogenannte Scancars. Mit Kameratechnik ausgerüstete Autos, die im Vorbeifahren die Kennzeichen abgestellter Fahrzeuge erfassen. 1000 Kennzeichen pro Stunde können so überprüft werden, Beschäftigte der Ordnungsämter schaffen manuell in der gleichen Zeit vielleicht 50.

Unter anderem Dänemark, Schweden, Finnland, Polen, Tschechien, Slowenien, Rumänien, Kroatien, Spanien, Portugal, Frankreich, Belgien und die Niederlande setzen die Technik bereits ein. Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) zeigte sich im Juni 2023 bei einem Besuch in Warschau begeistert und wünschte sich möglichst bald einen Einsatz auch hier.

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Dass zwischen der kurzzeitigen Begeisterungsfähigkeit des Regierenden und dem langen Atem, den es für eine Umsetzung braucht, oftmals eine Lücke herrscht, war schon des Öfteren zu beobachten. Auch beim Projekt »Scancar« scheint das der Fall zu sein, zumindest laut Aussagen des Bezirks Mitte. Der teilt mit, dass die im August 2022 eingerichtete landesweite Geschäftsstelle »Digitale Parkraumbewirtschaftung« zeitnah ihre Arbeit einstellen muss.

Dabei kooperierten neben Mitte auch Friedrichshain-Kreuzberg sowie die Senatsmobilitätsverwaltung. Zwar konnte im Januar 2024 ein gemeinsamer Projektauftrag als »wichtiger Meilenstein« erreicht werden, jedoch hätten im Anschluss bis zum Fristende am 31. Oktober 2024 weder die Mobilitätsverwaltung noch die Senatskanzlei eine »notwendige Projektverantwortung« gesehen.

Für die Bezirke ist eine effizientere Ahndung von Falschparkern essenziell. »Derzeit sind allein im Bezirk Mitte circa 120 Beschäftigungspositionen in der Parkraumüberwachung nicht besetzt«, erklärt der bezirkliche Ordnungsstadtrat Christopher Schriner (Grüne). Mit der bisherigen und zukünftig geplanten Ausweitung der Parkraumbewirtschaftung werde sich »die Situation weiter verschärfen«.

Auch in Friedrichshain-Kreuzberg ist es ein offenes Geheimnis, dass wegen Personalmangels die jüngst neu eingerichteten Parkzonen zum Beispiel im Wrangelkiez nur sporadisch kontrolliert werden. Digitalisiert könnte die Kontrolle nicht nur wieder vollflächig gewährleistet werden, sie wäre laut Aussagen aus Mitte auch deutlich preiswerter als mit händischer Arbeit. »Es ist sehr bedauerlich, dass ein so wichtiges Modellprojekt für einen effizienten Regelvollzug nicht die notwendige politische Unterstützung erhält«, so Stadtrat Schriner aus Mitte.

Das will die Senatskanzlei so nicht auf sich sitzen lassen. »Die Digitalisierung der Parkraumbewirtschaftung ist ein wichtiges Projekt des Berliner Senats«, erklärt Senatssprecherin Christine Richter auf Anfrage von »nd«. Sie setze sich aus den Komponenten Einsatz von Scancars, Digitalisierung der Bewohnerparkausweise und Schaffung der rechtlichen und organisatorischen Rahmenbedingungen zusammen.

»Derzeit sind allein im Bezirk Mitte circa 120 Beschäftigungspositionen in der Parkraumüberwachung nicht besetzt.«

Christopher Schriner (Grüne)
Ordnungsstadtrat Mitte

Bislang fehlten jedoch die bundesrechtlichen Rechtsgrundlagen, damit Scancars die Kennzeichen der geparkten Kraftfahrzeuge automatisch erfassen und sie mit den hinterlegten Daten abgleichen können, so Richter weiter. Zwar hat der Bund bei der jüngsten Novellierung der Straßenverkehrsordnung im vergangenen Jahr neu die Möglichkeit geschaffen, einen digitalen Bewohnerparkausweis auszustellen. Zumindest dieser Digitalisierungsschritt ist laut Richters Angaben »nach aktuellem Stand für die Bewohnerparkausweise in Vorbereitung«.

Im Gesetzgebungsverfahren kritisierte der ökologisch orientierte Thinktank Agora Verkehrswende bereits, es sei nicht erkennbar, dass diese Neuerung »Teil eines umfassenden Ansatzes zur Digitalisierung des Parkraummanagements wäre«. Dazu kommen im Gesetz angedeutete nicht praktikable Widerspruchsmöglichkeiten zur digitalen Erfassung, fehlende Grundlagen für die Datenübermittlung zwischen Behörden sowie ein möglicher Urwald an digitalen und analogen Parkberechtigungen. Das »Ziel der Bürokratieentlastung« werde so nicht erreicht.

Auf Fragen, warum Senatskanzlei oder Mobilitätsverwaltung nicht die Projektverantwortung für die Digitalisierung der Parkraumbewirtschaftung übernommen haben, gehen weder Senatorin Bonde noch Senatssprecherin Richter ein.

»Wir brauchen die digitale Parkraumüberwachung«, sagt Oda Hassepaß gegenüber »nd«. Sie ist verkehrspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus. Ein Pilotprojekt zu Scancars wäre sinnvoller, als zu warten, bis alles wasserdicht im Bundesrecht geregelt sei. Hamburg und Baden-Württemberg planten, landesrechtlich den Einsatz von Scancars zu ermöglichen. »Es ist bedauerlich, dass es jetzt abgesagt worden ist«, so Hassepaß.

Fehlende Digitalisierung und Personalmangel bei der Bußgeldstelle der Polizei sowie einem externen Dienstleister, der für das Scannen eingehender Papieranzeigen zuständig ist, sorgen dafür, dass regelmäßig Zehntausende Fälle liegen bleiben und teilweise auch verjähren. Bisher war weder bei der aktuellen Innensenatorin Iris Spranger (SPD) noch bei ihren Vorgängern deswegen größere Aktivität zu registrieren.

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