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Do-it-yourself-Diagnostik – sinnvoll oder schädlich?

Tests für zu Hause können sehr teuer sein und verzögern möglicherweise eine medizinische Behandlung unnötig

  • Irena Güttel
  • Lesedauer: 3 Min.
Internet-Angebot für einen Mikrobiom-Selbsttest: Untersuchungen dieser Art sind häufig überteuert.
Internet-Angebot für einen Mikrobiom-Selbsttest: Untersuchungen dieser Art sind häufig überteuert.

Ständig müde, schlapp und kraftlos? Wer im Internet sucht, findet dafür vielerlei Erklärungen. Ist es Vitamin-B12-Mangel, ist die Darmflora nicht in Ordnung, oder ist es gar Krebs? Vermeintliche Gewissheit sollen Selbsttests bringen, die man einfach zu Hause machen kann. Im Internet, in Drogeriemärkten und Apotheken findet man sie für alle möglichen Anwendungsbereiche. Doch wie zuverlässig sind solche Tests?

Schwangerschafts-Schnelltests und Blutzuckertests für Menschen mit Diabetes gibt es schon lange. Wer fürchtet, sich mit HIV infiziert zu haben, kann das seit Herbst 2018 mit einem Selbsttest überprüfen. Mit der Corona-Pandemie ist es dann für viele Menschen selbstverständlich geworden, sich selbst auf bestimmte Erreger zu testen.

Da scheint es nur konsequent, Selbsttests auch für andere Gesundheitsfragen zu nutzen. Schließlich vermessen viele ihren Gesundheitszustand bereits mit Smartwatch oder Smartphone selbst.

Dass der Markt für Tests boomt, bekommt die Gastroenterologin Birgit Terjung in ihrer Sprechstunde in Bonn deutlich zu spüren. Sie sehe mittlerweile oft Patientinnen und Patienten mit unklaren Bauchschmerzen, die einen Mikrobiom-Selbsttest gemacht haben – also eine Stuhlprobe an einen kommerziellen Anbieter geschickt haben, um die Zusammensetzung ihrer Darmflora auswerten zu lassen.

Doch solche Tests seien wenig aussagekräftig und kostspielig, warnt die Expertin von der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten. Der Stuhltest komme nur von einem Abschnitt des Darms, das Ergebnis sei zudem von der Tageszeit und dem Essen abhängig, erläutert Terjung. Nach der Analyse erhalte man von Anbietern oft eine aufwendige Ernährungsempfehlung und speziell zusammengestellte Probiotika, die die Darmflora optimieren sollen.

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»Diese Therapien sind sehr teuer, bis in den vierstelligen Bereich«, sagt Terjung. »Und ob das hilft, ist fraglich.« Solide wissenschaftliche Beweise gebe es jedenfalls nicht, schreibt eine internationale Expertengruppe im Fachjournal »The Lancet Gastroenterology & Hepatology«. Die Zeit sei noch nicht reif, um aus Mikrobiom-Analysen Frühdiagnosen für Krankheiten oder Behandlungen abzuleiten. »Aber der Markt ist schneller als die Wissenschaft, wie es bereits in der Vergangenheit bei den Gentests für den Hausgebrauch der Fall war«, so die Autoren.

Vorsicht geboten ist auch bei Hormontests. Cortisolmangel könne die Ursache dafür sein, dass man sich gestresst fühle, heißt es von Herstellern. Ein Speicheltest bringe Gewissheit. Ähnliche Versprechen gibt es auch für Sexual- oder Schilddrüsenhormone.

Die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) rät davon ab, solche Tests in Eigenregie zu machen. Die Qualität sei nicht gesichert und die Ergebnisse könnten ungenau sein, weil der Hormonspiegel abhängig zum Beispiel von der Tageszeit sei, betont DGE-Experte Alexander Mann. »All diese Faktoren werden bei der Bewertung in einer Fachpraxis berücksichtigt.« Sinnvoll könnten dagegen Ovulationstests bei Frauen mit Kinderwunsch sein.

Ungenaue Selbsttests können Patienten verunsichern, zu überflüssigen Behandlungen führen – oder sogar dazu, dass notwendige verschleppt werden, sagt der Bremer Mediziner Hans-Michael Mühlenfeld. Von Beschwerden auf eine Krankheit zu schließen, sei ein komplexer Vorgang, sagt der Experte für hausärztliche Praxis der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin. »Das ist nicht damit getan, dass man irgendwelche Tests macht.« Außerdem sei es wichtig, die Ergebnisse einzuordnen. Unter Umständen befördern die Tests, dass der Arztbesuch bei ernsthaften Gesundheitsproblemen zu lange verzögert wird. dpa/nd

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