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»Marek, Sie sind ein Schuft!«
Vor 75 Jahren erschien »Götter, Gräber und Gelehrte«, der erste Sachroman über die Archäologie
Als jugendlicher Erwachsener wurde ich immer wieder mit großen Augen von Freunden gefragt: »Bist du verwandt mit ihm?« Später ging das mit Kolleginnen und Kollegen so weiter. Unter dem Pseudonym C. W. Ceram hatte mein Namensvetter den Archäologie-Roman »Götter, Gräber und Gelehrte« verfasst. Kritiker bezeichneten es als das erste Sachbuch in populärer Form für die noch junge Bundesrepublik. Sein Autor wurde damit zum erfolgreichsten deutschen Schriftsteller der Nachkriegszeit.
Kaum war das 560-seitige Werk in den Buchhandel gelangt, wurde es zur eierlegenden Wollmilchsau für den Verlag. Jahrzehntelang, ein Longseller über Deutschland hinaus. In kürzester Zeit gingen von der aufwendig gestalteten Ganzleinenpublikation mit Goldprägung, farbigem Schutzumschlag und Bildtafeln im Tiefdruck 12 000 Exemplare über den Ladentisch.
Der Prachtband – über die Ausgrabungen in Pompeji, die Entdeckung Trojas und das Grab Tutanchamuns kostete für die Nachkriegszeit stolze 18 D-Mark. Die erste Ausgabe war innerhalb von vier Wochen vergriffen. Weltweit wurden bis heute über fünf Millionen Exemplare verkauft, übersetzt in 33 Sprachen, später als Hörspiel vertont und von Hollywood sogar verfilmt (»Das Tal der Könige« mit Eleanor Parker und Robert Taylor).
»Man schreibt ein Buch, und das Glück kommt«, ließ Kurt W. Marek seine Leserinnen und Leser 1953 wissen, nachdem das viertelmillionste Exemplar gedruckt war. »Götter, Gräber und Gelehrte« ist – wie der Untertitel andeutet – ein »Roman der Archäologie«. Mit Archäologen, besessenen Wissenschaftlern und findigen Tüftlern. Schon die Orte der Handlung hatten klangvolle Namen: Tal der Könige, Mesopotamien Ninive, Peloponnes Troja und Yucatán. Marek montierte das alles so, dass aus einer akademischen Disziplin, ein großes Abenteuer wurde.
»Götter, Gräber und Gelehrte« war ein Angebot, in ferne, andere Welten zu entkommen.
Der Bestseller steht in der Tradition der Neuen Sachlichkeit der Weimarer Republik: Montageprinzip, journalistische Schreibweise und ein bildhafter Sprachstil zeichnen ihn aus. Unwissenschaftlich nannte Marek selbst sein Buch, und das lag auch in seiner Absicht. Er stellt Heinrich Schliemann, den Ausgräber von Troja, Robert Koldewey, der unter anderem die Prozessionsstraße von Babylon mit dem Ischtar-Tor freigelegt hatte, sowie Jean-Francois Champollion, der die Hieroglyphen entzifferte, gleich Detektiven Hinterlassenschaften der Antike aufspürten vor. Sein Buch gleicht einem Kriminalroman.
Dabei war die Entstehung des Buches selbst ein Krimi. Denn der Autorenname Ceram war ein Pseudonym und Anagramm: der Name Marek rückwärts gelesen. Es ist überliefert, dass Marek als Cheflektor zu seinem Verleger Heinrich Maria Ledig-Rowohlt ging und ihn bat, das Buch eines gewissen Ceram zu veröffentlichen, ohne seine eigene Autorenschaft zu offenbaren. »Ich ging eines Tages zu Rowohlt und sagte: Hier ist ein Buch von einem gewissen Ceram, das müssen wir bringen«, so kolportierte es Marek in Anspielung auf die Männerfreundschaft später. Darauf habe ihn Rowohlt gefragt, ob das Buch überhaupt etwas tauge. Marek-Ceram: »Natürlich, sonst würde ich es nicht vorschlagen!« Anfangs hätte Rowohlt große Zweifel gehabt, dass ein Roman über die Geschichte der Archäologie seine Leserinnen und Lesen finden würde. Aber Rowohlt hatte großes Vertrauen zu Marek. »Und so geschah das Unglaubliche, dass der Lektor eines Verlages ein Buch annahm, ohne dass es irgendeiner außer ihm gelesen hatte.« Erst später, als der Band bereits im Druck war, habe er Rowohlt seine Autorenschaft gestanden. »Marek, Sie sind ein Schuft«, soll Rowohlt im entgegnet haben.
Marek wurde am 20. Januar 1915 in Berlin geboren. Nach einer kaufmännischen Ausbildung beim Verleger Josef Singer arbeitete er als freier Journalist für Presse und Rundfunk, war Film- und Literaturkritiker unter anderem beim »Berliner Börsen-Courier« und der »Berliner Illustrirten Zeitung«. 1938, mit 23 Jahren, wurde er zur Wehrmacht eingezogen. Er war in der Propagandakompanie der Luftwaffe stationiert, zuerst in Paris, dann an der Ostfront und bei Kriegsende in Italien.
Als Kriegsberichterstatter schrieb er für eine Frontzeitung und war dabei recht erfolgreich. Später sprach Marek nur ungern über seine aktive Rolle in der NS-Propaganda. Er selbst spielte seine Erfahrung als Kriegskorrespondent herunter auf die »rein deskriptive Darstellung von Erlebnissen ohne die geringste politische oder propagandistische Kommentierung«. Viel lieber verwies Marek auf sein nach Tagebuchaufzeichnungen verfasstes Werk »Wir hielten Narvik« von 1941. Das renommierte Münchner Institut für Zeitgeschichte kommt zur Einschätzung, dass Marek sich mit dem NS-Regime arrangiert habe. Darüber, ob er während des Kriegs eindeutige Kriegspropaganda betrieb, lasse sich streiten. Aber »auch er war offensichtlich kein Regimekritiker, sondern schrieb Durchhalteparolen für die Frontzeitungen«.
Nach Kriegsende wurde Marek 1946 Feuilletonchef der noch britisch geleiteten Tageszeitung »Die Welt«, Mitarbeiter beim neugegründeten Nordwestdeutschen Rundfunk und schließlich Cheflektor des Rowohlt Verlages. Während dieser vielfältigen Tätigkeiten entstand »Götter, Gräber und Gelehrte«. Dass er unter einem Pseudonym veröffentlichen wollte, begründete Marek mit seiner Bekanntheit als Journalist. »Mir war klar, wenn dieser Marek jetzt mit einem Roman der Archäologie herauskam, dann würde ihm das weder die Kritik noch der Buchhandel abnehmen, vom Publikum ganz zu schweigen. Also kehrte ich meinen Namen um.«
Der Erfolg des Sachromans hatte viele Gründe: »Götter, Gräber und Gelehrte« war das erste wirklich gut ausgestattete Buch der Nachkriegszeit. Eines, das man vorzeigen und auf den Weihnachtstisch legen konnte. Es lieferte unverfängliche Fakten über ein vermeintlich unpolitisches Thema. Und es kam dem ungeheuren Wissensdurst der Nachkriegszeit entgegen: Man wollte lernen, den Horizont erweitern und die Welt erobern, aber nicht durch blutige Feldzüge. Der Aufbruch aus dem grauen Trümmeralltag stand 1949 auf der kulturellen Tagesordnung: Informationshunger, Kultursehnsucht und Vergnügungssucht waren Massenbedürfnisse der Nachkriegsgesellschaft. »Götter, Gräber und Gelehrte« war ein Angebot, in ferne, andere Welten zu entkommen und gleichzeitig eine Gegenwelt zur schmerzhaft erfahrenen Gegenwart. »Die Mörder sind unter uns« war ja nicht nur ein Filmtitel, sondern gesellschaftliche Realität. Die Suche nach dem neuen Adam und der Wunsch nach einer unbelasteten Vergangenheit trugen zum Erfolg des Kultbuches bei.
Stilistisch und inhaltlich war »Götter, Gräber und Gelehrte« ein Kind des eurozentrischen Zeitgeistes. Ceram-Marek präsentiert archäologische Entdeckungen vor allem als heroische Taten westlicher Forscher, oft ohne die Rolle indigener Kulturen angemessen zu würdigen. Besonders problematisch ist die Darstellung von Expeditionen als Erfolgsgeschichten, die die kolonialen Strukturen der damaligen Zeit weitgehend ausblenden. Indigene Gemeinschaften erscheinen meist nur als Statisten oder Hindernisse im großen Narrativ der »Entdeckung«. Kein Wort über Nationalsozialismus, den Zweiten Weltkrieg oder die kolonialistische Aneignung fremder Welten.
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Trotzdem bleibt das Buch ein Meilenstein der populären Archäologie, dessen Einfluss nicht unterschätzt werden kann – auch wenn es heute einer kritischeren Lesart bedarf. Gleichzeitig bediente Marek-Ceram einen Trend: wissenschaftliche Themen so aufzubereiten, dass auch der interessierte Laie ihnen folgen konnte. Marek selbst sah sich von Anfang an vor allem als gebildeten Dilettanten, sein Buch sei ohne wissenschaftliche Ambitionen geschrieben worden. Vielmehr habe er versucht, »eine bestimmte Wissenschaft derart zum Gegenstand der Betrachtung zu machen, dass die Arbeit der Forscher und Gelehrten vor allem in ihrer inneren Spannung, ihrer dramatischen Verknüpfung und ihrem menschlichen Gebundensein, sichtbar wurde.« Dadurch sei ein Werk entstanden, »das der Wissenschaftler unwissenschaftlich nennen musste. Ich habe dafür nur eine Entschuldigung, dass dies genau in meiner Absicht lag«.
Nach dem Welterfolg veröffentlichte Marek noch einen Bildband, eine Dokumentensammlung und ein auf eigenen Studien beruhendes Werk über die Hethiter: »Enge Schlucht und Schwarzer Berg«. 1954 siedelte Marek in die USA über und veröffentlichte dort eine Archäologie des Kinos über die Entwicklung von Filmtechnik und -industrie des Films. Doch bis zu seinem Tod 1972 in Hamburg überstrahlte all sein Tun sein erster beispielloser Erfolg; »Götter, Gräber und Gelehrte«.
Seit einigen Jahren werde ich nur noch selten auf Marek-Ceram angesprochen, und wenn, dann antworte ich mit einem Augenzwinkern, schließlich bin ich nicht verwandt mit ihm. Für drei Generationen war sein Buch Teil des kulturellen Gedächtnisses und wurde zum Vorbild für neue Formate des Fernsehens wie beispielsweise für »Terra X« und »ZDF History«.
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