Warnstreik in Berlin: »Ohne uns läuft nichts«

Keine Müllabfuhr, geschlossene Mensen – der öffentlich Dienst ist am Donnerstag und Freitag im Warnstreik

Mehr Geld, mehr Zeit: Das fordert Verdi, um Preissteigerungen aufzufangen und den öffentlichen Dienst für die Zukunft aufzustellen.
Mehr Geld, mehr Zeit: Das fordert Verdi, um Preissteigerungen aufzufangen und den öffentlichen Dienst für die Zukunft aufzustellen.

Die gute Stimmung findet ein jähes Ende. Während streikende Angestellte im öffentlichen Dienst auf dem Weg vom Bundesfinanzministerium sind, erreicht sie die Nachricht, dass in München ein Auto in eine Verdi-Demonstration gefahren ist. Deswegen laufen die Demonstrant*innen schweigend zum Spittelmarkt an der Fischerinsel.

Vorher zogen die Streikenden gut gelaunt, teilweise mit Rauchtöpfen und bengalischen Feuern in der Hand durch Mitte. Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi hat für Donnerstag und Freitag zum Warnstreik aufgerufen. Mitarbeiter*innen der Berliner Stadtreinigung BSR, der Berliner Wasserbetriebe, der Jobcenter und auch der Krankenhäuser von Charité und Vivantes traten in den Ausstand. Rund 2500 von ihnen beteiligten sich an der zentralen Streikkundgebung.

Dort dominieren am Donnerstagmorgen gewerkschaftstypisch Warnwesten in knalligem Gelb, Orange und Rot das Bild. Neben von Verdi ausgegebenen Schildern und professionell bedruckten Bannern haben viele selbstgemachte Schilder dabei. »Meine Bezahlung ist so schlecht wie dieses Schild«, steht auf einem.

Auf der aufgebauten Bühne steht hinter den zahlreichen Redner*innen riesengroß »Mehr Geld, mehr Zeit, meine Entscheidung«. Verdi fordert eine Gehaltserhöhung von acht Prozent, aber mindestens 350 Euro und 200 Euro mehr für Auszubildende. Frank Werneke, Vorsitzender der Gewerkschaft, rechnet es vor: Zwischen 2021 und 2024 seien die Preise um 18 Prozent gestiegen, während im gleichen Zeitraum die Entgelte nur um 13 Prozent gestiegen seien. »Die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes haben eine ordentliche Entgeltsteigerung verdient, um überhaupt eine Chance zu haben, mit den steigenden Kosten zurechtzukommen«, sagt Werneke.

»Tarifverträge fallen nicht vom Himmel.«

Frank Werneke
Verdi-Vorsitzender

Neben einer finanziellen Verbesserung will die Gewerkschaft auch drei Urlaubstage mehr pro Jahr erkämpfen. Als Werneke diese Forderung vorstellt, bricht Applaus aus, wie oft während der Reden. »Urlaub! Ja!«, schreit jemand aus der Menge. Über die drei Tage hinaus fordert die Gewerkschaft auch einen weiteren freien Tag nur für Gewerkschaftsmitglieder. Damit will sie klarmachen, dass bessere Arbeitsbedingungen erkämpft werden müssen. Werneke fasst zusammen: »Tarifverträge fallen nicht vom Himmel.«

Die Arbeitgeber, die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA), waren ohne Angebot in die erste Verhandlungsrunde gegangen. Vorab hatten sie den Warnstreik in einer Pressemitteilung als »völlig überzogen« bezeichnet. Die Lohnforderungen der Gewerkschaft würden die Personalkosten im Schnitt dauerhaft um weitere elf Prozent erhöhen. Ein Sprecher ließ mitteilen, das würde die Kommunen überfordern.

»Ohne uns läuft nichts«, sagt Enrico Zoch, der in einem Recyclinghof der BSR arbeitet, in seiner Rede. Berliner*innen dürften den Ausstand im Alltag merken. Die BSR leert keine Mülltonnen, nicht dringende Operationen an Krankenhäusern mussten verschoben werden, Schwimmhallen und Mensen sind geschlossen. Die große Verantwortung, die die Beschäftigten tragen und ausfüllen, zeigt sich aber auch am Donnerstag. Wie auf der Bühne Carlos Seefeldt von der BSR sagt, können zahlreiche Beschäftigte der Stadtreinigung nicht am Streik teilnehmen: Trotz Warnstreiks machen sie – genauso wie die Angestellten in den Krankenhäusern – wegen des Schneefalls über Nacht Notdienst und sorgen dafür, dass die Stadt weiter am Laufen gehalten wird.

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BSR-Mitarbeiter Zoch berichtet im Gespräch mit »nd«, wie schwierig es ist, neue Kolleg*innen zu gewinnen und zu halten. Die Löhne sind zu niedrig, die Belastung, die der Schichtdienst mit sich bringt, werde nicht gewürdigt. Zoch kritisiert die »lächerliche« Schichtzulage von 40 Euro, umgerechnet 23 Cent pro Stunde. Der Personalmangel zeige sich auch bei der Müllabfuhr, so Zoch. Teilweise würden unter der Woche die Touren nicht geschafft, weswegen dann zusätzlich auch noch samstags gearbeitet werden müsse.

Die Mitarbeiter*innen auf den Recyclinghöfen haben mit einem weiteren Problem zu kämpfen: Wenn es mal nicht läuft, sind sie es, die den Unmut der Berliner*innen abbekommen – teilweise mit Gewalt. Thomas S. etwa, der nicht seinen ganzen Namen in der Zeitung lesen will, berichtet »nd« davon, dass er schon mit einem Schraubenzieher angegriffen wurde.

Auch in den Krankenhäusern würden die Arbeitsbedingungen immer schlechter, berichtet Renate Schaffernicht von der Charité. »Einsparungen und immer mehr Einsparungen« gebe es in der Krankenversorgung. »So geht es nicht weiter«, sagt sie. Sie fordert die Streikenden auf, zusammenzustehen auch mit den Angestellten der BVG im Arbeitskampf. »Wir haben es verdient. Jeden einzelnen Cent haben wir verdient«, ruft sie der Menge zu.

Die Verbesserung der Arbeitsbedingungen ist für die Gewerkschaften auch Mittel, um den öffentlichen Dienst für die Zukunft aufzustellen. Denn die Personalsituation wird sich weiter verschärfen, wenn die Generation der Baby-Boomer in die Rente geht. Einer Schätzung des Senats nach werden bis 2030 rund 30 Prozent der Beschäftigten aus dem Dienst ausscheiden. Die nächste Verhandlungsrunde findet am 17. Februar statt.

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