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Checkt das Blut
Visionen gibt es nur im Kino: Eine Zukunftskonferenz auf der Berlinale
»Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen. Ich sage: Wer Visionen hat, sollte Kino machen, sagte Jan-Eike Michaelis, Kinobeauftragter des Medienboard Brandenburg, am vergangenen Mittwoch auf der Innovationskonferenz «Cinevision 2030» im Delphi-Filmpalast vor 300 Fachbesuchern. Christian Bräuer, Initiator der Konferenz und Vorsitzender der AG Kino-Gilde, lobte das Kino als Ort der Inspiration, Transformation und Internationalität.
Welchen Einfluss Kino und Filme haben können, erklärte der Journalist und Pulitzer-Preisträger Walt Hickey: Wissenschaftler*innen analysierten vor und nach einem Horrorfilm das Blut des Publikums. Das Blut? Horrorfilme lassen einem zwar nicht sprichwörtlich das Blut in den Adern gefrieren, doch wer einen Horrorfilm sieht, dessen Körper versetzt sich in die Rolle des Opfers und bereitet sich darauf vor, verletzt zu werden – und zu bluten. Ein anderes Beispiel: Nach dem Kinostart von Ridley Scotts «Gladiator» (2000) stieg in den USA die Zahl der Kinder mit dem Namen «Maximus» von 34 auf 9 916. Weitere Ergebnisse kann man in Hickeys Buch «You Are What You Watch: How Movies and TV Affect Everything» (2023) nachlesen.
Auch Berlinale-Chefin Tricia Tuttle war eingeladen, um über «Festival und Kino als Allianz für den Erfolg von Filmen» zu sprechen. Tuttle leitete von 2018 bis 2022 das BFI London Film Festival und steigerte dessen Besucherzahlen um 76 Prozent. 324 000 Tickets wurden vergangenes Jahr auf der Berlinale verkauft. Um die Zahl zu steigern, hat Tuttle neue Kapazitäten geschaffen. Das war auch dringend notwendig, nachdem die Berlinale unter anderem das Cinestar und die Arsenal-Kinos am Potsdamer Platz verloren hatte. Dieses Jahr neu ist das Stage-Bluemax-Theater am Marlene-Dietrich-Platz mit 500 Plätzen, außerdem das HUB75 als neue Begegnungsstätte. Tuttle will der Berlinale wieder ein Herz geben, wie sie meinte. Vor allem soll Kino für das junge Publikum finanzierbar und zugänglich sein.
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Zum ersten Mal kooperiert die Berlinale deshalb mit Letterboxd, einer weltweiten Plattform für Filmfans, deren Hauptzielgruppe bei 18- bis 34-jährigen liegt – mit rund 18,4 Millionen Nutzern, die Kinofilme listen, bewerten und sich darüber austauschen. David Larkin, Head of Business, erklärte, wie man Filme highlightet. Je nach Nutzerverhalten werden Filme, die zum Beispiel in den US-Kinos nicht gut laufen, aber von der Community gelobt werden, durch redaktionelle Beiträge unterstützt. Auf dem Instagram-Kanal von Letterboxd findet man 20 Berlinale-Filme, die am häufigsten auf die Watchlist gestellt wurden.
Tuttle will mit der neuen Sektion «Perspectives» debütierenden Filmemacher*innen zu mehr Aufmerksamkeit verhelfen. Sie seien oft «abenteuerlicher und unbeeindruckt von Erwartungen». Dass Programmierungen auch strategische Entscheidungen sind, bestätigte Thierry Frémaux, künstlerischer Leiter des Festivals in Cannes. Als Coralie Fargeat dort vergangenes Jahr ihren Film «The Substance» einreichte, platzierten er und sein Team den Body-Horror-Streifen im Wettbewerb. «Uns war klar: Wir müssen ihn an vorderste Front stellen, weil es uns wichtig war, diesen filmischen Moment in Cannes zu zeigen.»
Tuttle hält die dieses Jahr anwesende Prominenz wie Bong Joon-Ho (Regisseur von «Parasite») und die Schauspieler*innen Robert Pattinson, Benedict Cumberbatch und Marion Cotillard für wichtig, denn «wahrscheinlich sitzt hier niemand im Raum, der durch Jean-Luc Godard zum Kino gekommen ist, eher durch Star Wars oder so». Der rote Teppich gehöre einfach dazu.
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