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»Das Licht« auf der Berlinale: Tote reisen nicht gern allein
Berlinale-Eröffnung mit »Das Licht« von Tom Tykwer
Die »Geheimkammern« des Kinos will Tom Tykwer öffnen, jene magische Dimension zeigen, die noch den alltäglichsten Dingen ihren Zauber gibt. Das gelingt ihm mal besser, mal schlechter. Doch man muss ihm zugutehalten, dass er sich seit »Lola rennt« von 1998 mit seiner Art von Kino treu geblieben ist.
Man erinnere sich: In diesem Film muss Franka Potente als Lola ihren Freund retten, einen Kurier im kriminellen Milieu. Der hat einen Beutel mit viel Geld in der U-Bahn liegen lassen und ruft jetzt Lola an, um ihr mitzuteilen, dass er das Geld wiederbeschaffen müsse. Darum werde er jetzt einen Supermarkt überfallen. Sie beschwört ihn, damit zu warten, sie komme sofort zu ihm. Er gibt ihr 20 Minuten Zeit. Dreimal sehen wir Lola laufen, dreimal ändern sich winzige Details – und damit der Ausgang der Geschichte. Zeitschleifen, die in Bann zogen. Schon hier zeigte sich Tykwers Leidenschaft für ein Hochbeschleunigungskino, in dem mysteriöse Begebenheiten eine Schlüsselrolle spielen. Man könnte auch von einem starken esoterischen Touch sprechen.
2002 eröffnete Tykwers »Heaven« die Berlinale. Ein Drogenkrimi mit ungewöhnlichem Ausgang: Am Ende steht die Flucht in die Wolken. Ähnliches konnte man in 1951 in Vittorio De Sicas »Das Wunder von Mailand« sehen, dort ziehen die Slumbewohner am Ende vereint und singend in den Himmel. Dieser magische Realismus war eindrucksvoll.
Manche sehen auch in Tom Tykwer einen solchen magischen Realisten, so etwa die neue Leiterin der Berlinale Tricia Tuttle. Sie sagt über »Das Licht«, mit dem nun die diesjährige Berlinale eröffnete, dieser Film fange »die Essenz unseres heutigen Lebens auf magische Weise auf der Leinwand ein«.
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Tykwers Absicht war das gewiss, aber über das Resultat darf man geteilter Meinung sein. Sagen wir es so: Wer die Fernsehserie »Babylon Berlin« für große Filmkunst hält, darf auch »Das Licht« magisch finden. Doch es wirkt eher wie ein filmisches Patchwork, wie es von einer KI zusammengebaut sein könnte – im Stil von »Babylon Berlin«. Interessanterweise ist dies der erste Berlinale-Eröffnungsfilm, der nicht im Wettbewerb (und sei es außer Konkurrenz) läuft, sondern in der Reihe »Berlinale Spezial«. Offenbar gab es im Vorfeld sehr verschiedene Auffassungen über den künstlerischen Wert von »Das Licht«, der immerhin 162 Minuten dauert. Es klingt vielleicht ungerecht, aber subjektive Urteile über Filme sind nicht zu vermeiden: Ich sehe in »Das Licht« die ganze Zeit das Prinzip »Babylon Berlin« am Werk. Einmal Fernsehserie, immer Fernsehserie?
Tykwer führte nicht nur Regie, er schrieb auch das Drehbuch – und das ist randvoll mit allen nur denkbaren Klischees, die gegenwärtige Existenz einer bürgerlichen Großstadtfamilie betreffend, in der sich längst alle fremd geworden sind. Milena Engels arbeitet freiberuflich für ein Entwicklungsprojekt in Nairobi (ein Theater), aber der Kampf um die Finanzierung und Arbeitsorganisation vor Ort zermürbt sie. Nicolette Krebitz spielt sie gut: immer voller guten Willens und doch permanent überfordert.
Ihr Mann Tim Engels (mit dem Habitus, der deutsche Filmschauspieler schlechthin zu sein: Lars Eidinger) gibt sich gern links-alternativ, pflegt sein leicht ungepflegtes Aussehen und fährt nur Fahrrad – aber arbeitet für eine Medienagentur, die mit dem schlechten Gewissen der Wohlstandsbürger in Zeiten von Krisen aller Art Kasse macht. Die 17-jährigen Zwillinge (Elke Biesendorfer und Julius Gause) leben in ihren jeweiligen Weltblasen. So weit nicht ungewöhnlich.
Aber dann passieren merkwürdige Dinge. Die Haushaltshilfe der Engels bekommt einen Herzinfarkt und stirbt einen einsamen Tod – denn es dauert lange, bis sie jemand aus der dystopischen Familie überhaupt findet. Dabei liegt sie mitten in der Küche. Aber hier hat es jeder so eilig, dass er nicht auf den Boden schaut. Vor dem Haus wird zur gleichen Zeit ein Pizzabote überfahren, von dem die Haushälterin eben noch die Pizza entgegengenommen hatte. Nun sind beide tot. Ein Zufall?
Wenn es darum geht, filmische Details gekonnt ins Bild zu setzen, zeigt Tykwer sein Regietalent. Aber jetzt beginnt der bis dahin sehenswerte Film seine sehr spezielle, mysteriöse Fabel zu entwickeln. Auf einem Balkon in der Leipziger Straße in Berlin sitzt eine syrische Frau, die mit anderen geflüchteten Frauen eine Wohnung teilt. Sie sitzt vor einer Lampe, die merkwürdig flackert. Es ist eine besondere Lampe, erklärt sie ihren Mitbewohnerinnen, denn sie wecke mit ihren Lichtimpulsen Hirnregionen, die sonst bei Sterbenden aktiviert sind. Sie ist ausgebildete Psychologin, aber will über ihre dramatische Fluchtgeschichte nicht sprechen. Einen Hinweis erhalten wir dann doch: Sie beschäftigt sich mit der Seele der Toten, die auf ihrer Reise ins Jenseits einen Führer (oder sagen wir: Begleiter) brauchen. Das entspricht nicht nur alten ägyptischen Vorstellungen vom Tod.
Was sagt uns dieser Fingerzeig? Tala Al-Deen ist jene mysteriöse Farrah mit ihrer so nervig flackernden Leuchte, die nicht sagt, warum sie – hoch qualifiziert wie sie ist – unbedingt als Haushaltshilfe bei einer deutschen Familie arbeiten will. Und Familie Engels sucht, nach dem plötzlichen Tod ihrer Haushaltshilfe, doch gerade eine neue? Man ahnt nichts Gutes, Hitchcock hätte aus dieser Geschichte sicher etwas zu machen gewusst. Doch Tykwer versteigt sich immer mehr in seine esoterischen Fantasien. So aber stellt sich keine Magie ein, die allein aus filmischer Intensität erwüchse. Die tote Familie von Farrah scheint irgendwo eingesperrt – wir sehen sie hinter Gittern. Sonst ist dort niemand zu sehen.
Zum Showdown kommt es, als Farrah die ultimative Séance anberaumt, für die sie die ganze vierköpfige Familie braucht. Aber einer fehlt, der jüngste Sohn Dio, den Milena mit einem Kenianer hat und der nun bei ihnen lebt. Offenbar hat auch er magische Kräfte, die er dann entwickelt, wenn er singt. Nun ja, getanzt und gesungen wird hier reichlich – siehe »Babylon Berlin«, denn das hat sich auch dort schon als hilfreich gegen aufziehende Langweile erwiesen.
Aber irgendwie kommt all das nicht bei mir an. Es wirkt eher wie ein Volkshochschulkurs zum Thema »Alle können ausdrucksvoll tanzen und singen!«. (Nein, können sie nicht.) Ich denke an Paolo Sorrentinos hochpräzise Tanzdramaturgien etwa in »La Gande Belezza« oder »Ewige Jugend«, deren filmische Dynamik in Bann schlägt. Davon findet sich hier nichts.
Darum ist man vom Versuch, hier den großen Zauber mit der Seele der Toten zu treiben, eher peinlich berührt als beunruhigt. Das hat etwas von der durchdringenden Harmlosigkeit eines therapeutischen Rollenspiels. Dabei könnte Tom Tykwer etwas in Sachen echter Mystery-Filme bei seiner Hauptdarstellerin Nicolette Krebitz lernen. Sie hatte als Regisseurin ohne großen technischen Aufwand, aber mit sicherem dramaturgischen Instinkt mit »Das Herz ist ein dunkler Wald« (2008) und »Wild« (2016) zwei ganz und gar unaufklärbare Filme vorgelegt. Dagegen ist »Das Licht« ein zwar technisch aufwendiger und zumeist gut gespielter, jedoch filmisch recht unerheblicher Versuch, die Grenze von Leben und Tod mit filmischen Mitteln zu überwinden.
»Das Licht«, Deutschland 2025. Buch und Regie: Tom Tykwer. Mit: Nicolette Krebitz, Lars Eidinger, Tala Al-Deen, Elke Biesendorfer. 162 Minuten. (Alle weiteren Vorstellungen sind ausverkauft.)
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