Jakob Springfeld: »Ich gehe auf keinen Fall als Erster«

Im Interview spricht der Autor über westdeutsche Ignoranz und Exilgedanken

Extreme Rechte – Jakob Springfeld: »Ich gehe auf keinen Fall als Erster«

Wovon haben Westdeutsche keine Ahnung?

Primär von den Zuständen in Ostdeutschland. Wenn Westdeutsche wüssten, was im Osten abgeht, dann würden sie realisieren, dass all das nicht nur für den Osten ein Problem darstellt, sondern für uns alle in diesem Land. Ich glaube, viele denken immer noch, dass man das Problem mit ein paar politischen Bildungsmaßnahmen klären könnte. Wenn die Leute das Problem im Osten kennen würden, würden sie checken, dass das nicht so einfach ist. Der Einfluss der extremen Rechten ist wirklich weit vorangeschritten.

Geht es denn wirklich um ein Ost-West-Problem? Oder ist es vielmehr ein Stadt-Land-Problem? Sie schildern in Ihrem Buch ja auch Beispiele extrem rechter Raumnahme im Westen, wie etwa den Dritten Weg mit seinem Zentrum in Hilchenbach im Siegerland.

Ja, es ist beides, und das versuche ich auch in meinem Buch mit dem Kapitel zum Verantwortungspingpong ein Stück weit zu verdeutlichen. Ich glaube, es ist ein Problem, das die Wessis oft und gerne auf den Osten schieben. Es gibt ein Ost-West-Gefälle mit Lohnunterschieden, viel weniger Erbe und einer geringeren Repräsentanz, das rechte Einstellungen beflügelt. Gleichzeitig – ich war gestern bei einer Lesung im Ruhrgebiet – ist die Realität der Menschen dort näher an der in Zwickau als der in Leipzig.

Interview

Jakob Springfeld ist 22 Jahre alt und studiert in Halle an der Saale. 2022 erschien sein Buch »Unter Nazis. Jung, ostdeutsch, gegen Rechts«, in dem er darüber berichtet, wie es war, als linker Jugendlicher in Zwickau aufzuwachsen. Ende Januar ist sein neues Buch »Der Westen hat keine Ahnung, was im Osten passiert« erschienen. Sebastian Weiermann hat ihn am Rand der westdeutschen Premierenlesung in Köln getroffen. Ein Vorabdruck aus Springfelds aktuellem Buch erschien am 29. Januar im »nd«.

In Ihrem Buch geht es auch um die sogenannte Brandmauer, Sie führen auf, wie oft die gerade auf kommunaler Ebene schon eingerissen wurde. Dennoch habe ich aus dem Buch ein Fünkchen Hoffnung in die Restvernunft von Friedrich Merz und die CDU im Bund herausgelesen.

Friedrich Merz habe ich nie wirklich vertraut. Aber ich fand es schon allein aus Zwickauer Perspektive wichtig, da zu differenzieren. Bei uns hat Marco Wanderwitz seinen Wahlkreis, der bis zuletzt versucht hat, das AfD-Verbot voranzubringen. Und ich sehe schon unterschiedliche konservative Perspektiven. Gleichzeitig würde ich mir auch Esther Bejaranos Zitat »Wer gegen Nazis kämpft, kann sich auf den Staat nicht verlassen« zu eigen machen wollen. Deswegen versuche ich, da möglichst desillusioniert heranzugehen. Nichtsdestotrotz ist mein Ansatz immer zu sagen, man wird Kompromisse machen müssen. Ob man will oder nicht, in der Kommunalpolitik wird man in einer Stadt wie Zwickau auf eine Zusammenarbeit mit der CDU angewiesen sein. Sonst hat die extreme Rechte freie Bahn.

Wie sehr hat Sie dennoch am Ende der Brandmauerbruch von oben überrascht?

Was mich wirklich überrascht hat, war die Fähigkeit der CDU, jegliche Kritik in AfD-Manier von sich zu weisen und einfach völlig diskussionsresistent aufzutreten. Obwohl Michel Friedman aus der Partei austritt, obwohl Holocaust-Überlebende ihr Bundesverdienstkreuz zurückgeben, da wurde sich keinerlei Kritik angenommen. Das hat mich wirklich stärker überrascht als der Brandmauerbruch selbst. 

Gerade bei Ihrer Lesung gab es aus dem Publikum Wortmeldungen über eine gewisse Szenearroganz in Großstädten und dass viele Leute gar nicht wüssten, was Nazis in den Vororten alles treiben. Wie würden Sie das beschreiben?

Ich glaube, dass wirklich viele Großstädter, gerade in Westdeutschland, nicht realisiert haben, wie sehr die rechte Raumnahme auch bei ihnen stattfindet. Und, ja, als ich nach Halle gezogen bin und dann auch logischerweise oft in Leipzig war, weil das die direkte Nachbarstadt ist, war ich auch erst mal völlig entgeistert und schockiert über die Diskussionen, die man dort geführt hat. Das waren alles Diskussionen, die man sich Zwickau gar nicht leisten kann, weil man auf jede einzelne Person irgendwie angewiesen ist.

Jetzt haben wir wieder große Brandmauer-Demonstrationen gehabt. Letztes Jahr hatten wir die großen Proteste nach der Correctiv-Recherche. Was können diese Demos erreichen?

In erster Linie können sie ein Momentum schaffen, in dem Leute zum ersten Mal auf die Straße gehen und im besten Falle in einer Initiative landen. Daran haben diese Proteste meiner Ansicht nach Anteile gehabt. Ich weiß, dass nach den Correctiv-Recherchen durch Demos in Orten wie Döbeln in Sachsen plötzlich 40 Leute starke Gruppen der Omas gegen Rechts entstanden sind. Das haben diese Proteste geleistet. Gleichzeitig glaube ich, wir müssen Wege finden, unser Momentum noch viel effizienter zu nutzen. Gerade in Berlin hatte ich jetzt wieder den Eindruck, dass da 160 000 Leute standen, die ihr Gewissen beruhigt haben, mal wieder auf der Straße gewesen zu sein, und das nächste Mal vielleicht zum nächsten Skandal wieder auf die Straße gehen. Das ist Ausdruck von einer Skandalbezogenheit anstatt von einer eigenen sozialpolitischen Agenda, die man verfolgen könnte.

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Im Buch schreiben Sie auch, dass man mehr über das Klima oder den ÖPNV reden müsste. Trotzdem haben Sie ein Buch über Nazis geschrieben, und ich vermute, eine Lesung über den Busverkehr in Sachsen hätte auch weniger Menschen interessiert.

In erster Linie habe ich kein ÖPNV-Buch geschrieben, weil das einfach nicht meine Hauptexpertise ist und ich da auch kein Konzept habe. 

Viele linke, antifaschistisch sozialisierte Menschen reden den ganzen Tag über Nazis und so wenig über das gute Leben. Wie kommt man da raus?

Ich kann erzählen, wie wir es im vergangenen Jahr versucht haben. Wir hatten vor den Landtagswahlen die sogenannte Lila Welle mit der solidarischen Vernetzung Sachsen, und wir planen, das in diesem Jahr auch ohne Bezug auf Wahlen zu wiederholen. Damit sind wir in Waldheim, Bautzen, Zwickau und Plauen auf die Straßen gegangen, also in echt kleinen Orten. Wir haben Busse organisiert und aus größeren Städten Geld für die Initiativen vor Ort gesammelt. Wir haben aber auch gezielt bei diesen Demos Leute angesprochen und versucht, sie in die solidarische Vernetzung zu holen. Sie sollten nicht das Gefühl haben, da sind jetzt mal ein paar Großstädter für ein Tag hingefahren und dann haben sie uns wieder verlassen, sondern wir wollten langfristige Kontakte knüpfen. 

Bei diesen Protesten war genau das unser Ziel. Nicht der AfD hinterherrennen. In Plauen haben wir zum Beispiel über schlechte ÖPNV-Verbindungen gequatscht. Und was ich ziemlich erstaunlich fand, die Stimmung auf den Demos war viel besser. Weil es nicht darum ging zu beschreiben, wie schlimm die Neonazis sind, sondern etwas Eigenes zu formulieren. Da hat Politik zumindest kurzzeitig wieder Spaß gemacht.

Was wünschen Sie sich von Westlinken?

Erstens Verständnis. Und zweitens, gehört zu werden, nicht nur, wenn wir gerade bedroht werden. Ich habe oft das Gefühl, dass Wessis uns vor allem dann interessant finden, wenn wir als Beispiel dienen können, wie schlimm das Naziproblem ist. Aber wir haben ja auch coole Konzepte und alternative Jugendzentren in Sachsen. Da können Wessis von uns lernen. Generell würde ich mir wünschen, dass es organisierte Antifa-Partnerschaften gibt zwischen Ost und West, aber auch zwischen Groß- und Kleinstadt.

Im Buch gibt es ein Kapitel, in dem Sie offen schreiben, dass Sie über Exil nachdenken. Wie schwer ist Ihnen die Entscheidung gefallen, die Frage überhaupt offen anzusprechen?

Als ich das geschrieben habe, habe ich es einfach genau so gefühlt und musste es aufschreiben. Ich habe mir gesagt, wenn ich das fühle, muss ich es auch transparent machen. Alles andere wäre unehrlich, und davon wird der Braten jetzt auch nicht mehr fett.

Gleichzeitig merke ich jetzt schon bei Lesungen, dass ich ein bisschen hin und her schwanke: Ist es gut, sowas öffentlich zu machen, oder verbreite ich damit Hoffnungslosigkeit? Aber das Feedback, das ich bekomme, ist, dass ich nicht Hoffnungslosigkeit verbreite, sondern eine gewisse Ehrlichkeit, aus der dann wieder Hoffnung entstehen kann. Ich habe meistens den Eindruck nach Lesungen, dass die Leute trotz der Scheiße, die sie gerade gehört haben, also trotz all der negativen Ereignisse, dann doch mit einem besseren Gefühl rausgehen.

Was ist der Punkt, an dem Sie sagen würden, ich verlasse Deutschland? 

Ich habe so einen Punkt nicht! Ich denke mir, minderjährige, queere Menschen, die bei ihren Eltern wohnen, können sich auch nicht verpissen. Geflüchtete können auch nicht einfach ihren Ort verlassen. Deswegen habe ich schon so ein Verantwortungsgefühl, auf keinen Fall als Erster zu gehen.

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