Als wäre die Realität ihre eigene Satire

Florian Pochlatko über seinen Film »How to Be Normal and the Oddness of the Other World«

  • Interview: Inga Dreyer
  • Lesedauer: 7 Min.
Authentische Figuren; hier Luisa-Céline Gaffron, die Hauptdarstellerin
Authentische Figuren; hier Luisa-Céline Gaffron, die Hauptdarstellerin

Der Titel Ihres Films stellt die Frage, wie man »normal« ist. Wie geht das denn?

Relevanter waren für mich die Fragen: Wer ist in der Position zu bestimmen, was normal ist? Wer definiert Realität? Darin habe ich dieses Spannungsfeld gefunden, das den Film und seine Figuren ausmacht.

Es geht um die 26-jährige Pia, die gerade aus der Psychiatrie entlassen wurde und nun versucht, in der vermeintlichen »Realität« anzukommen. Wie sind Sie darauf gekommen, dass dies Stoff für einen Film sein könnte?

Ich habe viele Menschen im Bekanntenkreis durch Krisen begleitet und selbst Erfahrung mit psychotherapeutischem Kontext gemacht. Deshalb habe ich mir zugetraut, so etwas erzählen zu können. Und dann ist die Welt auch stressiger und chaotischer geworden. Corona hat die Wahrnehmung verändert. Als ich den Film in der Pandemie geschrieben habe, war für mich klar: Das ist ein Thema, das nicht nur enge Vertraute von mir und mich selbst betrifft, sondern einen größeren Kontext an Menschen. Ich dachte, dass ich dazu etwas beitragen kann, indem ich meine Erfahrungen teile und anfange, ernsthaft darüber zu sprechen. Am Anfang einer solchen Reise steht, dafür eine Sprache zu finden. Es gibt wenig zum Thema, das nicht als Horror oder als Betroffenheitsdrama funktioniert. Es ist natürlich anmaßend, bei einem schwierigen Stoff zu versuchen, etwas Leichtfüßiges zu machen. Aber ich dachte mir, dass es das eventuell braucht. Das ist ein Hochrisikoprojekt gewesen. Meine größte Angst bei dem Film war, dass man versucht, ein cooles Ding aus mentalen Problemen zu machen und daraus Kapital zu schlagen. Es war mir wichtig, dass das nicht passiert.

Interview

Der österreichische Autor, Regisseur und Editor Florian Pochlatko studierte zunächst experimentelle Medienkunst, anschließend Regie bei Michael Haneke an der Filmakademie Wien und absol­vierte ein Masterstudium in Critical Studies bei Diedrich Diede­richsen an der Akade­mie der bildenden Künste in Wien. Sein Kurzfilm »Erdbeerland« gewann mehrere Preise. Er arbeitete unter anderem als Kurator für verschiedene Kulturinstitutionen. »How to Be Normal and the Oddness of the Other World« ist sein erster abend­füllender Spielfilm und läuft bei der Berlinale in der Sektion »Perspectives«.

Wie haben Sie die Sprache für diesen Film gefunden, der »leichtfüßig« ist, aber auch von existenziellen Krisen erzählt?

Ich komme aus der Arbeit mit Lai*innen. Da lernt man, im Kollektiv Narrative zu erarbeiten. Es wäre in diesem Fall aber fahrlässig gewesen, mit Leuten zu arbeiten, die die große Maschine Film nicht kennen und vielleicht psychiatrische Hintergründe haben. Deshalb war mit schnell bewusst, dass ich mit professionellen Darstellenden arbeiten möchte. Ich habe mir aber im Drehbuchprozess irrsinnig viele Geschichten aus vielen Perspektiven angehört. Wir hatten Spezialist*innen für jede Facette des Films. Die Szene mit der Kinesiologin wurde von einer Kinesiologin geschrieben. Was mit der Firma zu tun hat, wurde aus Unternehmensberatungsperspektive geschrieben. Die Geschichte von Mutter und Tochter, der Hauptfiguren, basiert auf Erzählungen von psychiatrischen Patient*innen.

Vielleicht kommt es einem seltsam vor, wenn Leute erzählen, sie hätten sich gefühlt, als ob sie sich in einen Werwolf verwandeln. Eine Bekannte von mir hat jeden Abend an einer Straßenecke darauf gewartet, dass ein bekannter Rapper sie mit dem Helikopter abholt. Das hat natürlich etwas total Tragisches, aber ich habe gedacht: Was ist, wenn man versucht, das als Realität zu begreifen? Die Geschichten aus dem Feld der Unternehmensberatungen kamen mir nicht weniger seltsam vor. Ich wollte diese Realitäten als gleichwertig gegenüberstellen. Das war etwas, was ich aus der Netzkultur kannte. Das sehen wir auch weltweit – beispielsweise versucht Donald Trump, die Deutungshoheit der Sprache im Internet zu erlangen. Sprache definiert unsere Realität. Deshalb ist es wichtig, sie für sich zu vereinnahmen. Ich wollte die Geschichte einer Weltenwandlerin erzählen, die schon lange Erfahrung damit hat, zwischen den Welten zu stehen. 

Sie bezeichnen Ihren Film als Arthouse Graphic Novel. Was ist das?

Ich bin stark von Graphic Novels, Comics und Animationsfilm beeinflusst – und ich komme aus dem österreichischen Realismus. Da galt lange, wie auch in der Berliner Schule, ein Authentizitätsbegriff, der oftmals mit Realismus verwechselt wurde. Denn auch dort geht es um eine gemachte Welt. Ich fand es spannend, über Authentizität außerhalb von Realismus nachzudenken. Denn ein Animationsfilm kann auch emotional authentisch sein. Mir schien es eine logische Konsequenz aus dem zu sein, wie ich filmisch sozialisiert wurde. 

Herausgekommen ist ein Film zwischen tiefem Ernst und überdrehter Komik. War es ein Balanceakt, den richtigen Ton zu finden?

Es war eine Gratwanderung, die Tonalität des Films so zu halten, dass man als Zuschauer*in dabeibleibt. Gerade von jüngeren Menschen höre ich immer wieder den Begriff des »Sensory Overload«: eine Reizüberflutung, die irgendwie zum aktuellen Lebensgefühl dazugehört. Das räsoniert extrem mit dem, was ich aktuell an Absurdismus in der Welt erlebe. Da ist vieles sehr grell und sehr laut und sehr überhöht. Es kam mir vor, als wäre die Realität ihre eigene Satire geworden, und das habe ich versucht zu spiegeln. Es ist schwer, das zu balancieren, weil es schon fordernd anzusehen ist. Ich wollte es aber so austarieren, dass der Film dennoch gut konsumierbar ist und im Mainstream positioniert werden kann. Er ist trotzdem unterschwellig ein Kritische-Theorie-U-Boot. Ich habe versucht, mir die ästhetische Sprache von Netflix anzueignen und dann durch die Hintertür mit Kritischer Theorie zu kommen. Deswegen ist der Cast auch so gewählt. Es spielen Personen mit, die im österreichischen Mainstream bekannt sind – und vielleicht auch im deutschen.  

Beispielsweise Ihre Hauptdarstellerin Luisa-Céline Gaffron, die in vielen deutschen Fernsehproduktionen gespielt hat. Wie sind Sie zusammengekommen?

Wir haben uns beide vorher nicht gekannt. Ich hatte sie nie spielen sehen, und sie kannte keinen meiner Filme. Ich wusste nur, dass sie Aktivistin ist. So sind wir völlig unvoreingenommen aufeinander zugekommen. Wir haben uns in Berlin getroffen, wo sie gerade in ihre Wohnung in Prenzlauer Berg gezogen war, haben auf Umzugskartons gesessen und Pho, eine traditionelle vietnamesische Suppe, aus einer Schachtel gegessen. Wir haben einfach begonnen, uns über Werte zu unterhalten und darüber, wie wir arbeiten wollen. Mich hat ihre Haltung zu Dingen so beeindruckt, sodass ich mir gedacht haben: Okay, ich will mit ihr arbeiten, weil es möglich sein kann, eine Partnerschaft auf Augenhöhe einzugehen. Es hat nie ein Casting gegeben und wir sind nie proben gegangen. Ich habe das Drehbuch mit ihr im Kopf geschrieben und auch immer wieder eingecheckt, ob das okay für sie ist.

Ihr Kurzfilm »Erdbeerland« von 2012 hat mehrere Preise gewonnen. Warum melden Sie sich erst mehr als zehn Jahre später mit Ihrem ersten Langfilm zurück?

Aus Deutschland wird mir konstant die Frage gestellt, wie wir es schaffen, in Österreich solche Filme durch die Förderstruktur zu bringen. Die Wahrheit ist: Wir kämpfen zehn Jahre für diese Filme. Man muss immer schon ein fertiges, greifbares Produkt präsentierten, mit einem fixen Genre. Aber gute Kunst fängt halt dort an spannend zu werden, wo sie nicht mehr berechenbar ist und wo sie vielleicht gefährlich und subversiv wird. Bei mir wurde oft gesagt: Wir können das nicht kategorisieren. Es war oft nicht leicht. Und es ist auch nicht leichter geworden. Für mein neues Projekt habe ich fünf Ablehnungen hintereinander bekommen. Ich hoffe, dass wir mit »How to Be Normal and the Oddness of the Other World« beweisen könnten, dass es einen Wert hat, diese Form von Arbeit zu machen, die nicht ganz so durchkonfektioniert ist.

Was bedeutet es für Sie, dass der Film auf der Berlinale Premiere feiert?

Ich fühle mich sehr gesehen. Es war eine gute Fügung, dass der Wettbewerb »Perspectives« für Erstlingswerke neu ins Leben gerufen wurde. Wahrscheinlich mit demselben Gedanken, den auch ich hatte. Ich wollte bei dem Projekt möglichst viele Leute mitnehmen, die diese Chance vielleicht sonst nicht bekommen würden. Der Kameramann hatte davor noch nicht mal einen Kurzfilm gemacht. Die Komponistin hatte noch nie Filmmusik komponiert, und ganz viele vom Cast standen noch nie vor der Kamera. Die Berlinale ist der beste und schönste Ort, der für diesen Film hätte passieren können. Danach eröffnet er die Diagonale in Graz, das ist mein Hausfestival, das mich filmisch sozialisiert hat. Im Herbst hat der Film seinen österreichischen Kinostart, und wir hoffen sehr, dass er auch in Deutschland in die Kinos kommt.

»How to Be Normal and the Oddness of the Other World«, Österreich 2025. Regie und Drehbuch: Florian Pochlatko. Mit: Luisa-Céline Gaffron, Elke Winkens, Cornelius Obonya und Harald Krassnitzer. 102 Min.
18.2., 21.30 Uhr, Cubix 5; 20.2., 12.30 Uhr, Colosseum 1; 21.2., 21.30 Uhr, Stage Bluemax Theater

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