- Kultur
- Berlinale: »Al mosta’mera«
Auf der Spur des toten Vaters
Sektion Perspectives: »Al mosta’mera« von Mohamed Rashad ist ein Alltagsthriller
Ein überfüllter Bus bringt die Arbeiter raus aus der Stadt – hin zu einem unwirtlichen Ort. Die große, graue, laute Fabrik mit ihren riesenhaften Maschinen, die Metall verarbeiten. Der zwölfjährige Maro will unbedingt mitkommen, seinen großen Bruder Hossam begleiten. »Ich gehe nicht mehr zur Schule. Ich will arbeiten«, verkündete er – und weder der Wutausbruch noch die Schläge des großen Bruders halten ihn von dieser Entscheidung ab. Angekommen in der Fabrik, bahnen sich die beiden ihren Weg durch den Funkenregen in der hohen Halle.
Dies ist der Ort, an dem ihr Vater vor Kurzem gestorben ist. War es ein Unfall? Sie wissen es nicht. Maro nimmt die Kappe des Vaters aus dessen Spind, setzt sie auf. »Die nehme ich.« Doch die beiden sind nicht wegen der paar Habseligkeiten gekommen, die sie dort finden. Sie wollen einen Job.
»Normalerweise würdest du nie hier arbeiten, wenn es unseren Deal nicht gäbe«, sagt der Firmenchef zu Hossam, nachdem er dessen Qualifikationen abgefragt hat. Der 23-jährige Hossam gilt als Nichtsnutz und Unruhestifter. Doch es gibt eine Abmachung: Die Familie wird nach dem Tod des Vaters keine rechtlichen Schritte gegen die Firma einleiten, dafür bekommt Hossam Arbeit an einer der großen, schweren Maschinen. Er muss sich durchbeißen, niemand traut es ihm zu. Auch Maro arbeitet in der Fabrik mit. Die beiden Brüder versuchen, funktionierende Teile der Maschinerie zu werden.
Der Untertitel von »Al mosta’mera« (»The Settlement«) lautet »Ein Arbeitsplatz-Thriller«. Hier wird die Fabrik zum Schauplatz von unerklärten Todesfällen, undurchsichtigen Machenschaften und anonymen Anrufen. Die Atmosphäre ist düster, unbehaglich. Die Kollegen reden – aber was davon stimmt? »Die Leute übertreiben hier. Der Tod deines Vaters war ein Unfall«, sagt ein Kollege.
Der auf wahren Begebenheiten beruhende Plot des Films spielt in Alexandria, der Heimatstadt des Regisseurs und Drehbuchautors Mohamed Rashad. Von der Mittelmeerpromenade der Stadt im Norden Ägyptens mit ihren prachtvollen Häusern ist im Film nichts zu sehen. Stattdessen zeigt er dunkle Orte, an denen mit Drogen gedealt wird, die Fabrik vor den Toren der Stadt und die enge Wohnung der Familie, an die die Mutter wegen ihres kranken Beines gebunden ist. »Al mosta’mera« erzählt aus dem Leben von Menschen, die sich wenig aussuchen können. Hossam scheint sich im Kreis zu drehen. Er ist gefangen in der Abhängigkeit von seinem Chef, sein schlechter Ruf wird zur selbsterfüllenden Prophezeiung.
Regisseur Mohamed Rashad, der zuerst Bauingenieurwesen studierte und dann eine zweijährige Filmemacher-Ausbildung an der Jesuit Cultural Film School in Alexandria absolvierte, hat eigene Kurzfilme realisiert und als Regieassistent gearbeitet. Sein erster Dokumentarspielfilm »Little Eagles« (2016) gewann mehrere Preise auf Filmfestivals. »Al mosta’mera«, sein erster abendfüllender Spielfilm, wurde am Dienstag im neuen Wettbewerb »Perspectives« der Berlinale uraufgeführt. Fünf Jahre hat Rashad an dem Film gearbeitet und engagierte dafür auch unbekannte Schauspieler*innen und Fabrikarbeiter*innen.
In seinem Film fängt er soziale Realitäten ohne Sentimentalität auf spannende, beunruhigende Weise ein. Einziger Lichtblick für Hossam sind die Anrufe einer jungen, unbekannten Frau. Dominiert wird der Alltag von Abhängigkeiten, Perspektivlosigkeit und einer Spirale von Kriminalität und Gewalt. »Al mosta’mera« ist aber auch die Geschichte zweier Brüder, die trotz widriger Umstände, harter Worte und Gesten von tiefer Verbundenheit und Zärtlichkeit geprägt ist.
Hossam ist eine ambivalente Figur. Mit düsterem Blick verfolgt er, was um ihn herum passiert. Was in seinem Kopf vor sich geht, welche Gedanken und Hoffnungen ihn treiben, bleibt unklar. Sein Bruder Maro wirkt im Vergleich kindlich und voller Ideen. Für ihn scheint es noch Hoffnung zu geben, vielleicht eine Perspektive – aber das hängt auch davon ab, für welchen Weg er sich entscheidet.
Die gelungene Besetzung, die realistisch anmutende Geschichte und das ungewöhnliche Setting mit seiner Industrieästhetik machen »Al mosta’mera« zu einem nicht leicht wegzusteckenden, sehenswerten Film.
»Al mosta’mera«, Ägypten/Frankreich/Deutschland/Katar/Saudi-Arabien 2025. Regie und Buch: Mohamed Rashad. Mit: Adham Shoukry, Ziad Islam, Hajar Omar. 94 Min.
19.2., 13 Uhr, Cubix 9; 20.2., 21.30 Uhr, Cubix 8; 21.2., 15.30, Uhr Colosseum 1; 22.2., 21.30 Uhr Stage Bluemax Theater
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.