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Jaguar gegen Königreich

Genosse Shakespeare zu Gast auf der Berlinale

Genosse Shakespeare – Jaguar gegen Königreich

Als die Tragödie »Richard III.« des Genossen William Shakespeare um 1593 wohl zum ersten Mal auf die Bühne kam, da lag der namengebende englische Potentat bereits mehr als hundert Jahre unter der Erde. Kein Stoff also aus Shakespeares Gegenwart, allerdings einer, der überzeitliche Probleme verhandelt. So ist Shakespeare nicht selten vorgegangen: Historische oder auch rein fiktionale Ereignisse dienen als dramatisches Gerüst.

Der unbedingte Wille zur Aktualisierung – sei es im Film oder im Theater – ist auch deswegen ein Kuriosum. Nur was Gegenwart atmet, so die landläufige Meinung, ist dem zeitgenössischen Publikum verständlich. Dabei ist es doch genau umgekehrt: All die vielen Zeichen, die uns bedeuten sollen, dass wir es mit einer Situation im Hier und Jetzt zu tun haben, verschließen den Blick für die größeren Konflikte.

Burhan Qurbani hat sich für seinen Film »Kein Tier. So wild.«, der dieser Tage auf der Berlinale seine Weltpremiere feierte, Shakespeares »Richard III.« angenommen. Und plötzlich finden die Rosenkriege nicht mehr zwischen zwei englischen Adelshäusern statt, sondern die Yorks und Lancasters sind zwei konkurrierende deutsch-arabische Gangsterfamilien in Berlin-Neukölln.

Genosse Shakespeare

Wie es euch gefällt: Alle zwei Wochen schreibt Erik Zielke über große Tragödien, politisches Schmierentheater und die Narren aus Vergangenheit und Gegenwart. Inspiration findet er bei seinem Genossen aus Stratford-upon-Avon.


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Der altbekannte Irrweg also, der den Genossen Shakespeare durch den Aktualisierungszwang verflacht und verstümmelt? Keineswegs. Denn Qurbanis Unterweltgestalten sind für uns ebenso entrückt, künstlerisch überhöht und ewig weit entfernt wie ein englischer König aus dem 15. Jahrhundert.

Dass der Regisseur den Mut gefunden hat, seine Darsteller Verse auf der Leinwand sprechen zu lassen, kann man gar nicht genug loben. Die Dramatikerin Enis Maci hat die Neuübertragung des Shakespeare’schen Stücks besorgt, die zwischen hohem Ton und Gangstersprech unterhaltsam changiert. Wenn sie dann für das sprichwörtlich gewordene »Ein Pferd, ein Pferd, mein Königreich für ein Pferd!« den Gaul zum Jaguar werden lässt, ist man sich aber nicht mehr ganz sicher, ob gerade diese Diskrepanz den Reiz ausmacht oder sie hier vielleicht ein bisschen zu dick aufgetragen hat.

Es ist durchaus einleuchtend, dass Qurbani die starken Familienbande aus der alten englischen Monarchie im kriminellen Milieu ausfindig machen will. Für seine große Tragödie erfindet er die ganz großen Bilder. Klugerweise vertraut er als Regisseur auf Shakespeare. Und wo er von ihm abweicht – und das tut er immer wieder –, gelingen ihm spannende Setzungen, über die man, auch wenn man ihm nicht zustimmt, gut streiten kann.

Shakespeares Richard wird bei Qurbani zu einer Rashida. Ist der Titelheld bei dem Barden aus Stratford von der Natur entstellt, missgebildet, ist Rashidas Makel ihr Geschlecht in einer Welt der Männer. Nicht auf dem Schlachtfeld, sondern als Anwältin hat sie ihren Teil für die Familie getan. Mit einer eindrucksvollen Gerichtsszene beginnt der Film und vermittelt so die komplexe Gemengelage ohne den Gestus des Erklärens. Kenda Hmeidan, die die Hauptfigur gibt, spielt facettenreich und überzeugend. Überhaupt bekommt man eine Besetzung zu sehen, wie sie deutsche Filme selten bieten.

Für einige der Figuren im Stück findet Qurbani Entsprechungen, andere lässt er weg, verändert sie weitreichend. Mit Shakespeare aber glaubt er an den Konflikt und das Drama. Keine Milieustudie und kein Sozialdrama bringt er auf die Leinwand. Ein Politthriller eher. Qurbani interessiert sich für die Macht und den blutigen Weg dahin, vor allem aber für das Scheitern der Mächtigen. Und er weiß, wie er seine Geschichte erzählen muss, hat er doch vom Besten gelernt.

»Kein Tier. So wild.«: Deutschland 2025. Regie: Burhan Qurbani. Buch: Enis Maci/Burhan Qurbani. Mit Kenda Hmeidan, Verena Altenberger, Hiam Abbass, Mona Zarreh Hoshyari Khan und Mehdi Nebbou. 142 Min.

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