Grönemeyer und die Kunst des Nuschelns

Ein eher schweres Buch von Michael Lentz über die Leichtigkeit des Herbert Grönemeyer

  • Yaro Allisat
  • Lesedauer: 4 Min.
»Der Text darf die Melodie nicht kaputtmachen!« Herbert Grönemeyer, 2024 in Berlin
»Der Text darf die Melodie nicht kaputtmachen!« Herbert Grönemeyer, 2024 in Berlin

Urprünglich aus Göttingen, sei er im Grunde genommen in Bochum im Ruhrgebiet geboren, sagt einer der bekanntesten deutschen Popsänger von sich. Das ist auch, wofür Herbert Grönemeyer berühmt ist: genuschelte Texte, wilde Mischungen von Poesie und pottscher Mundart, Themen von der Grube bis zur Weltpolitik. Im September erschien die erste Gesamtdarstellung von Grönemeyers Werk und Leben, geschrieben von seinem langjährigen Freund, dem Autor und Literaturprofessor Michael Lentz. Es ist das erste Grönemeyer-Buch, an dem der Sänger selbst mitwirkte und weniger eine Biografie als eine Werkanalyse geworden. Sein Privatleben versuchte er immer privat zu halten. Entsprechend finden sich hier auch nur jene Aspekte von Grönemeyers Leben, die direkten und indirekten Einfluss auf sein Schaffen haben.

Aufgewachsen ist Grönemeyer in Bochum. Als seine Eltern dorthin zogen, war er ein Jahr alt. Er meint, das Ruhrgebiet in ihm verliere sich nicht. Die Region ist verdreckt vom Kohlenstaub, war Garant für das deutsche Wirtschaftswunder und die »undeutsche Selbstironie«. Der »Hang zu alberner Schwermut« der Bewohner ließe sich in etwa vergleichen mit der Kauzigkeit der Nordfranzosen, wie sie in der Komödie »Willkommen bei den Sch’tis« dargestellt werde. Als Kind aus gutbürgerlicher Familie, dessen Eltern viel Wert auf Bildung und Kultur legten, spielte Grönemeyer mit sechs Jahren Ukulele und sang dazu, selbstbewusst und schief, mit acht Jahren kamen Wandergitarre und Klavier hinzu.

Der Vater war Bergbauingenieur, der morgens im Garten Rilke und Goethe zitierte. In seiner Jugend coverte Grönemeyer vor allem bekannte englische Songs auf Dorf- und Stadtfesten. Nie habe er den Text gekannt, sagt er, sondern in einer Fantasiesprache gesungen, den Lauten der Songs nachempfunden. Aber den Leuten habe es gefallen. Fünf Semester lang studierte er Jura. Nebenbei arbeitete er, 19 Jahre alt, am Schauspielhaus als Pianist, Korrepetitor und musikalischer Leiter. Nebenbei schrieb er Filmmusiken und trat als Schauspieler unter anderem in Peter Zadeks Fernsehfilm »Die Geisel« (1977) und in dem Welterfolg »Das Boot« (1981) von Wolfgang Petersen auf. In Peter Schamonis »Frühlingssinfonie« (1982) spielte er den Komponisten Robert Schumann.

Seine erste eigene Platte nahm er 1980 auf: ein Misserfolg wie auch die nächsten beiden. Erst mit »4630 Bochum« kam 1984 der Durchbruch, quasi über Nacht und unerwartet. Ab 1998 veröffentlicht Grönemeyer auf seinem eigenen Label Grönland Records, das auch viele junge, unbekannte Musiker*innen unter Vertrag nahm.

Den größten Teil des Buches verwendet Michael Lentz auf die Songs von Grönemeyer. Es ist eine detaillierte Analyse der Texte, Wörter, Rhythmen und Motive. Grönemeyers Arbeitsweise ist durchaus spannend. So steht immer zuerst die Melodie. Danach schreibt er einen »Bananentext« im Fake-Englisch, denn es kommt ihm weniger auf den Inhalt an als auf den Klang der Worte. »Der Text darf die Melodie nicht kaputtmachen!« lautet das Motto.

Mit vielen Beispielen aus Grönemeyers Notizen aus bisher unveröffentlichten Texten macht Lentz Grönemeyers Arbeitsprozess sichtbar, sowohl formal als auch nach individual-psychologischen Kriterien. Das wirkt alles sehr logisch und nachvollziehbar. Auch die Analyse der fertigen Songs ist bis zu einem bestimmten Grad interessant, wenn Lentz die unbewussten Faktoren, die Einfluss auf das Hören der Lieder nehmen, mittels klassischer poetischer Analysen herausstellt. So beispielsweise die Funktion des Nuschelns bei Grönemeyer und seine Technik, mit der Stimme wie mit einem weiteren Musikinstrument zu arbeiten, weniger um Sinn, sondern um Gefühl in seine Lieder zu bringen.

Als Auror allerdings ringt Michael Lentz nicht gerade um Allgemeinverständlichkeit. Nach rund 150 Seiten (von 384) wird es sehr ernst und akdemisch. Kaum eine Seite, auf der nicht drei Fremd- oder Fachwörter gegoogelt werden sollten. Bis auf die Buchstabenebene nimmt er Grönemeyers Texte auseinander, analysiert die Motive, die sich durch seine Arbeit ziehen, und die Betonungen, Harmonien, Assonanzen und Reime. Die Sätze werden immer komplizierter, es geht auch um Autoren wie Hegel und Foucault, doch dabei wiederholt sich Lentz in seinen Grundaussagen über Grönemeyers Musik. Es wirkt paradox, wenn er dabei immer wieder Grönemeyers Leichtigkeit im Produktionsprozess betont.

Die zweite Hälfte des Buches ist etwas für verkopfte Denker, die erste durchaus für die Allgemeinheit lesenswert.

Michael Lentz: Grönemeyer. Fischer, 384 S., geb., 24 €.

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