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Umstrittene Meinungsfreiheit
US-Sendung löst Entrüstung gegen Strafverfolgung von Hass und Hetze im Internet aus
Es ist eine bewährte Choreografie: Das rechtsextreme Krawallmedium »Nius« lanciert einen vermeintlichen Skandal, Springer-Medien greifen die »Enthüllung« auf. Ein bayerischer Staatsrechtler ordnet ein, FDP-Rechtsaußen Wolfgang Kubicki kommentiert und eine Filterblase aus Querdenkern und dem Bündnis Sahra Wagenknecht sekundiert. Angeblich geht es um Meinungsfreiheit – meist werden die Grünen, oft in Person von Robert Habeck, als Schuldige präsentiert.
So lief es im Herbst bei der »Schwachkopf-Affäre«, als ein 64-Jähriger Habeck mit dem Ausdruck beleidigte und nach dessen Strafanzeige Besuch von der Polizei bekam. Diese Woche wiederholt sich das Muster nach einer Dokumentation des US-Senders CBS, in der das Format »60 Minuten« in Niedersachsen einen bundesweiten »Aktionstag« gegen Hasskriminalität mit der Kamera begleitet. Auf Anordnung der Staatsanwaltschaft Göttingen durchsuchte die Polizei Wohnungen und beschlagnahmte Handys oder Rechner als Beweismittel. Die meisten der betroffenen Verdächtigen wurden von der Polizei dem Phänomenbereich »politisch motivierte Kriminalität – rechts« zugeordnet.
Nachdem »Nius« und »Welt« über die am Sonntag veröffentlichte Sendung berichteten, meldete sich US-Vizepräsident James David Vance am Montag zu Wort. Auf Elon Musks Plattform X zog der AfD-Unterstützer Parallelen zu Orwells »1984«. Bereits auf der Münchner Sicherheitskonferenz wetterte er vergangene Woche gegen angebliche Redeverbote in Europa – speziell in Deutschland. Als Beispiel nannte er einen »Aktionstag« des BKA gegen Frauenfeindlichkeit im Netz.
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Hinter Vances Gepolter steckt auch der Streit zwischen der Europäischen Kommission und US-Plattformen wie X und Facebook über den Digital Services Act (DSA). Die seit einem Jahr geltende EU-Verordnung zwingt Tech-Giganten, illegale Inhalte schnell zu löschen und Beschwerdemechanismen bereitzustellen. Dafür müssen EU-Staaten Meldestellen einrichten, die sogenannten »Trusted Flagger«.
Als 2023 die erste deutsche DSA-Meldestelle lizenziert wurde, folgte die bekannte Empörungswelle. Kubicki sprach von einer »grünen Zensuranstalt«, da diese vom grün-geführten Familienministerium finanziert wird und die DSA-Umsetzung Habecks Wirtschaftsministerium obliegt.
Zum Feindbild wird Habeck auch, weil er Hunderte Strafanzeigen wegen Beleidigungen stellte und damit die Liste von Politiker*innen, die deshalb juristisch vorgehen, anführt. Dabei ist wie in der »Schwachkopf-Affäre« tatsächlich fraglich, in welchem Umfang Politiker*innen Anwürfe unter der Gürtellinie aushalten müssen – besonders nach der Verschärfung des Strafrechtsparagrafen 188, der nun bis zu drei Jahren Haft für üble Nachrede, Beleidigung und Verleumdung von Amtsträger*innen vorsieht. Die rechte Filterblase wittert deshalb eine Rückkehr zur abgeschafften Strafbarkeit einer »Majestätsbeleidigung«.
Ob frühmorgendliche Razzien wegen Online-Beleidigungen gerechtfertigt sind, ist diskutabel. Die Frage ist dabei, in welchen Fällen es sich tatsächlich um ein Vergehen handelt. Anders als die verfassungsrechtlich verbriefte Redefreiheit in den USA – wo sogar Gesetze dagegen verboten sind – hat Meinungsfreiheit in Deutschland strafrechtliche Grenzen.
Die CBS-Dokumentation zeigt dies an der Hetze gegen die Grünen-Politikerin Renate Künast oder den Mord an dem Kasseler CDU-Regierungspräsidenten Walter Lübcke aus dem Jahr 2015 – anschließend wurden in allen Bundesländern Zentralstellen zur Bekämpfung von Hasskriminalität im Internet eingerichtet. Erwähnt wird auch die Hamburger Affäre »Pimmelgate« um den damaligen SPD-Innensenator Andy Grote, der ein entsprechendes Internetposting mit einer Hausdurchsuchung verfolgen ließ – die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren wegen Beleidigung jedoch ein.
Es gibt auch für Linke ausreichend Gründe, das Vorgehen von Polizei und Justiz zu kritisieren.
Ein weiteres Beispiel von »60 Minuten« ist der Fall einer Person, die unter ein Foto eines Maschinengewehrs schrieb: »Das schnellste Asylverfahren Deutschlands. Lehnt bis zu 1400 Asylanträge in einer Minute ab«. Diese Äußerung wurde als Volksverhetzung eingestuft, die Person soll deshalb auch ihren Job verloren haben. Ein anderer User postete ein Bild mit stromgeführten Drähten und betitelte dies mit »Kletterpark für Flüchtlinge«. Dafür sollte der Beschuldigte 3750 Euro Strafe zahlen.
In der CBS-Sendung äußern sich drei Staatsanwälte der niedersächsischen Zentralstelle für Hasskriminalität über ihre letztes Jahr insgesamt 3500 Fälle. Sie höhnen über die Betroffenen der Polizeirepression; einer von ihnen betont, dass die Beschlagnahme von Handys »sogar schlimmer als die Strafzahlung selbst« sei – obwohl für die Bestrafung überführter Täter*innen ein Gericht zuständig ist.
Es gibt auch für Linke ausreichend Gründe, das von »60 Minuten« beschriebene Vorgehen von Polizei und Justiz zu kritisieren – jedoch wird die Debatte um die Verfolgung von Beleidigungen im Internet derzeit komplett den Rechten überlassen. Fragwürdig ist zudem das Vorgehen staatlich finanzierter Meldestellen, die selbstständig nach möglichen Beleidigungen suchen und Betroffenen auch bei Bagatellen zu Anzeigen raten – eine nicht-staatliche, aber aus öffentlichen Geldern bezahlte Internetüberwachung.
So verfährt etwa die gegen digitale Gewalt gegründete Gesellschaft HateAid aus Berlin, die in der vergangenen Legislatur allein im Themenfeld Antisemitismus – wozu von deutschen Meldestellen auch gegen Israel gerichtetes »verletzendes Verhalten« gezählt wird – rund 1,8 Millionen Euro vom Bundesjustizministerium erhielt.
Richtig ist aber auch, wenn die Vorsitzende von HateAid, Josephine Ballon, in der US-Dokumentation darauf verweist, dass die Meinungsfreiheit auch für Opfer von Beleidigungen gelten muss. »Das ist nicht nur eine Befürchtung. Es findet bereits statt – bereits die Hälfte der Internetnutzer in Deutschland hat Angst davor, ihre politische Meinung zu äußern, und sie beteiligen sich kaum noch an öffentlichen Debatten im Internet«, sagt Ballon.
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