SPD und Grüne: Ministerien first, Inhalte second

»Progressive« Parteien definieren politische Verantwortung als eine in der Regierung

Handschlag zum letzten »Duell« bei »Welt-TV« am Mittwochabend: Die Positionen von Merz und Scholz näherten sich weiter an.
Handschlag zum letzten »Duell« bei »Welt-TV« am Mittwochabend: Die Positionen von Merz und Scholz näherten sich weiter an.

Die Bundestagsdebatten der letzten Januarwoche machten einmal mehr deutlich: CDU, CSU und FDP auf der einen, SPD und Grüne auf der anderen Seite wollen AfD-Politik ohne die AfD machen. Nämlich die Rechte Geflüchteter einschränken, abschieben, zurückweisen, internieren, sowohl an den EU-Außengrenzen als auch in der Nähe der deutschen Grenzen. Dergleichen hatte die Ampel-Koalition längst beschlossen.

Umso mehr erschütterte es Sozialdemokraten wie Grüne, dass die Union für die von ihnen wegen Rechtswidrigkeit abgelehnten, noch weiter reichenden Maßnahmen die Unterstützung der AfD geplant in Anspruch nahm. Freilich in einer symbolischen Abstimmung über einen Entschließungsantrag, der keine Gesetzeskraft hat. Noch nicht. Gefordert wurden darin unter anderem pauschale Zurückweisungen aller Personen ohne gültige Einreisedokumente an den deutschen Grenzen und die Inhaftierung aller »vollziehbar ausreisepflichtigen« Menschen.

Nur Tage später legte Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck einen Zehn-Punkte-Plan »für mehr Sicherheit« vor, in dem auch er schnelle Abschiebungen von »nichtdeutschen Gefährdern und Straftätern« und deren Inhaftierung forderte. Die in dem Plan aufgelisteten Maßnahmen hatte Habeck bereits in seiner Bundestagsrede am 31. Januar aufgezählt, nachdem die Union trotz Unterstützung durch AfD, BSW und FDP damit gescheitert war, ihr sogenanntes Zustrombegrenzungsgesetz durch den Bundestag zu bringen. Habeck streckte also schon im Moment des Tabubruchs der Union die Hand zu einer künftigen schwarz-grünen Koalition aus.

Kanzler Olaf Scholz tat dies an jenem Tag noch dezenter. Doch in den »Kanzlerduellen« der vergangenen Wochen in ARD, ZDF und Privatsendern signalisierte er bei Asylpolitik, Schikanen gegen Bürgergeldbeziehende und Ausbau von Überwachung und Befugnissen der Behörden das ganz große Entgegenkommen gegenüber der Union. Zuletzt war das am Donnerstagabend im Duell bei Welt-TV zu beobachten. Dabei kam allerdings auch Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz dem amtierenden Regierungschef entgegen. Er will nun nicht mehr alle 42 000 vollziehbar Ausreisepflichtigen inhaftieren und so schnell wie möglich abschieben, sondern nur noch etwa 500 »Gefährder« aus Ländern wie Syrien und Afghanistan.

Derweil kam Scholz Merz in Sachen Arbeitspflicht für Erwerbslose entgegen, die sich weigern, ein Jobangebot zu akzeptieren. Die CDU will künftig neben wesentlich schärferen Strafen bei Versäumnissen von Bürgergeldbeziehenden eine faktische Neuauflage von Ein-Euro-Jobs. Die gab es schon mal ab 2005 im Zuge der berüchtigten Hartz-Reformen der damaligen rot-grünen Bundesregierung.

Jenseits der Duelle und Wahlarenen, in denen sich auch die Spitzenkandidaten der anderen Parteien präsentieren konnten, kamen sozialpolitische Forderungen von SPD und Grünen in der Öffentlichkeit nur am Rande vor. Die SPD wirbt mit »sicherer Rente«, womit die Erhaltung des aktuellen, sehr bescheidenen Rentenniveaus gemeint ist, und die Grünen erzählen jungen Wählern auf Instagram, sie würden die Mietpreisbremse so gestalten, dass es künftig keine Schlupflöcher mehr gebe. Und, so der Ko-Vorsitzende der Grünen, Felix Banaszak in einem Video sehr großspurig: »Wir machen diesen Planeten auf Dauer bewohnbar.«

Wie die Grünen das zusammen mit der Union, die fossilen Energieträgern mehr Zukunft verschaffen und das »Brenner-Aus« kippen will, bewältigen möchten, bleibt ihr Geheimnis. Dass das Regieren mit CDU und CSU allein oder im Dreierbündnis mit der SPD oberstes Ziel der Grünen ist, machte dieser Tage Bundesaußenministerin Annalena Baerbock in einem Wahlvideo deutlich, ebenfalls veröffentlicht auf Instagram.

Für Baerbock ist offenkundig Verantwortungbewusstsein gleichbedeutend mit einer Regierungsbeteiligung. »Deine Stimme hat bei den Grünen am meisten Effekt«, sagt sie. Und fügt hinzu: »Und eine Partei zu wählen, die von vornherein ausschließt zu regieren, drückt sich vor der Verantwortung, in schwierigen Situationen das Richtige zu tun.« Hinter ihr wird dabei der Linke-Slogan »Alle wollen regieren. Wir wollen verändern« eingeblendet. Baerbock meint zugleich, man könne am besten zusammen mit der (scharf rechts abgebogenen) CDU den »Rechtsruck verhindern« und dafür sorgen, dass »wir ein progressives, weltoffenes Land bleiben«.

Für die Linke-Bundestagsabgeordnete Clara Bünger ist es dagegen verantwortungsvoll, »keine Partei zu wählen, die nach der Wahl mit Friedrich Merz koaliert, um dann eine noch härtere Abschiebepolitik zu betreiben, weiter nach unten zu treten und am Ende keinen ordentlichen Klimaschutz zu betreiben«, wie sie das Baerbock-Video kommentierte.

Derweil war Grünen-Kanzlerkandidat Habeck am Donnerstag bemüht, die Tür nach links wieder einen Spalt zu öffnen. Er könne sich durchaus auch ein Bündnis mit der SPD und der Linken vorstellen, sagte er am Mittwoch gegenüber RTL. Es gebe »große Ähnlichkeit« zwischen den Zielen seiner Partei und denen der Linken. Die Bürgerrinnen und Bürger müssten sich aber überlegen, ob sie »nur eine laute Opposition für Klimaschutz, für Demokratie, gegen Rechtsradikalismus, für humane Flüchtlingspolitik haben wollen, oder ob dies auch in Machtoptionen umgesetzt« werden solle. Letzteres sei das Angebot der Grünen.

»Eine Partei, die von vornherein ausschließt zu regieren, drückt sich vor der Verantwortung, in schwierigen Situationen das Richtige zu tun.«

Annalena Baerbock Bundesaußenministerin

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