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Mietminderung auf Knopfdruck
Studie: Mietendeckel könnte Angebotsmieten in Städten mit Wohnungsnotlage um 46 Prozent verringern
Auf einer Deutschland-Karte leuchten viele kleine Punkte in Dunkelblau, Gelb und Rot auf. Ein Mausklick auf einen der roten Punkte, und ein Begleittext erscheint: »In Leipzig herrscht eine Wohnungsnotlage. Momentan beträgt die durchschnittliche Bestandsmiete: 5,93€/m². Durchschnittliche Miete bei neuen Verträgen: 8,96€/m².« Verschiebt man ein paar Parameter auf der Anzeige neben der Karte, ändert sich die Situation: »Durch den Mietendeckel sind keine Mieterhöhungen im Bestand mehr möglich. Durchschnittliche Miete bei neuen Verträgen: 5,93€/m². Die maximal erlaubte Höchstmiete beträgt: 7,12€/m².«
Die Rosa-Luxemburg-Stiftung hat ein Instrument entwickelt, anhand dessen die Auswirkungen eines bundesweiten Mietendeckels auf 25 Großstädte erprobt werden können. Das Programm basiert auf einer neuen Studie des Sozialwissenschaftlers Andrej Holm. Demnach würden Angebotsmieten bei Wiedervermietung in sieben deutschen Städten mit Wohnungsnotstand – Augsburg, Berlin, Frankfurt am Main, Hamburg, Leipzig, München und Münster – um durchschnittlich 46 Prozent sinken. Leipzig liegt im Vergleich mit einer 34-prozentigen Reduzierung der Mieten noch am unteren Ende, in Berlin wären es sogar bis zu 54 Prozent.
In Städten, in denen es bereits einen Wohnungsnotstand gibt, wie das rot leuchtende Leipzig, seien Mietsteigerungen grundsätzlich auszuschließen.
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Unter einem Mietendeckel versteht Holm die Einführung eines temporären Mietenstopps, die Begrenzung von Mieterhöhungen, die Einführung von Mietobergrenzen und Mietsenkungen. Das Konzept ist an eine Regelung aus Berlin angelehnt. Dort hatte die rot-rot-grüne Koalition 2020 die Mieten eingefroren, Mietobergrenzen bei Wiedervermietungen eingeführt und überhöhte Mieten abgesenkt. Das Bundesverfassungsgericht erklärte das 2021 für nichtig, derlei Gesetze lägen nicht in der Kompetenz der Länder. Deswegen verlagerte sich die Forderung auf die Bundesebene.
Denn über die Hälfte der Menschen in Deutschland leben laut Mieterbund zur Miete, über ein Drittel davon ist von den Mietkosten überlastet – das heißt, sie müssen mehr als 40 Prozent ihres verfügbaren Einkommens dafür ausgeben. Die Mietpreise in Metropolen erreichen in jedem Quartal neue Höhen.
Die Punkte auf der Karte der Rosa-Luxemburg-Stiftung leuchten in mehreren Farben, weil Holm in drei Gebietskategorien unterscheidet. Jene Städte mit Wohnungsnotlage, in denen das Wohnungsangebot deutlich geringer als die Nachfrage ist (rot); jene mit einem angespannten Wohnungsmarkt, in denen mehr Menschen Wohnungen suchen, als es gibt (gelb); und Städte ohne angespannten Wohnungsmarkt (blau).
Die Bestandsmieten stiegen von 2010 bis 2022 deutlich stärker in Städten mit Wohnungsnotlage (28 Prozent) und angespannten Wohnungsmarkt (25 Prozent) als in den blau markierten Orten (14 Prozent). Im Bereich der Angebotsmieten ist der Unterschied noch drastischer. »Haushalte, die von einer Stadt ohne einen angespannten Wohnungsmarkt in eine Stadt mit Wohnungsnotlage ziehen, müssen dort im Durchschnitt fast doppelt so hohe Mietkosten einkalkulieren«, schreibt Holm.
Leerstand spielt dabei keine große Rolle, Mietpreise hängen demnach nicht stark mit der materiellen Verfügbarkeit von Wohnraum zusammen. Einen größeren Unterschied macht dagegen die Eigentümerstruktur. In den 25 untersuchten Städten gelten 5,1 Millionen der Mietwohnungen (71 Prozent) als privatnützlich. Privatpersonen bieten Wohnungen dort durchschnittlich für einen Mietpreis von 8,48 Euro pro Quadratmeter an. Vor allem die Wohnungen von Eigentümergemeinschaften liegen mit 9,92 Euro den Quadratmeter deutlich über den durchschnittlichen Mieten in Großstädten (8,41 € pro Quadratmeter).
2,1 Millionen Wohnungen werden dagegen gemeinwirtschaftlich verwaltet, also über kommunale Wohnungsunternehmen, Genossenschaften, den Bund oder eines der Länder. Dort liegen die Mietpreise mit 6,99 Euro deutlich unter den durchschnittlichen Mietpreisen. Sie sind außerdem insgesamt fast 30 Prozent günstiger als jene im privatnützlichen Bereich.
Im Osten ist der gemeinwirtschaftliche Anteil höher als Westen, weil es im Westen deutlich mehr Wohnungen im persönlichen Besitz gibt. Ostdeutsche Städte wie Dresden, Leipzig, Erfurt und Rostock haben dagegen einen vergleichsweise hohen Anteil an Genossenschaftswohnungen (22 Prozent). Den höchsten Anteil an genossenschaftlichen und kommunalen Wohnungen hat Rostock, mit 65 Prozent. Die Wohnkrise trifft aber inzwischen trotzdem, wie die Daten zeigen, viele deutsche Städte.
»Die Analyse von 25 Großstädten offenbart, dass die Wohnungskrise nahezu überall angekommen ist, sie ist längst ein bundesweites Problem, sie ist längst das wichtigste soziale Problem«, resümiert Holm. Das könnte sich mit der Einführung eines bundesweiten Mietendeckels ändern, ist er überzeugt. Dieser müsste an die jeweilige Gebietskategorie angepasst werden. So fordert Holm, Mietsteigerungen in Orten ohne angespannten Wohnungsmarkt auf maximal zehn Prozent zu beschränken, jene mit angespannten Wohnungsmarkt auf sechs Prozent. In Städten, in denen es bereits einen Wohnungsnotstand gibt, wie das rot leuchtende Leipzig, seien Mietsteigerungen grundsätzlich auszuschließen.
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