- Kultur
- Berlinale
Glamour für alle
Die Verleihung der Teddys am Freitag im Rahmen der Berlinale zeigten, wie klasse queer sein kann
Berlin steht niemals still – selbst dann nicht, wenn die BVG streikt. Moderatorin Britta Steffenhagen bejahte den Ausstand gleich zu Beginn der 39. Teddy- Award-Gala am vergangenen Freitagabend in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz. Auch der Arbeit im Offstage verlieh sie damit einen Hauch von Glamour, auf der Bühne symbolisiert durch einen roten Handschuh mit schimmerndem Mond – ein Fingerling, der für die kommenden zwei Stunden in das reduzierte Ambiente hineinragte.
Bevor der Bär zum Teddy wurde, wäre ein Glitzerhandschuh dieser Größe undenkbar gewesen. 1987 hat Manfred Salzg–eber den europaweit einzigartigen lesbisch-schwulen Filmpreis ins Leben gerufen und damit erstmals sichtbar gemacht, was der Berlinale-Malestream bislang ignorierte. Was als sonderbar galt, ist heute etwas Besonderes: Die queere Trophäe würdigt nicht nur die Arbeit von LGBTIQA+-Filmschaffenden, sie ist auch ein Zeichen gegen Diskriminierung in einer Welt der heteronormativen Produktionsbedingungen und Sehgewohnheiten.
Queer(es) wahrzunehmen, heißt immer auch: etwas gegen den Strich bürsten. Der Teddy hatte auch in diesem Jahr kein Fell, dafür aber die politische Schlagkraft einer Doppelaxt. Für »Lesbian Space Princess« erhielten die australischen Filmemacherinnen Leela Varghese und Emma Hough Hobbs die Auszeichnung in der Kategorie »Bester Spielfilm«. Die Figuren ihres Animationsdramas wecken Anklänge an die Cartoons der lesbischen Comic-Pionierin Ariel Schrag: die introvertierte Saira wird darin zur Weltraumpilotin. Sie muss ihren Heimatplaneten Clitopolis verlassen, um ihre Ex-Freundin Kiki aus den Fängen von Straight White Maliens zu befreien. Die parlierenden weißen Rechtecke, die wie Milchbuben an einer Fruchtsaftbar wirken, haben Kiki in Schlingen gelegt, die Saira mit scharfen Klingen durchtrennt. Nicht nur im lesbischen Leben, auch im Film wird die Doppelaxt zu einer bedeutsamen Waffe, die selbst Maliens begehren. Für Saira, die ihre hoffnungslos narzisstische Partnerin nach ihrer Rettung verlässt, wird sie zu einem Symbol der Selbstbestimmung. Am Ende ihrer Reise kommt sie zu sich.
»Wer hätte gedacht, dass ein Film über lesbische Prinzessinnen im All so viele Herzen erobern würde? Vielleicht sollten wir das nächste Mal heterosexuelle Cowboys auf dem Mars versuchen«, scherzten die Preisträgerinnen, sichtlich überrascht von ihrem Award. Die Differenz zwischen Space-Animation und der Arbeit an Found Footage könnte nicht größer sein – und doch wurde auch letztere an diesem Abend ausreichend gewürdigt. Mit »Lloyd Wong, Unfinished« vollendete Lesley Loksi Chan nachträglich die um das Leben mit HIV zentrierte Videoarbeit des chinesisch-kanadischen Künstlers Lloyd Wong und bekam für ihren Film, der auch ein Stück weit Trauerarbeit ist, einen Teddy für den »Besten Kurzfilm«.
Hinter jedem glänzenden Moment steckt oft auch ein bisschen Schwein. Mit Plüschgefährten unterm Arm betrat Rosa von Praunheim die Bühne über den Seiteneingang und nahm den Teddy in der Kategorie »Bester Dokumentar- und Essayfilm« für »Satanische Sau« entgegen. Den Special Teddy für sein Lebenswerk erhielt Todd Haynes, zugleich Vorsitzender der diesjährigen Berlinale-Jury. In Anlehnung an Fassbinder bezeichnete er die Sprache des Kinos als gesellschaftlich notwendige Lüge – »24 frames of lie perception«– , das Publikum stelle sie dennoch immer wieder vor vollendete Tatsachen. Die Haltung des »learn to act over« erwuchs aus der AIDS-Krise, sie eigne sich dieser Tage vor allem im Kampf gegen den Rechtsruck.
Der Award der Teddy-Jury ging an die österreichische Regisseurin Marie Luise Lehner für »Wenn du Angst hast, nimmst du dein Herz in den Mund und lächelst«. Transidente und nicht-ableistische Charaktere kommen darin vor, ohne den Fokus auf ihre Besonderheiten zu legen. Lehners Protagonistin kämpft mit den Bildungsbarrieren in Armutsklassen, die queer-feministische Ikone Leslie Feinberg war für die Regisseurin auch dahingehend wegweisend. Es gibt sie also doch: Lesbische Frauen aus der Arbeiter*innenklasse, die Platz auf dieser Bühne finden. Bei den diesjährigen Teddy Awards haben sie vor allem eines bewiesen: wie queer Klasse sein kann.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.