Debatte um Schuldenbremse: Hauptsache, Kohle für die Truppe

Nach der Bundestagswahl: Union und SPD nähern sich bei Sonderausgaben für Aufrüstung an

In Sachen Aufrüstung best Buddys: Der künftige Kanzler Merz und SPD-Chef Lars Klingbeil
In Sachen Aufrüstung best Buddys: Der künftige Kanzler Merz und SPD-Chef Lars Klingbeil

In einem Punkt gibt und gab es in der nun zu Ende gehenden Legislaturperiode eine XXL-Koalition von SPD, Grünen, FDP, CDU und CSU: Es braucht aus deren Sicht Unsummen, um die Bundeswehr »kriegstüchtig« zu machen. Das zeigte sich unmittelbar nach der vorgezogenen Bundestagswahl am Sonntag erneut. Es waren Vertreter von Grünen und SPD, die vorschlugen, noch vor der Konstituierung des neuen Parlaments bis zum 25. März die Schuldenbremse in Artikel 115 des Grundgesetzes zu reformieren. Der Grund: Dafür ist eine Zweidrittelmehrheit im Parlament nötig, und die haben Union, SPD, Grüne und FDP zusammen nur im »alten«, dem 20. Bundestag. Im 21. fehlt sie aufgrund des Ausscheidens der Freien Demokraten.

Wie genau die Reform aussehen soll, ist noch offen. Klar ist aber, dass dadurch vor allem die Möglichkeit für eine starke Erhöhung der Militärausgaben geschaffen werden sollen. So schlug der scheidende Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) vor, Verteidigungsausgaben generell von der Schuldenbremse auszunehmen.

nd.Kompakt – unser täglicher Newsletter

Unser täglicher Newsletter nd.Kompakt bringt Ordnung in den Nachrichtenwahnsinn. Sie erhalten jeden Tag einen Überblick zu den spannendsten Geschichten aus der Redaktion. Hier das kostenlose Abo holen.

Der künftige Kanzler Friedrich Merz zeigte sich angesichts dieser Eingrenzung zunächst grundsätzlich offen für den Vorstoß und kündigte vertrauliche Gespräche mit SPD, Grünen und FDP an. Allerdings machte der CDU-Vorsitzende am Dienstagnachmittag wieder einen Rückzieher. »Es ist in der nahe liegenden Zukunft ausgeschlossen, dass wir die Schuldenbremse reformieren«, sagte er vor einer Sitzung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Auch Überlegungen, das Sondervermögen für die Bundeswehr aufzustocken, findet er »schwierig«. Mehr könne er dazu im Augenblick noch nicht sagen.

Käme es zur Lockerung des weitgehenden Neuverschuldungsverbots in der Verfassung, könnte die künftige Koalition mehr Geld für die Bundeswehr aus dem regulären Haushalt bereitstellen. Alternativ könnte ein weiteres Sondervermögen für die Bundeswehr eingerichtet werden, das nicht Teil des regulären Haushalts ist und das theoretisch unbegrenzte Kreditaufnahmen ermöglicht. Es ist mithin ein Schattenhaushalt.

Ein zweckgebundenes Sondervermögen fürs Militär müsste indes wie das im Februar 2022 beschlossene im Grundgesetz verankert werden, weshalb auch dafür eine Zweidrittelmehrheit erforderlich wäre. Für ein neues haben die Sozialdemokraten nach einem Bericht des Nachrichtenportals »Bloomberg« vom Dienstag einen Umfang von 200 Milliarden Euro vorgeschlagen. Das wäre doppelt so viel wie im ersten Sondervermögen.

Die künftige Regierungskoalition könnte später aber auch ein Sondervermögen ohne Verankerung im Grundgesetz beschließen. Dieses müsste allerdings aus dem laufenden Bundeshaushalt aufgefüllt werden. Größere Kredite wären dann nur möglich, wenn man eine Notlage erklärt, die die Schuldenbremse vorübergehend aussetzt. Dies könnte man etwa mit dem Kurswechsel der US-Regierung begründen, die weniger Geld in die Nato investieren will. Das Geld müsste dann aber in dem Jahr ausgegeben werden, in dem der Kredit aufgenommen wurde. Soll ein solches Sondervermögen über mehrere Jahre laufen, müsste jedes Jahr erneut eine Notlage erklärt werden, wofür jeweils eine aktuelle gerichtsfeste Begründung gefunden werden müsste.

Wenngleich von allen Beteiligten Bedenken formuliert werden: Im Grundsatz dürfte man eine Einigung finden. So wollte der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Thorsten Frei, am Dienstag angesichts der »hochdynamischen außenpolitischen Veränderungen nicht ausschließen, dass sehr schnell Entscheidungen im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik notwendig« seien. Es könne dabei aber nur um ein zweckgebundenes Sondervermögen für die Streitkräfte gehen, sagte er dem Deutschlandfunk. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst forderte dagegen in der »Rheinischen Post«, die neue Bundesregierung müsse zunächst den Haushalt auf »Einsparpotenziale durchforsten«, bevor weitere Schulden aufgenommen würden.

»Es wird für dieses erneute Sondervermögen zur Aufrüstung keine Stimmen der Linken geben.«

Ines Schwerdtner Linke-Ko-Vorsitzende

Der amtierende und recht wahrscheinlich auch künftige Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) forderte die Union auf, die drastische Erhöhung des Bundeswehretats zu ermöglichen. »Für die auskömmliche Ausstattung der Bundeswehr ist eine Ausnahme von der Schuldenbremse praktisch unumgänglich«, sagte er gegenüber »Bild«. Der Verteidigungshaushalt werde sich auf mehr als 100 Milliarden Euro pro Jahr verdoppeln müssen.

Der scheidende Chef der SPD-Bundestagsfraktion, Rolf Mützenich, äußerte am Dienstag zwar Bedenken gegen nicht durchdachte Beschlüsse des alten Parlaments und kritisierte den plötzlichen Kurswechsel des bisherigen Gegners jeder Schuldenbremsenreform, Friedrich Merz. Das war kurz vor dem nächsten Kurswechsel des künftigen Regierungschefs. Abgesehen davon ist Mützenich in wenigen Tagen nicht mehr im Amt. Sein designierter Nachfolger Lars Klingbeil vertritt dieselben Positionen wie Verteidigungsminister Pistorius. Merz hatte sich bereits am Montagabend mit dem Ko-Vorsitzenden der SPD getroffen.

Sören Pellmann, Ko-Vorsitzender der bisherigen Bundestagsgruppe der Linken, zeigte sich am Dienstag offen für Verhandlungen mit der Union über eine generelle Lockerung der Schuldenbremse. Dafür müsse die CDU aber ihren Unvereinbarkeitsbeschluss der Linken gegenüber aufheben und Friedrich Merz sich für die Kooperation mit der AfD entschuldigen, sagte er in Berlin vor Journalisten.

Die Ko-Chefin der Gruppe, Heidi Reichinnek, betonte zugleich, Die Linke werde sich nicht auf »dreckige Deals« einlassen. Finanzen für Rüstungsprojekte werde man ablehnen, versicherte sie. Stattdessen müsse es um Zukunftsinvestitionen für Klimaschutz, öffentlichen Nahverkehr und das Gesundheitswesen gehen. Die Linke wolle die Schuldenbremse deshalb generell abschaffen. Bei Entscheidungen, für die eine Zweidrittelmehrheit notwendig ist, werde sie »das Zünglein an der Waage für eine sozialere Politik« sein. Auch die Ko-Vorsitzende der Linken, Ines Schwerdtner, erklärte am Dienstag: »Es wird für dieses erneute Sondervermögen zur Aufrüstung keine Stimmen der Linken geben.«

Ein abgewähltes Parlament beschließt vor Konstituierung des neuen noch etwas Wichtiges – so etwas gab es in der Bundesrepublik bislang nur einmal, und es hatte ebenfalls etwas mit dem Militär zu tun. Am 16. Oktober 1998 kam der Bundestag zu einer Sondersitzung zusammen, um erstmals seit Bestehen der Bundeswehr über einen Kriegseinsatz deutscher Soldaten zu entscheiden. Es handelte sich um jenen im früher zu Jugoslawien gehörenden Kosovo. Der neue Bundestag war nach der Wahl im September noch nicht konstituiert, die bisherige schwarz-gelbe Regierung war abgewählt und die rot-grüne Koalition unter SPD-Kanzler Gerhard Schröder noch nicht im Amt. Die beschloss dann aber etliche weitere Kriegseinsätze der Bundeswehr, darunter 2001 jenen in Afghanistan, der 20 Jahre später in einem Desaster endete.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.