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Mord an Norhan A.: Selbstbestimmung endet tödlich
Im Fall des Femizids an Norhan A. wurde der Angeklagte wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt
Applaus schallt durch den Gerichtssaal, als die Staatsanwaltschaft für Yasser B. lebenslange Haft fordert. Sie klagt B. an, seine Ex-Frau Norhan A. »heimtückisch« und aus »niedrigen Beweggründen« ermordet zu haben. Wegen des lauten Beifalls der anwesenden Freund*innen und Familienmitglieder von A. werden diese des Gerichtssaals verwiesen. Ein Dutzend Justizvollzugbeamte führt sie aus dem Saal – sie beschimpfen den Angeklagten B., der darüber sichtlich verärgert ist.
Der Ausbruch am Kriminalgericht ist nachvollziehbar: Denn die vierfache Mutter Norhan A. wurde von B. am 28. August 2024 vor ihrer Zehlendorfer Zufluchtswohnung auf offener Straße erstochen – das hat B. bereits zum Prozessbeginn gestanden. Am Mittwoch wurde er wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt, das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Das Gericht sah eine »besondere Schwere der Schuld« gegeben. Das bedeutet, dass B. nicht nach 15 Jahren auf Bewährung aus dem Gefängnis kommen kann. Der Mord an Norhan A. gleiche einer »öffentlichen Hinrichtung«, so das Gericht.
Nachdem B. die Mutter seiner Kinder würgte, schlug, ihr gegen den Kopf trat und ins Herz stach, soll B. sich am Tatort eine Zigarette angezündet und mit seinem Bruder telefoniert haben. Den eintreffenden Rettungskräften soll er gesagt haben, dass A., die er eine »Hure« genannt haben soll, den Tod verdient habe und dass es dabei um seine »Ehre« gegangen sei.
Für die Staatsanwaltschaft zeigt dieses Verhalten den »unbedingten Tötungswillen« des Angeklagten. Seine Kinder hatten ihn bereits vor dem Mord an A. vor der Zufluchtswohnung gesehen. Die Staatsanwaltschaft sagt in ihrem Plädoyer, er soll seiner Frau gedroht haben: »Ich werde dich töten, wenn die Kinder in der Schule sind.«
Norhan A. hatte sich 2020 von ihrem Mann getrennt, weil dieser keine Verantwortung für den Haushalt und die Kinder übernommen haben soll. Zwei Jahre später reicht sie die Scheidung der arrangierten Ehe mit B. ein. Sie nimmt eine Arbeit auf, macht ihren Führerschein und erzieht vier Kinder. Außerdem erwirkt sie eine gerichtliche »Gewaltschutzverfügung« und ein Annäherungsverbot für B., der ihr und den Kindern gegenüber gewalttätig war. Diese kurze Lebensgeschichte der 36-jährigen Frau stellt die Staatsanwaltschaft ihrem Plädoyer voran. Sie erklärt außerdem, dass B. durch die Scheidung seine Aufenthaltsgenehmigung verlor, dass er arbeits- und obdachlos war, als er A. tötete.
Das Wort »Femizid« ist am Mittwoch mehrfach zu hören. Nicht nur aus dem Mund von Angehörigen der Getöteten und von Aktivist*innen, die eine Kundgebung vor dem Gericht organisieren. Auch die Staatsanwaltschaft benutzt das Wort in ihrem Plädoyer: Es stimme, dass »Femizid« kein juristischer Begriff sei, wie es der Verteidiger des Angeklagten bereits zum Prozessbeginn betont habe. Es stimme auch, dass jeder Einzelfall geprüft werden müsse. Dennoch können »niedrige Beweggründe«, wie sie beim Angeklagten B. vorliegen sollen, auch zu der extremsten Ausprägung von geschlechtsbezogener Gewalt, nämlich dem Femizid, gehören.
Yasser B. soll weder die Trennung akzeptiert haben, noch den selbstbestimmten Weg, den Norhan A. danach eingeschlagen hat. Laut Staatsanwaltschaft soll der Mann erfahren haben, dass A. einen anderen Mann getroffen habe – er soll demnach aus »übersteigerter Eifersucht« gemordet haben. Dass es sich um eine »endgültige Eskalation eines Sorgerechtsstreits« handle, wie die Verteidigung plädiere, bestreitet die Staatsanwaltschaft. Dagegen spricht nicht nur die hohe Zahl der Gewalttaten vor der Tötung, sondern auch, dass B. laut Verhör nicht einmal die Geburtsdaten seiner eigenen Kinder kennt.
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