Tagebuch aus Israel: »NO-GOS«

Die Journalistin Miriam Sachs ist für »nd« in Israel unterwegs – und schildert hier ihre Eindrücke

Israel und Palästina – Tagebuch aus Israel: »NO-GOS«

Nächsten Eintrag lesen: 27.2.2025 – »Glotze und Glut«

24. Februar 2025, St. Cathrine, Ägypten: Es ist so kalt in der Nacht, in den Bergen, in dem winzigen Zimmerchen. Es hat ein rot glühendes Heizungsteil aus Plastik und Draht. Kehre ich mich von ihm ab, friere ich, wende ich mich ihm zu, fühle ich die Wärme wenigstens im Gesicht, aber das Rotlicht des Drahtes erhellt den Raum. Schlaflose Nacht. Wirre Gedanken an einen Schneider Kikeriki, der hier angeblich irgendwo wohnen soll. Auf dem Berge Sinai … »seine Frau, die dumme Grete, saß auf dem Balkon und nähte. Fiel herab, fiel herab, und das linke Bein war ab.«

Wir sind bis spätnachts gefahren, der Taxifahrer Said und ich. Aber wir entfernen uns immer weiter vom Ziel – kein Local-Taxifahrer-Trick, sondern staatliche Maßnahme. Die einzige direkte Straße nach Al-Aerish ist nur für Ägypter. No-Go-Beduinenland. Aus Sicherheitsgründen. Man kann sie auch nicht heimlich fahren: Alle 50 Kilometer wird man angehalten. Fliegende Checkpoints, kommunale Grenzen. Polizei- oder Armeekontrollen. Das ist kein Ausnahmezustand wegen des benachbarten Krieges, das ist hier einfach so. Die perfekte Straße, fast leer, endet erst nachts in einem Niemandslandstreifen, dann wieder Asphalt und am Rande: Donnernde Maschinen, sehen aus wie mechanische Dinosaurier. Said sagt, das habe man al-Sisi zu verdanken. Dachte, er meine es ironisch, aber er meint es ernst. Seit al-Sisi geschehe hier was.

Tagebuch aus Israel

Miriam Sachs ist Autorin und Theatermacherin. Ihre Arbeit brachte sie immer wieder nach Gaza. Als im August 2024 der neunjährige Sohn ihres Kollegen Deeb von einer Drohne angeschossen wurde, versuchte sie vergeblich, das Kind zur Behandlung nach Deutschland zu bringen. Ebenso wenig hatte ihr Versuch Erfolg, einen Koffer mit Hilfsmitteln nach Gaza zu bringen. Nun ist sie für einige Wochen wieder in Israel unterwegs – nicht nur, aber auch, um den rosa Rollkoffer doch noch an sein Ziel zu befördern. Für »nd« führt sie ein Tagebuch.

Loch im steinigen und lehmig-sandigen Boden. Sieht aus wie ein Grab, dient aber dem Autos-von-unten-Reparieren. Kamel vor dem ATM und Kinder, die es führen. Ich freue mich über das Kamel, freue mich über den ATM, es kommt aber kein Geld raus. Wollte mir das Frühstück sparen, auch wegen des leeren Automaten, aber Eile verbietet sich. Said trinkt mit jemandem Tee. Im Sand, davor ein improvisiertes Tablett. Daneben werkelt jemand an dem Sandloch herum, der kommt dann auch dazu. Immer mehr Leute setzen sich. Einer sagt, es sei besser (Hand aufs Herz und Erwähnung Allahs), wenn Menschen zusammenkommen zum Frühstück. Der erste Morgen, an dem ich ruhig bin.

Israel und Palästina – Tagebuch aus Israel: »NO-GOS«

Said hat fünf Anrufe bekommen von der Polizei (»Where is the Girl?«). Drücke mein Bedauern darüber aus. Aber er findet, es sei doch gut für mich, es zeige, wie sicher Touristen hier sind. Man werde ihn so lange anrufen, bis er mich wohlbehalten zurück nach Taba gebracht hat.

»Aber ich weiß noch nicht, wie lange ich in Al-Aerish bleibe! Dann musst du da auch bleiben! Oder der Polizei sagen, dass ich mit einem anderen Taxi zurückkomme.« In der Regel sagen die Leute an diesem Punkt: »Fesh Mushkela.« Das heißt »Kein Problem«, wenn es in Wahrheit sehr wohl eines ist. Said sagt nichts.

Aegypten / Sinai II SD 480p

Dass er nicht glaubt, dass wir es überhaupt bis Al-Aerish schaffen, hatte er von Anfang an geunkt: Es sei unmöglich, durch alle Militärkontrollen zu kommen, es sei alles voll mit Militär. Anfangs zählte ich die Kontrollpunkte noch, notierte die Besonderheiten: Eine kleine Burg. Ein alter Klappstuhl neben dem Schlagbaum. Wachhäuschen mit Banner »Ministry of Interior«. Jetzt denke ich nur noch an den finalen.

Am 9. Kontrollpunkt: Finstere Gesichter hinter MGs. Der Finsterste fragt Said: »Why Al-Aerish? Is she married there?« Said reicht meinen Pass rüber und sagt etwas von einer Freundin, die ich besuchen wolle. Der Finsterste schreitet langsam zu meinem Fenster. Exekutiver Fingerzeig, die Scheibe herunterzulassen. Starrt noch finsterer und freut sich dann diebisch über meine Verwunderung, als er lächelt, und den Pass rüberreicht: »You are welcome to go to Al-Aerish.«

Grenzenlose Freude. Dann endet die über zwölfstündige Fahrt mit einer Nachricht von Deeb: »They left Al-Aerish!« Rula und Qais seien auf dem Weg ins Universitätsklinikum Manoufia. »Keine Ahnung wo das ist«, sagt Said.

Vorherigen Eintrag lesen: 20.2.2025 – »SINAI ONLY«

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -