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Tagebuch aus Israel: GLOTZE UND GLUT
Die Journalistin Miriam Sachs ist für »nd« in Israel unterwegs – und schildert hier ihre Eindrücke
27. Februar 2025: Zurück aus Ägypten. Wieder in Israel. Jerusalem. Bewegte Achterbahnfahrten schlagen einem entgegen wegen fast geplatzter Geisel-Deals. Der Deal hält, dafür kündigt mir eine Freundin die Freundschaft, weil ich sagte, dass ich mich beim Spektakel am »Platz der Geiseln« immer etwas fehl am Platz fühle. Zu spät zu sagen, dass ich nicht die Gefühle der Menschen meine, sondern jegliche Art von Medienspektakel. Auf beiden Seiten!
Und sonst so? Donald Trump verbreitet KI-generiertes Werbe-Video seiner Gaza-Vision. Es sieht aus wie das Gaza aus einem Hollywoodfilm mit Hedy Lamarr. Nur mit Trump statt Hedy. Wut und Würgereflex.
Miriam Sachs ist Autorin und Theatermacherin. Ihre Arbeit brachte sie immer wieder nach Gaza. Als im August 2024 der neunjährige Sohn ihres Kollegen Deeb von einer Drohne angeschossen wurde, versuchte sie vergeblich, das Kind zur Behandlung nach Deutschland zu bringen. Ebenso wenig hatte ihr Versuch Erfolg, einen Koffer mit Hilfsmitteln nach Gaza zu bringen. Nun ist sie für einige Wochen wieder in Israel unterwegs – nicht nur, aber auch, um den rosa Rollkoffer doch noch an sein Ziel zu befördern. Für »nd« führt sie ein Tagebuch.
Sitze im koscheren McDonalds und warte auf R. zwecks weiterer Reiseplanung. Wieder zurück nach Ägypten? Oder Spendenkoffer zu Geld machen und per NGO transferieren lassen, direkt nach »vor Ort«? Wo genau ist und bleibt »vor Ort«? Bleibe erst mal bei McDonalds. Auch einer der vielen Orte, an dem man die Gesichter der Geiseln sieht. Die sind sonst überall auf Bildern und Plakaten zu sehen, hier laufen sie über den Bildschirm, und zwar ausnahmslos alle. Offensichtlich gibt es die VIP-Gesichter, die überall ins Auge fallen, hier aber sieht man auch grob pixelige unscheinbarere Gesichter. Ferner liefen: ein äthiopischer Israeli mit »Mental Issuses«, der zehn Jahre in Hamas-Gefangenschaft saß und letzte Woche freikam. Die Waffen-Ruhe ist wahnsinnig laut. Dass sie fast am Zerbrechen war, kann man besser verdrängen, wenn man durch Ägypten rast.
Die letzte Geiselübergabe hatte ich dort nur »gestreift«. In einem ägyptischen Fernseher lief sie, der arabische Ton war zum fast stummen Gemurmel runtergeregelt, das Gerät stand in einem zugigen Zelt, davor eine Feuerschale. Die beiden Dinge, in die ich am liebsten schaue: in die Glotze und in die Glut. Es ist vielleicht besser, ins Feuer zu starren. Ein kleinster gemeinsamer Nenner an Sichtweise, die allen Menschen, egal welcher Herkunft, gemeinsam ist. Die Bilder aber hinter der Glut – ich wünschte, ich wüsste, was der Kommentator sagte! – sind schrecklich. Alle Geisel-Gefangenen-Austausch-Szenarien sind es. Allen voran die provozierende Grausamkeit der Hamas-Show. Von den anderen, subtileren erzählte dann R.
Er kam zu spät und sagte gleich: »Nach Kairo fahre ich dich nicht.« Er dürfe Israel zurzeit nicht verlassen. Dafür erzählte R., wie die Freilassung der palästinensischen Gefangenen ablaufe. Dass die Busse mit den 600 Palästinensern, die nach der Übergabe von sechs Geiseln vergangenen Samstag freikamen, bereits auf dem Weg in die Freiheit waren, doch dann von Netanjahu zurückgeschickt worden waren, wusste ich. Eine Strafe für die Menschenverachtung der Hamas – und willkommene Gelegenheit zu Drohgebärden und Säbelgerassel. Dass Israel den Jubel am Wegesrand (wenn die Busse vom Militärgefängnis Ofer in die Westbank vorbeirollen) oft mit Tränengas unterbindet, hatte ich nicht gewusst.
R. schildert das weitere Prozedere: Die Häuser der erwarteten Gefangenen werden inspiziert, es wird festgelegt, wer sich im Haus aufhalten darf bei Ankunft des Gefangenen – maximal der engste Familienkreis. Gratulierende Nachbarn müssen weggeschickt werden. Freude verboten. Später kontrollieren Soldaten, ob man sich dran hält. Wer gegen die Auflagen verstößt, muss zurück in den Knast. Zumindest eine Weile.
Ist es schwerer, Freude, die einem eh im Hals stecken bleibt, zu inszenieren, als Jubel zu verhindern? Habe mich immer fehl am Platz gefühlt auf Massenveranstaltungen, egal welchen. R. ist gegangen. Morgen fährt er nach Jenin. Wenn ich will, kann ich mit. Momentan will ich nichts, als das Internet weltweit abschalten. Kein schlechter Gedanke am Sabbat. Glotze aus. Feuer an.
Vorherigen Eintrag lesen: 24.2.2025 – »NO-GOS«
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