500 Jahre Bauernkrieg: Zwischen Revolution und Restauration

Im Frühjahr 1525 beschlossen die aufständischen Bauern »Zwölf Artikel« gegen die feudale Ordnung - faktisch ein revolutionäres Anliegen

  • Albert Scharenberg
  • Lesedauer: 7 Min.
Geschichte – 500 Jahre Bauernkrieg: Zwischen Revolution und Restauration

Als die Vertreter der drei oberschwäbischen Bauernhaufen vor 500 Jahren, am 6. März 1525, in der Stadt Memmingen zusammenkommen, sind sie sich alles andere als einig. Der Zweck ihrer Versammlung ist die Verständigung über ein gemeinsames Auftreten gegenüber dem Schwäbischen Bund der Fürsten, des Adels und der Reichsstädte. Die Einigung scheitert jedoch, weil man unterschiedliche Auffassungen vertritt, was denn nun zu tun sei. Die einen, vor allem die Vertreter des Baltringer Haufens, hoffen noch auf einen Ausgleich mit den Obrigkeiten. Sie wollen keinen Krieg führen, sondern bloß durch eine drohende Haltung Konzessionen ertrotzen. Die anderen, allen voran jene Bauern vom Allgäuer Haufen, sind hingegen schon zum Kampf bereit. Da eine Einigung nicht zustande kommt, geht die Versammlung nach zwei Tagen wieder auseinander.

Zu dieser Zeit zählen die Haufen, denen neben Bauern auch Handwerker, Geistliche, Bergknappen und Landsknechte angehören, jeweils bereits Tausende Bewaffnete. Begonnen hatte alles im Sommer des Vorjahres mit lokalen Aufständen in Süddeutschland und der Schweiz. Bis Jahresende haben die Bauern am Hochrhein ihre Forderungen in sogenannten Artikelbriefen niedergeschrieben, Organisationen aufgebaut und durch Eide gesichert. Die Abgaben an die Grundherren werden allerorten eingefroren. Bis zum Frühjahr 1525 weitet sich der Protest dann auf weite Teile des Heiligen Römischen Reiches aus.

Zwei Konzeptionen der Reformation

Die Liste der Beschwerden gegenüber den feudalen Obrigkeiten, also Adel und Klerus, ist lang. Im Mittelpunkt steht die nahezu unbegrenzte Macht der Feudalherren, die ihre Untertanen in Unfreiheit halten, immer höheren Abgaben unterwerfen (»Bauernschinderei«) und grenzenloser Willkür aussetzen. Neben diesen überaus weltlichen erheben die Bauern auch religiöse Forderungen. Denn in der Feudalgesellschaft legitimiert sich Herrschaft über die christliche Religion, die Ordnung gilt als gottgegeben. Nur wenige Jahre zuvor hatte Martin Luther mit seiner Kritik am Ablasshandel, der die Vergebung der Sünden durch eine schnöde Geldzahlung versprach, die Reformation begonnen. In den Predigten und Schriften der Reformatoren erkennen die Bauern sich und ihre Beschwerden wieder.

Rasch zeichnet sich indes ab, dass es zwei unterschiedliche Konzeptionen der Reformation gibt. Die Gemäßigten um Luther wollen die Abhängigkeit von Rom und die katholische Hierarchie brechen. Ihnen gegenüber stehen die Radikalen, die die Kritik an der Kirche als Signal zum Aufstand verstehen. Luther, der Schützling des sächsischen Kurfürsten, lehnt das ab; für ihn ist die »Freyheyt eynes Christenmenschen« rein religiös, nicht weltlich. Ihm entgegen steht der egalitäre Revolutionär Thomas Müntzer, der im thüringischen Mühlhausen einen Umsturz anzettelt und die Bauern bewaffnet.

Die Forderungen der Bauern

Nachdem die Vertreter der Bauernschaft sich zunächst nicht einigen konnten, treffen sie sich Mitte März erneut in Memmingen. Und dieses Mal gelingt ein Abkommen. Die Versammelten verabschieden zwei Papiere, deren historische Bedeutung kaum überschätzt werden kann: eine Bundesordnung, in der sie ihre innere Organisation festlegen, und »Zwölf Artikel«, in denen sie ihre Forderungen aufstellen. Letztere werden, dem noch jungen Buchdruck sei Dank, unverzüglich gedruckt und veröffentlicht unter dem Titel »Die gründlichen und rechten Hauptartikel aller Bauernschaft und Hintersassen der geistlichen und weltlichen Obrigkeiten, von welchen sie sich beschwert vermeinen«. In rascher Folge erscheint die Schrift in mehr als zwei Dutzend Auflagen und verbreitet sich wie ein Lauffeuer im ganzen Land.

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Die Zwölf Artikel lesen sich wie ein Katalog von Reformen. Im Kontext der Zeit bedeuten sie aber eine Revolution. Das liegt daran, dass die als Reformen formulierten Forderungen die christlich-feudale Ordnung ins Mark treffen. Denn sie richten sich gegen die Leibeigenschaft und die von den Leibeigenen unentgeltlich zu leistenden Frondienste, gegen die zahlreichen, immer weiter erhöhten Abgaben, die sie zur Finanzierung des üppigen Lebensunterhalts der Grundherren zu entrichten gezwungen sind, und gegen deren Willkür in der Rechtsprechung – Strafen sollen nicht länger nach Gutdünken vom Grundherren, sondern von einer unabhängigen Gerichtsbarkeit verhängt werden. Damit wenden sich die Bauern gegen die Säulen der feudalen Wirtschafts- und Sozialordnung.

Darüber hinaus verlangen sie die Freigabe von Jagd und Fischerei für alle sowie die Wiederherstellung der sogenannten Allmende, also des gemeinschaftlichen Besitzes der Wälder, Gewässer, Wiesen und Äcker. Die Allmenden sind die Commons der damaligen Zeit, die die Herrschenden sich zuvor angeeignet hatten. Jetzt fordern die Bauern ihre Rückgabe an die Dorfgemeinden.

Seit Beginn der Aufstände hatten die Bauern die Wiederherstellung des Alten Rechts gefordert, das ja immer wieder von den Fürsten zu ihrem Nachteil manipuliert worden war. Die Zwölf Artikel gehen noch weiter: Nicht das tradierte Alte Recht, sondern das Evangelium soll von jetzt an der Maßstab für eine gerechte Ordnung sein. So sollen die Dorfgemeinden ihre Pfarrer selbst wählen und wieder absetzen, anstatt diese von Rom vor die Nase gesetzt zu bekommen. Und die Pfarrer sollen das Evangelium predigen, wie es in der Schrift steht, die seit dem späten 15. Jahrhundert auch in deutscher Übersetzung gedruckt vorliegt. Nachdem das einfache Volk die lateinische Liturgie jahrhundertelang nicht verstehen konnte, vermag jetzt jeder, der lesen kann, die Heilige Schrift selbst zu interpretieren.

Die Bedeutung der »Zwölf Artikel«

In den Zwölf Artikeln geht es um die Menschenwürde – und um die »Freyheyt«. So besagt der dritte Artikel, der die Aufhebung der Leibeigenschaft fordert, »dass wir frey seyen und wöllen sein«. Die Schrift gilt heute als die historisch erste Aufzeichnung von Menschen- und Freiheitsrechten. Das ist aus zwei Gründen überaus bemerkenswert: zum einen, weil die Zwölf Artikel Jahrhunderte vor der Verkündung der Menschenrechte durch die französische Nationalversammlung entstehen, und zum anderen, weil sie nicht von hochgebildeten Intellektuellen, sondern von den Bauern selbst beschlossen werden.

Die »Zwölf Artikel« lesen sich wie ein Katalog von Reformen. Im Kontext der Zeit bedeuten sie aber eine Revolution.

Für die Herrschenden sind die Zwölf Artikel eine ungeheuerliche Provokation. Denn sie verstehen sofort, dass eine Erfüllung der Forderungen ihrer Herrschaft ein Ende setzen würde. Dass die Untertanen es überhaupt wagen, Forderungen zu erheben, ist in ihren Augen eine bodenlose Frechheit, die umgehend durch militärische Gewalt beantwortet werden muss.

Luther, der sich bereits vorher auf die Seite der Herrschaft gestellt hatte, schreibt jetzt seine konterrevolutionäre Schrift »Wider die Mörderischen und Räuberischen Rotten der Bauern«. In ihr weist er die Forderungen der Bauern schroff zurück und fordert bedingungslosen Gehorsam gegenüber der Obrigkeit. Die Bauern nennt er »treulose, meineidige, ungehorsame, aufrührerische Mörder, Räuber, Gotteslästerer« und fordert, man solle sie bekämpfen, »wie man einen tollen Hund totschlagen muss«.

Plünderung der Schlösser und Kloster

In ihren Feldlagern diskutieren die Bauern über die Zwölf Artikel in einer Intensität und sozialen Breite, die in späteren Zeiten nicht mehr erreicht wird – auch nicht in der eher von Intellektuellen getragenen Aufklärung. Es handelt sich auch nicht um einen Elendsaufstand, sondern um eine Revolution gegen die Unfreiheit und den Raubzug der Herrschenden. Jetzt zeigt sich, dass die Bauern sich nicht gegen eine bestimmte Herrschaft richten, sondern gegen jede Form der »Tyrannei«. Die Zwölf Artikel sind gewissermaßen die Theorie, deren Praxis der Aufstand ist: Denn die Bauern wollen ihre Forderungen auch gegen den gewaltvollen Widerstand der Grundherren durchsetzen und plündern Hunderte Schlösser und Klöster.

Im Mai und Juni, als die Fürsten schließlich starke Truppenverbände mobilisiert haben, kommt es zu den großen Schlachten des Bauernkriegs, aus denen die Herrschenden siegreich hervorgehen. Das liegt auch daran, dass die Weltsicht der Bauern hochgradig provinziell ist, in ihrem Mittelpunkt stehen der eigene Hof und die Dorfgemeinschaft. Mit den Adligen in der eigenen Region werden sie rasch fertig, aber sie kämpfen – auch wenn sie sich durchaus absprechen – letztlich doch einzeln, auf ihre jeweilige Region beschränkt, und schaffen es nicht, sich überregional zusammenschließen.

Hinzu kommt, dass die Bauern immer wieder vor der ungeheuren Tragweite ihres Aufstands zurückschrecken. Sie sind deshalb wiederholt bereit, sich auf ein Abkommen mit der Herrschaft einzulassen, sofern ihnen Konzessionen zugesichert werden, mögen diese auch noch so vage sein. Das verstehen die Heerführer der Fürsten für sich zu nutzen.

Die Folge des Sieges der fürstlichen Konterrevolution ist die Restauration. Die Feudalgesellschaft wird wiederhergestellt – und mit ihr das in Hunderte souveräne Territorien zersplitterte »Teutschland«. Dies hat weitreichende Folgen bis hin zur, im Vergleich zu anderen europäischen Staaten »verspäteten«, deutschen Nationalstaatsentwicklung. Erschwerend hinzu kommt noch der Sieg Luthers über Müntzer, also der gemäßigten über die radikale Reformation. Dennoch lebte auch die Revolution der Bauern im kollektiven Gedächtnis fort. Erst allmählich verblasste die Erinnerung – bis der Aufstand im 19. Jahrhundert als »revolutionäre Tradition« (Engels) wiederentdeckt wurde und man sich entsann, was bei einem anderen Ausgang der Schlachten möglich gewesen wäre.

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