Gewerkschaften: Weder rot noch ein Bollwerk gegen rechts

Gewerkschaftsmitglieder wählten zuallererst CDU und AfD, die SPD ist nur noch dritte Wahl

Bundestagswahl – Gewerkschaften: Weder rot noch ein Bollwerk gegen rechts

Landauf, landab werden die großen Gewerkschaften unter dem Schirm des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) von Mitgliedern mit SPD-Parteibuch geführt. Es gibt Ausnahmen, wie den ehemaligen Verdi-Chef Frank Bsirske, der dem letzten Bundestag als Grünen-Abgeordneter angehörte. In Berlin hält der Erste Bevollmächtigte der IG Metall Jan Otto einen Mitgliedsausweis der Grünen. Dennoch konnte man sich bisher immer darauf verlassen, dass die weitgehend rote Führung der Gewerkschaften den Wähler*innenwillen an der Wahlurne abbildete.

Mit der jüngsten Bundestagswahl kann davon nicht mehr die Rede sein. Erstmals fällt die SPD mit 20,6 Prozent in der Gunst der Gewerkschaftsmitglieder hinter CDU (23,2 Prozent) und AfD (21,8 Prozent) zurück. Das geht aus einer Nachwahlbefragung der Forschungsgruppe Wahlen hervor. Befragt wurden knapp 45 500 Wähler*innen. Die Grünen erhielten von den Gewerkschaftsmitgliedern demnach 10,7 Prozent, Die Linke 10,0 und das BSW 6,3 Prozent. Im Vergleich zum Gesamtwahlergebnis zeigt sich, dass die SPD (plus 4,2 Prozent), die AfD (plus 1) und Die Linke (plus 1,2) unter Gewerkschaftsmitgliedern besser abschnitten.

Bei der Bundestagswahl 2021 wählten noch 32,1 Prozent der Gewerkschafter*innen die SPD, die CDU kam auf 18,6 und die AfD auf 12,2 Prozent. Während die Sozialdemokrat*innen also um 11,5 Prozentpunkte einbrachen, konnten die Christdemokrat*innen (plus 4,6 Prozent) und die AfD (plus 9,6) zulegen.

Dass die AfD bei Gewerkschaftsmitgliedern weiter vorn liegt als beim Durchschnittswähler und somit auch bei jenen Wähler*innen, die keiner Gewerkschaft angehören, ist nicht neu. Im Gegenteil wiesen die letzten Umfragen nach Bundes-, aber auch Landtagswahlen auf dieses Phänomen hin. Vielmehr überrascht es, dass im Osten dieser Trend an seine Grenze zu stoßen scheint. Während im Westen 19,7 Prozent der Gewerkschafter*innen und 17,3 Prozent Nichtmitglieder der vermeintlichen Alternative ihre Stimme gaben, setzten im Osten 34 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder und 35,7 Prozent der Nichtmitglieder ihr Kreuz bei der AfD.

Gleichwohl kann diese Beobachtung nicht verdecken, dass die AfD im Osten unter Gewerkschafter*innen überdeutlich stärkste Kraft wurde. Der Abstand zur zweitplatzierten CDU ist mit 19,9 Prozent größer als bei den Nichtmitgliedern (17,5 Prozent).

Frühere Untersuchungen legten darüber hinaus nahe, dass auch ein direkter Einfluss der Gewerkschaft kaum etwas am Wahlverhalten ändert. Eine Befragung der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung kam Ende 2023 zu dem Schluss, dass auch die Präsenz von Betriebs- und Personalräten, ebenso wie die Wirkung von Tarifverträgen wenig Einfluss auf die Parteienwahl haben. So gaben 41 Prozent der befragten AfD-Wähler*innen an, weder von einem Personal- noch von einem Betriebsrat vertreten zu werden. Unter allen anderen Wähler*innen lag dieser Anteil bei 35 Prozent. Der Analyse zufolge würden 53 Prozent der Befragten AfD-Wähler*innen von einem Tarifvertrag profitieren. Bei allen anderen Parteien lag dieser Wert bei 57 Prozent.

Die Erklärung, dass die Gewerkschafterin sich für den Kumpel im Betrieb reinhaut, einfach weil er ein Kollege ist, scheint zumindest in der Wahlkabine nicht mehr zu gelten. Dies ist kein einmaliger Trend, sondern hat sich vielmehr verfestigt. Zugleich graben – wenn auch kaum wahrnehmbar – rechte Scheingewerkschaften und alternative Betriebsräte den etablierten Strukturen das Wasser ab. Im sächsischen Zwickau konnte bei der Betriebsratswahl am VW-Standort Ende Januar eine Liste mit AfD-Politikern die Zahl ihrer Sitze verdoppeln.

Wenn die Gewerkschaften nicht enden wollen wie die Sozialdemokratie, braucht es eine Neuausrichtung, die über Lippenbekenntnisse gegen rechts hinausgeht und dem Zuspruch für die AfD innerhalb wie außerhalb der eigenen Mitgliedschaft ernsthaft Rechnung trägt.

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